Donnerstag, Januar 9

Die norwegische Autorin Linn Strømsborg hat einen Roman über weibliche Wut geschrieben. An einem Sommermorgen am Meer bricht der Zorn sich Bahn – und löst eine Flut aus, in der viele mitschwimmen können.

Irgendwo in Norwegen stehen Mutter und Tochter vor ihrem Wohnblock und blicken in den Himmel. Ein Komet zieht an der Erde vorbei, nah und gross und hell genug, um von blossem Auge erkennbar zu sein. Mit dem Komet rückt auch die Angst in das Blickfeld des Kindes. Was, wenn dieser glühende Punkt in die Erde kracht und alles verschwindet, was das Kind liebt?

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Vielleicht hat die Mutter da bereits geahnt, dass dieses Krachen kommen wird. Gespürt, dass es nicht mehr geht, mit Mann und Kind und Mutterrolle. Zwei Jahre später lässt sie ihr Schminkzeug, ihre Tochter und ihr ganzes altes Leben hinter sich. Als käme ein Komet von seinem Kurs ab, ändert die Mutter ihre Flugbahn und verschwindet.

Eine Frau treibt im Meer

Das Verschwinden hinterlässt einen Krater im Leben des Kindes. Die Trauer sammelt sich ganz unten. Mit den Jahren lagern sich weitere Sentiments-Sedimente ab. Dazu gehört der Wunsch, niemandem zur Last zu fallen, oder das Gefühl, doch nie zu genügen. Die Wut kommt zum Schluss. Da ist aus dem Mädchen längst eine Frau geworden.

«Frau zu sein bedeutet, als Hure bezeichnet zu werden, wenn du mit zu vielen Leuten schläfst, Frau zu sein bedeutet, sexy genug zu sein, dass alle mit dir schlafen wollen, Frau zu sein bedeutet, getötet zu werden, wenn du nicht stillhältst und die Klappe hältst, Frau zu sein bedeutet, die Klappe zu halten, wenn du eigentlich schreien möchtest. Frau zu sein bedeutet, reiss dich zusammen.»

Mit diesem Intro setzt die 38-jährige norwegische Schriftstellerin Linn Strømsborg den Ton für ihren Roman «Verdammt wütend». Mit der Geschichte einer Frau namens Britt erzählt sie die Geschichten vieler Zeitgenossinnen.

Britt, die einst mit ihrer Mutter einen Kometen beobachtet hat. Britt, die nun selbst Mutter ist und manchmal davon träumt, ihre Flugbahn zu verlassen. Weil sie verheiratet ist, aber trotzdem die gesamte Verantwortung für das Kind und das Glück und das Kofferpacken für die Sommerferien allein zu tragen hat. Britt, und da setzt die Handlung ein, die während dieser Ferien einen derartigen Wutausbruch hat, dass sie sich erst einmal mit Strickjacke und glühendem Gemüt ins Meer legen muss, bevor sie wieder in die Vertikale gehen kann. Und während sie in den Wellen liegt, lässt sie ihre Gedanken treiben.

Und die Männer trinken Bier

Britt denkt: «Ich hab mir nie das genommen, was ich wollte, ich hab mich mit dem begnügt, was ich bekommen habe.» Oder: «Ich liebe meine Tochter, aber manchmal denke ich, dass ich seit ihrer Geburt keine Zeit mehr für mich habe.»

Ziel von Britts Wutanfall ist vor allem ihr Mann Espen, der damals, als sie zum ersten Mal nach der Geburt ihres Kindes ausgingen, sagte: «Reicht es nicht, wenn einer von uns jetzt nach Hause fährt?» Sie, die Mutter, soll gehen. Er will lieber noch länger feiern.

Auch Espens Freunde sind, wie jedes Jahr, mit ins Sommerhaus gereist. Die Rollenverteilung ist klassisch – während die Frauen und Töchter anpacken, lehnen die Männer sich zurück, schauen aufs Meer und trinken Bier. Tatsächlich zufrieden scheint aber nur Nico, die einzige der Frauen im Ferienhaus, die keinen Mann und keine Kinder hat. Anstelle einer typischen Geschlechterrolle nimmt sie ihren Platz in der Welt ein – derart selbstverständlich, dass es Britt rasend macht.

Niedergeschriebene Wut

Strømsborg streicht Britts Geschichte nicht heraus, sie bettet sie ein. In eine Gesellschaft, die die Mutterrolle noch immer überbewertet. Die es Frauen oft schwermacht. Schwer, für die eigenen Bedürfnisse einzustehen, Nein zu sagen und sich das zu nehmen, was sie wollen – statt das, was man ihnen abgibt.

Es gelingt Strømsborg, in ihrem Erzählen nie vorwurfsvoll zu werden. Britt ist wütend, nicht schutzbedürftig. Sie macht allen Vorhaltungen – besonders sich selbst. Sie weiss, dass sie genauso ein Teil des Ganzen ist, aus dem sie ausbrechen will, wie alle anderen. Dass sie als Teil des Ganzen auch Teil der Veränderung sein kann – sein muss, denn auch sie ist das Problem.

Romane über feministische Wut gibt es einige. Besonders bekannt wurde Mareike Fallwickls «Die Wut, die bleibt» (2022) – ebenfalls die Geschichte einer Mutter, die geht. Nicht hinaus in die Welt allerdings, sie verschwindet über die Balkonbrüstung. Strømsborg aber, und das ist selten, gelingt anstelle einer Anklage ein Einfühlen. Anders, als der Titel es vermuten lässt, scheint die Autorin nicht wütend, sondern neugierig. Ein Buch wie eine Bestandesaufnahme.

Ein Roman wie ein lockeres Netz

Manche Romane sind dicht gewoben wie Perserteppiche. Jeder Knoten sitzt eng an seinen Platz geknüpft, das Muster steht fest, für neue Fäden ist in dem dichten Gewebe kein Raum.

«Verdammt wütend» gleicht eher einem lockeren Netz. Ein Roman in Fragmenten. Manche umfassen nur wenige Zeilen, andere mehrere Seiten. Es ist ein Gemisch aus Beobachtungen und Erinnerungen. Die Ich-Perspektive wechselt von Britt zu Espen und geht in einer allwissenden Erzählstimme auf. Zwischen den Fragmenten bleibt Raum für Eigenes. Hier können sich Wiedererkennen und Zustimmung verfangen, Einsicht auch und Abgrenzung ebenso.

Das macht Strømsborgs Geschichte leicht zugänglich. Ein literarisches Schwergewicht ist sie dagegen nicht. Da sind keine Sätze, die man wiederholen möchte. Keine Worte, die so sehr passen, dass sie strahlen. Feststellungen wie: «Wut ist kein besonders attraktives Gefühl. Ist jemand traurig und weint, fragen alle ganz mitfühlend: Was ist los? Wenn man wütend ist, hat kaum jemand Mitgefühl» sind weder bahnbrechend noch virtuos. Verglichen mit Büchern wie Perserteppichen nimmt das Netzlein, das dieser Roman ist, sich dünn aus im Bücherregal.

Dass «Verdammt wütend» an manchen Stellen gar schludrig wirkt, liegt aber wohl auch an der teilweise forciert jugendlich anmutenden Übersetzung von Karoline Hippe und der Arbeit des Korrektorats, das Sätze durchliess wie diesen: «Nicos Stimme bricht und sie in Lachen aus.» Oder: «Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.» Als ginge das Sprichwort auf das Malen mit Buntstiften zurück – und nicht auf das Mahlen von Getreide.

Darum ist «Verdammt wütend» kein Buch für die Ewigkeit, sondern eines für diesen Augenblick. Es passt zum Zeitgeist und ist ein Verbrauchsgegenstand, den vor allem Frauen verdauen werden und vor allem Männer konsumieren sollten. Keine Sternstunde am literarischen Firmament also, eher ein Komet, der aufleuchtet und einen im besten Fall nachdenklich stimmt, bevor er wieder am Horizont verschwindet.

Linn Strømsborg: Verdammt wütend. Roman. Aus dem Norwegischen von Karoline Hippe. Dumont, Köln 2024. 224 S., Fr. 34.90.

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