Donnerstag, Oktober 3

Donald Trump verbreitet ein Internet-Gerücht: In einer Kleinstadt in Ohio verzehren Migranten die Haustiere der Einheimischen. Die Geschichte ist frei erfunden. Desinformation hat für Trump System.

Donald Trump hat die Fernsehdebatte gegen Kamala Harris verloren. Sein Tiefpunkt war für viele Beobachter der Moment, als er eine abstruse Schauergeschichte über Migranten in einer Kleinstadt in Ohio erzählte. Die Millionen von Einwanderern, welche die Biden-Regierung ins Land gelassen habe, seien eine grosse Plage für viele Ortschaften, holte der ehemalige Präsident aus. «In Springfield essen sie die Hunde. Die Leute, die reinkamen, essen die Katzen. Sie essen die Haustiere der Menschen, die dort leben.»

Harris schüttelte den Kopf und lachte Trump aus. Der Moderator David Muir intervenierte. Sein Fernsehsender habe den Leiter der Stadtverwaltung in Springfield kontaktiert. Dieser habe ihnen gesagt: «Es gibt keine glaubwürdigen Berichte, dass Haustiere durch Migranten geschädigt, verletzt oder missbraucht worden seien.» Trotzdem teilte Trump kurz danach auf seinem Kurznachrichtendienst Truth Social ein Video, das die Verhaftung einer dunkelhäutigen Frau zeigt. Darüber stand die Überschrift: «Eine Frau in Ohio tötete und ass angeblich eine Katze vor den Augen ihrer schockierten Nachbarn.»

Virale Gerüchte ohne Beweise

Die Nachrichtenagentur Reuters überprüfte das Video. Bei der Frau handelt es sich nicht um eine Migrantin. Sie wurde im August in Canton verhaftet. Die Stadt in Ohio liegt 270 Kilometer von Springfield entfernt. «Sie wohnte ihr Leben lang in Canton», erklärte ein Pressesprecher der lokalen Polizei.

Lange bevor Trump die Geschichte jedoch einem Millionenpublikum an den Fernsehbildschirmen erzählte, kursierten die Gerüchte darüber bereits seit Monaten im Internet. Ein wichtiger Auslöser war ein Beitrag in einer privaten Facebook-Gruppe im vergangenen September. «Springfield ist eine kleine Stadt in Ohio. Vor vier Jahren hatte sie 60 000 Einwohner. Unter Harris wurden 20 000 Immigranten aus Haiti hierherverfrachtet. Jetzt verschwinden Enten und Haustiere», hiess es darin. Die Freundin einer Nachbarin habe ihre Katze verloren. Eines Tages habe sie die tote Katze aufgehängt an einem Baum des Nachbarhauses entdeckt, wo Haitianer lebten: «Wie wenn man einen Hirsch schlachtet, sie haben sie aufgeschlitzt zum Essen.»

Ein weiterer Keim der Geschichte ist der Auftritt eines lokalen Influencers bei einer Bürgerversammlung in Springfield im August. Der Afroamerikaner Anthony Harris zeigte sich wütend über die vielen Migranten in der Stadt. Er habe einen Anruf von einer alleinerziehenden Mutter erhalten. «Sie braucht wirklich Unterstützung von der Sozialhilfe. Aber dort sind nur Migranten.» Etwas müsse gegen die Haitianer unternommen werden: «Sie packen Enten in den Parks, schneiden ihnen die Köpfe ab und essen sie.»

Nach und nach wurden Videos und Posts auch von rechtskonservativen Meinungsmachern im Internet wie etwa Jack Posobiec verbreitet. Er hat auf dem Kurznachrichtendienst X ein Publikum von 2,7 Millionen Followern. Auch Trumps Vize-Kandidat J. D. Vance, der selbst aus Ohio stammt, hat die Gerüchte über die haitianischen Migranten in Springfield verbreitet. Alsbald zirkulierte im Internet ein Bild von Trump, der mit einer Katze unter seinem Arm vor einer dunkelhäutigen Menschenmenge zu flüchten scheint. Republikanische Abgeordnete schrieben Posts im Internet mit der Parole «Cat Lives Matter» in Anspielung an den Kampfruf der linken Antirassismus-Bewegung «Black Lives Matter».

Ein Unfall schürt böses Blut

Allerdings: Auch wenn an der Katzen-Story aus Springfield nichts dran sein mag, sind die Migranten aus Haiti für die Kleinstadt durchaus eine Herausforderung. Mit ihnen wuchs die zuvor schrumpfende Bevölkerung in den vergangenen Jahren um 20 Prozent. Der hohe Zustrom belaste die Infrastruktur, das Schulsystem oder das Gesundheitswesen, erklärte der Bürgermeister Rob Rue gegenüber dem Fernsehsender PBS. Allerdings kamen viele der Haitianer unter einem besonderen Aufenthaltsstatus legal ins Land und verfügen über eine Arbeitserlaubnis. Und die Migranten seien gute Arbeiter, sagt der lokale Metallbau-Unternehmer Jamie McGregor: «Ich wünschte, ich hätte noch dreissig mehr von ihnen. Unsere haitianischen Angestellten kommen jeden Tag zur Arbeit, haben keine Drogenprobleme und erreichen die Vorgaben.»

Bereits vor der dubiosen Katzen-Geschichte erhitzte indes ein ganz realer Unfall in Springfield die Gemüter der Einheimischen. Im August 2023 kollidierte ein Minivan mit einem Schulbus. Dabei starb der elfjährige Schüler Aiden Clark. Der Fahrer des Minivans war ein Einwanderer aus Haiti, der keinen amerikanischen Führerschein besass.

Trump versucht den Unfall für den Wahlkampf zu nutzen. Kürzlich schrieb sein Team auf X: «Aiden Clark wurde auf dem Weg zur Schule von einem haitianischen Migranten getötet, den Kamala Harris ins Land gelassen hatte.» Der Schüler sei «ermordet» worden, meinte Vance. Clarks Eltern indes kritisierten diese Darstellung scharf. Ihr Sohn sei «versehentlich» von einem Immigranten getötet worden. Die Politiker könnten so viel Hass auf Migranten schüren, wie sie wollten, aber Aidens Name dürfe nicht für politische Zwecke missbraucht werden, erklärte Nathan Clark und forderte eine Entschuldigung.

Trump dürfte sich dafür allerdings kaum entschuldigen – ebenso wenig wie für die Geschichte über die gepeinigten Haustiere. Lügen und Desinformation gehören zu Trumps politischem Handwerkzeug. Er ist überzeugt, dass ihre Beine länger sind, als die Experten gemeinhin denken. Auch wenn es nicht wahr sein mag, alle reden nun über Springfield und Trumps wichtigstes Wahlkampfthema: die Zuwanderung. So fragte ein Moderator des Nachrichtensenders News Nation: «Wenn wir Trumps Worte über das Essen von Haustieren im übertragenen Sinne verstehen, ist es vielleicht eine Metapher für wirklich ernsthafte Probleme in Springfield?»

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