Nach der Verurteilung von Le Pen demonstrieren ihre Anhänger für die Frontfrau der französischen Rechten. Das Rassemblement national hatte auf viel mehr Teilnehmer gehofft.

Demonstrieren gehen – das habe sie in ihrem Leben noch nie gemacht, sagt Laurence Simon. Das sei heute ihr erstes Mal. Die 69-jährige Bretonin mit der wilden Haarmähne ist an der Kundgebung für Marine Le Pen erschienen. Sie hält eine Trikolore in der Hand und stützt ihre andere Hand in die Hüften. Sie ist aufgewühlt. «Ich mache das für Marine. Sie ist eine Kämpferin. Aber jetzt braucht sie uns. Ich hoffe, dass sich die Franzosen aufbäumen!»

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Auch Sabrina Malejacq hat sich auf der Place Vauban im vornehmen 7. Arrondissement eingefunden. Die 39-jährige kaufmännische Angestellte aus Saint-Pathus ist es ebenfalls nicht gewohnt, auf die Strasse zu gehen. Heute aber, erzählt sie, wolle sie für Marine Le Pen Flagge zeigen. Malejacq ist Mitglied im rechtsnationalen Rassemblement national (RN) und eine leidenschaftliche Unterstützerin der verurteilten Oppositionsführerin: «Marine ist die Mutter unserer Nation. Unsere künftige Präsidentin. Ich kann mir ein Frankreich ohne sie nicht vorstellen. Aber jetzt wurde ihr grosses Unrecht angetan.»

Kaum mehr als 6000 Unterstützer

Simon und Malejacq stehen nun direkt vor der Tribüne, auf der in wenigen Minuten der RN-Chef Jordan Bardella, sein Stellvertreter Louis Aliot, der frühere Vorsitzende der konservativen Republikaner und Le-Pen-Alliierte Éric Ciotti und nicht zuletzt Marine Le Pen, die Grande Dame der politischen Rechten, als Redner erwartet werden. Aufpeitschende House-Musik wummert aus den Boxen. Der Platz ist jetzt in ein blau-weiss-rotes Fahnenmeer getaucht.

Es ist ein sonniger 6. April, und mit Blick auf die golden schimmernde Kuppel des Pariser Invalidendoms, unter der Napoleon Bonaparte begraben liegt, hätte das Rassemblement national sicherlich keinen stimmungsvolleren Versammlungsort wählen können. Doch eingetrudelt sind an diesem Sonntag aus allen Ecken des Landes kaum mehr als 6000 Unterstützer – viel weniger, als die Partei gehofft hatte.

Sechs Tage nach dem Gerichtsurteil gegen Le Pen hatte Jordan Bardella zu einer «friedlichen Mobilisierung der Bevölkerung» getrommelt. Von einem Pariser Gericht war die dreimalige Präsidentschaftskandidatin am Montag wegen der Veruntreuung von EU-Geldern zu vier Jahren Haft, einer Geldbusse und einer fünfjährigen Ämtersperre verurteilt worden. Hat das harte Urteil Bestand, kann Le Pen bei der Präsidentschaftswahl 2027 nicht antreten. Von «Staatsstreich», «Justiztyrannei» und einem «Angriff auf die Demokratie» sprechen seither die Parteikader. Ihr Vorwurf: Frankreichs Justiz habe in Wahrheit ein politisches Urteil gefällt, um Le Pens Aufstieg an die Macht zu verhindern.

Auf dem Platz vor dem Invalidendom wiederholen die Redner nun ihre Anschuldigungen. Das Verdikt gegen Le Pen sei ein «verzweifeltes Manöver der Oligarchie, die sich an ihre Macht klammern will», sagt der RN-Vize Louis Aliot. Auch Bardella, der unter tosendem Applaus die Bühne betritt, attackiert in seiner Ansprache die politisierte Richterschaft: «Nicht nur Marine Le Pen wurde zu Unrecht verurteilt, die französische Demokratie wurde durch eine einfache Gerichtsentscheidung hingerichtet», ruft er. Und schuld daran seien «bestimmte Organisationen», insbesondere die linksgerichtete Richtergewerkschaft. Er wolle aber auch klarstellen, sagt Bardella, dass seine Partei niemals die Unabhängigkeit der Justiz und die Gewaltenteilung infrage stelle.

Als schliesslich Marine Le Pen vor das Mikrofon tritt, skandieren ihre Anhänger begeistert: «Marine, présidente! Marine, présidente!» Vor ihren Anhängern prangert die 56-Jährige erneut eine «Hexenjagd» gegen sich an. Das Urteil sei ein Angriff auf den Willen des Volkes. Man habe ihre Ehre mit Füssen getreten. Aufgeben werde sie aber nicht. Und sie wolle den schwarzen Bürgerrechtler Martin Luther King zum Vorbild nehmen, schliesslich, sagt Le Pen, würden heute «die Bürgerrechte der Franzosen infrage» gestellt. Zu ihrer Unterstützung hatte die Partei zuvor Grussbotschaften europäischer Rechter auf die Leinwand projiziert: Matteo Salvini, der Chef der italienischen Lega-Partei, Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban, der Niederländer Geert Wilders und der spanische Vox-Parteichef Santiago Abascal, sie alle liessen ausrichten, dass Le Pens «Kampf für die Demokratie» auch der ihrige sei.

Linke Gegenproteste

Tatsächlich hat die Verurteilung der französischen Oppositionsführerin ihrer Beliebtheit bisher keinen Abbruch getan. Fast die Hälfte aller Franzosen wünschen sich laut einer neuen Umfrage, dass Le Pen bei der nächsten Präsidentschaftswahl wieder antritt. Doch viele linke Wähler sehen das Urteil als gerecht an. Und so fanden parallel zur RN-Kundgebung in Paris zwei Gegenveranstaltungen statt. Auf der Place de la République versammelten sich rund 15 000 Linke, die einem Aufruf der Linksaussenpartei La France insoumise und der Grünen gefolgt waren.

Und auch die Partei von Präsident Emmanuel Macron nutzte ein bereits länger geplantes Treffen in Saint-Denis am Stadtrand von Paris als politische Plattform gegen das RN. Niemals, sagte der Macron-Vertraute Gabriel Attal, werde er akzeptieren, dass die Lepenisten mit ihrer Aktion die Integrität der Richter und die Institutionen des Landes angriffen. Frankreich ist, das zeigt dieser Sonntag, gespaltener denn je.

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