Montag, November 25

Kaum etwas bewegt sich schneller als die Elektronen in einem Atom. Pierre Agostini, Ferenc Krausz und Anne L’Huillier ist es gelungen, diese Bewegungen mit Attosekundenpulsen sichtbar zu machen.

Wer mit einer Kamera schnelle Bewegungen festhalten will, braucht kurze Belichtungszeiten. Dauert die Belichtung zu lange, erhält man ein verwackeltes Bild. Dieses Prinzip gilt für Hobbyfotografen, die einen fliegenden Vogel fotografieren wollen, ebenso wie für Wissenschafter im Labor. Es hat Forscher lange daran gehindert, Prozesse zu untersuchen, die sich in Molekülen oder Atomen abspielen. Denn die Elektronen in einem Atom bewegen sich auf einer Zeitskala von Attosekunden (10-18 Sekunden). Das ist unfassbar kurz. In einer Sekunde vergehen so viele Attosekunden, wie Sekunden seit dem Urknall vergangen sind. Derart schnelle Bewegungen mit Licht einzufangen, galt lange Zeit als ein Ding der Unmöglichkeit.

Den diesjährigen Physiknobelpreisträgern ist es zu verdanken, dass das Unmögliche heute möglich ist. Pierre Agostini, Ferenc Krausz und Anne L’Huillier haben herausgefunden, wie man mit Laserlicht sogenannte Attosekunden-Lichtpulse für die Untersuchung ultraschneller Prozesse in Atomen und Molekülen erzeugt. Die drei Forscher teilen sich den mit zehn Millionen schwedischen Kronen (knapp 900 000 Franken) dotierten Preis.

Hinter der Arbeit der drei Nobelpreisträger steht der Wunsch, die Grenzen des Machbaren auszuloten. Gleichzeitig hat ihre Forschung aber auch praktische Relevanz. Alle chemischen Reaktionen werden von Elektronen kontrolliert. Je besser man also versteht, wie sich die Elektronen in einem Atom oder einem Molekül verhalten, desto eher besteht die Möglichkeit, diese Reaktionen zu beeinflussen. Bei der Attosekundenphysik handelt es sich deshalb um Grundlagenforschung, die eines Tages Anwendungen in der Chemie, den Materialwissenschaften und sogar der Medizin finden könnte.

Kürzer als eine Schwingung des Lichts

Bei der Erzeugung von Attosekunden-Lichtpulsen gibt es ein grundsätzliches Problem. Denn eine Attosekunde ist viel kürzer als die Zeit, die sichtbares Licht für eine einzige Schwingung braucht. Um derart kurze Pulse herzustellen, braucht man deshalb Strahlung, die sehr viel schneller schwingt als sichtbares Licht.

In den 1980er Jahren unternahm Anne L’Huillier an einem Forschungszentrum in Paris-Saclay erste Versuche, solche Pulse herzustellen. Sie richtete einen intensiven Laserstrahl auf eine mit Gas gefüllte Zelle und beobachtete, dass dabei Licht mit einem Vielfachen der Grundfrequenz des anregenden Lasers abgestrahlt wird. Zusammen mit anderen Forschern konnte sie in der Folge erklären, wie diese Oberschwingungen – auch höhere Harmonische genannt – erzeugt werden und wie daraus Attosekundenpulse entstehen können.

Trifft der Laserstrahl auf ein Atom, wird ein Elektron von einem Atom fortgerissen und im elektrischen Feld des Laserlichts beschleunigt. Nach einer halben Schwingung kehrt sich das Vorzeichen des elektrischen Feldes um, und das Elektron wird zu seinem Atom zurückgetrieben. Bei der Rekombination wird Laserlicht abgestrahlt, dessen Frequenz ein Vielfaches der anregenden Frequenz ist.

Diese Oberschwingungen überlagern sich. Dort, wo zwei Wellenberge aufeinandertreffen, wird das Licht verstärkt. Dort, wo ein Wellenberg auf ein Wellental trifft, wird das Licht ausgelöscht. So entstehen Lichtpulse, die wesentlich kürzer sind als der ursprüngliche Laserpuls.

Mit ihren bahnbrechenden Erkenntnissen legte L’Huiller den Grundstein für die Arbeiten der anderen beiden Nobelpreisträger. Im Jahr 2001 gelang es der Arbeitsgruppe von Pierre Agostini in Paris, eine regelmässige Abfolge von Attosekundenpulsen zu erzeugen. Mit einer von Agostini entwickelten Technik gelang es, die Dauer der Pulse zu messen. Jeder war 250 Attosekunden lang.

Etwa zur gleichen Zeit konnte Ferenc Krausz an der Universität Wien mit speziellen Spiegeln einen einzelnen Attosekundenpuls isolieren. Wie Messungen zeigten, hatte dieser eine Dauer von 650 Attosekunden. Damit hatten Agostini und Krausz erstmals Lichtpulse erzeugt, die kürzer als eine Femtosekunde (10-15 Sekunden) waren.

Wie schnell werden Elektronen aus einem Atom geschlagen?

Die Arbeitsgruppe von Krausz demonstrierte auch, dass man mit diesen Pulsen tatsächlich Prozesse im Inneren eines Atoms untersuchen kann. Er suchte sich dafür den photoelektrischen Effekt aus, für dessen Erklärung Albert Einstein 1921 den Physiknobelpreis erhalten hatte.

Beim photoelektrischen Effekt schlägt ein Photon ein Elektron aus einem Atom heraus. Doch niemand konnte sagen, wie schnell das geschieht. Viele Physiker waren der Ansicht, dass das Elektron augenblicklich freigesetzt wird. Mit seinen isolierten Attosekundenpulsen konnte Krausz nachweisen, dass das nicht stimmt. Und er konnte sogar zeigen, dass die Dauer der Freisetzung davon abhängt, in welchem energetischen Zustand sich das Elektron befindet.

Auch den quantenmechanischen Prozess des Tunnelns haben Krausz und seine Mitarbeiter mit Attosekundenpulsen untersucht. Bei diesem Prozess durchringt ein Elektron eine Energiebarriere, die es klassisch gesehen nicht überwinden kann. Solche Tunnelprozesse spielen in Flash-Speichern und beim Rastertunnelmikroskop eine wichtige Rolle. Die Hoffnung ist, dass man solche Anwendungen verbessern kann, wenn man das Tunneln von Elektronen besser versteht.

Das Gleiche gilt für die schnelle Bewegung von Elektronen in Metallen. Indem man untersucht, wie schnell Elektronen die einzelnen Atomlagen durchqueren, lassen sich möglicherweise Schaltelemente entwickeln, die den Strom sehr schnell schalten.

Erkennung von Krebs

Krausz, der seit 2003 Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching ist, interessiert sich auch für biomedizinische Anwendungen der Attosekundenpulse. So entwickelt er zusammen mit Kollegen aus Budapest einen Bluttest, der Tumoren frühzeitig erkennen soll.

Die Idee dahinter ist simpel: Tumoren geben spezielle Moleküle ins Blut ab. Bei Gesunden und Kranken unterscheidet sich deshalb die molekulare Zusammensetzung des Bluts. Wird nun ein infraroter Laserpuls durch das Blut geschickt, nehmen die Atome jedes vorhandenen Moleküls Energie auf und geben sie dann wieder ab. Es entsteht ein charakteristisches Muster, das sich mit der Attosekunden-Technologie messen lässt. Biochemische Analysen helfen dann, dieses Laser-Muster einer speziellen Krankheit zuzuordnen.

Die Laseranalyse habe zwei grosse Vorteile bei der Krankheitserkennung, betonen die Forscher. Erstens sei sie sehr sensibel. Zweitens sei es einfach, ein aussagekräftiges Muster zu erhalten. Dereinst könnten wir also einen Bluttest machen und kurz darauf wissen, ob wir gesund seien oder ein medizinisches Problem vorliege.

Die Wissenschafter in München und Budapest haben bereits in ersten kleinen Untersuchungen gezeigt, dass sie für Lungen- sowie Brustkrebs ein solch spezifisches Laser-Muster gefunden haben. Noch müssen allerdings die Daten in grossen klinischen Studien bestätigt werden.

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