Eine Bande aus Chile reist um die halbe Welt und macht in Zürich über 200 000 Franken Beute. Wer brachte sie auf die Idee?
Wie sie da sitzen, in ihren gefütterten Parkas und mit den Trekkingschuhen, gleichen die drei Männer harmlosen Touristen. Zwei von ihnen sind tatsächlich um die halbe Welt gereist, um die Schweiz zu sehen. Aber nicht der Sehenswürdigkeiten wegen.
Im Herbst beginnt die Saison der Einbrecher. Sobald es früh dunkel wird, schleichen sich die Täter in Häuser, hebeln Fenster auf und stehlen Schmuck sowie Bargeld.
Die Entwicklung ist wenig erbaulich: Die Zürcher Behörden haben schon im ersten Halbjahr 2024 nicht nur mehr Diebstähle und Gewalt, sondern auch mehr Einbrüche verzeichnet. Ein Einbruch ergibt in der Regel gleich drei Delikte: Diebstahl, Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung.
Ermittler unterscheiden zwischen zwei Kategorien. Einschleichdiebe, die häufig aus Nordafrika stammen. Und klassische Einbrecher. Sie stammen oft aus Osteuropa. Oder auch aus Südamerika.
Die drei Chilenen, die an diesem Oktobermorgen vor dem Bezirksgericht Horgen sitzen, passen ziemlich gut in dieses Bild. Zusammen mit zwei Frauen – die ebenfalls aus Chile angereist sind – sollen die Südamerikaner als Fünferbande agiert haben.
Im August und September 2022 begehen die Kriminaltouristen rund ein Dutzend Einbrüche. So viele können ihnen die Behörden zumindest nachweisen. Vorgeworfen werden ihnen unter anderem gewerbs- und bandenmässiger Diebstahl, Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung.
Sie verüben ihre Einbrüche vor allem in der Stadt Zürich. Aber auch in Effretikon oder Volketswil. Einmal verlassen sie den Kanton Zürich, um in Einsiedeln zuzuschlagen.
Das erbeutete Diebesgut ist kunterbunt: Schmuck, Bargeld, Goldmünzen und Armbanduhren einerseits. Aber auch Abwegiges wie eine Schultasche, ein Fleischmesser, eine Rückenstütze, einen Rasierapparat, Kosmetik, Reisepässe oder zwei antike Bibeln lassen sie mitgehen.
Sitzt der Organisator in Zürich?
Das Muster, an welchen Orten die Bande zuschlägt, scheint auf den ersten Blick beliebig zu sein. Aber die Staatsanwaltschaft hat eine These. Dreh- und Angelpunkt der Truppe soll ein 46-jähriger Maler gewesen sein. Auch er ein Chilene, aber der Einzige von den fünfen, der nicht aus Chile angereist ist. Der Mann lebt seit zehn Jahren in Zürich.
Laut Anklage der Staatsanwaltschaft kannte der Maler sich an den Tatorten aus. Er ist als Handwerker sogar in manchen Wohnungen gewesen, in welche die Komplizen eingebrochen sind. Er sei es gewesen, der die Truppe angeworben habe. Mehrere Monate Überzeugungsarbeit habe er dafür geleistet.
Im August 2022 reisen die Ersten von ihnen über Mailand in die Schweiz. Abgeholt werden sie laut Staatsanwaltschaft vom Maler aus Zürich. Er habe ihnen «lohnenswerte Häuser» und «aussichtsreiche Gegenden» gezeigt. Auch Brecheisen, Schraubenschlüssel oder unauffällige Arbeitskleidung habe er beschafft.
Die Truppe macht sich umgehend an die Arbeit. Sie klettern über Balkone, wuchten Türen und Fenster auf. Und sie pflegen eine Arbeitsteilung: Jemand durchsucht das Objekt, jemand steht Schmiere.
Für den Richter in Horgen steht fest: Gerade die Begleitung durch die beiden Frauen hat die Bande unauffälliger erscheinen lassen. «Die Herren fielen so nicht so fest auf, wenn sie in einem Einfamilienhausquartier umhergingen.»
Der Maler und mutmassliche Kopf der Bande soll sich die Hände nicht schmutzig gemacht haben. Bei den Einbrüchen ist er nicht dabei, aber laut Anklage soll er seine Leute mit dem Auto abgeholt haben. Besonders dann, wenn sie zu viel erbeutet haben, um es unauffällig nach Hause zu tragen. Über einen Geldtransfer an der Zürcher Langstrasse soll das Geld nach Santiago de Chile geflossen sein.
Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Maler die erbeuteten Gegenstände hätte weiterverkaufen sollen. Er habe jedenfalls genau wissen wollen, was die anderen erbeutet hätten. Denn er habe Anspruch auf einen Teil der Beute erhoben.
Ende September, nachdem die Bande sieben Wochen ihr Unwesen getrieben hat, kommt ihr die Polizei auf die Schliche. Wie dies den Ermittlern gelingt, wird an der Urteilseröffnung in Horgen nicht klar.
Strafverfolgungsbehörden stehen dem Phänomen oft ratlos gegenüber. Die Aufklärungsziffer bewegt sich bei 15 Prozent. Die Polizei setzt darum auf Prävention. Das Risiko, Opfer eines Einbruchs zu werden, soll damit möglichst gesenkt werden.
Nur die eigene Haut gerettet?
Der Fall der Chilenen sprengt in seinen Dimensionen das übliche Mass. Die Beute, die sie ergaunern, und der Schaden, den sie verursachen, übersteigen 200 000 Franken.
Das Verfahren füllt vierzehn Bundesordner. Die Ermittlungen ziehen sich in die Länge. Zwei von drei Männern sitzen seit zwei Jahren im Gefängnis. Der Richter hat wenig Mitleid: Die lange Haft könnten sich die Angeklagten wegen ihres Aussageverhaltens selber zuschreiben.
Am Ende geben die Männer einige Delikte zu. Oft sind sie dann geständig, wenn sich Screenshots auf dem Handy finden oder wenn verfängliche Textnachrichten vorhanden sind.
Einer aber zeigt sich nicht geständig: der Mann, der alles organisiert haben soll. Es sind die Komplizen, die ihm zum Verhängnis werden.
«Massive Belastungen» durch die beiden anderen Männer nennt es der Richter. Für ihn ist klar: Der Maler hat die anderen getroffen, hat ihnen Kost und Logis bereitgestellt und alles eingefädelt. In seiner Wohnung ist zudem Deliktsgut gefunden worden. «Ohne ihn wäre das Ganze nicht passiert», sagt der Richter.
Der mutmassliche Organisator erhält die längste Freiheitsstrafe. 40 Monate muss er hinter Gitter. Danach droht ein Landesverweis von acht Jahren. Der Mann hat zwar zwei Kinder in der Schweiz, der Richter sieht aber keinen Härtefall. Er sei weder mit einer Schweizerin verheiratet, noch kümmere er sich um die Betreuung der Kinder.
Die Mittäter kommen mit leicht kürzeren Strafen davon. Die Männer werden zu 32 beziehungsweise 30 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Und ebenfalls zu Landesverweisen von acht Jahren. Die Frauen erhalten Freiheitsstrafen von 29 beziehungsweise 27 Monaten. Sie werden für sechs Jahre des Landes verwiesen.
Der Richter sagt über den Mann mit der 30-monatigen Freiheitsstrafe: «Er war kooperativ, das Geständnis hat dazu geführt, dass der Koordinator der Bande verurteilt werden konnte.» Welche Informationen der Mann geliefert hat, wird an der Verhandlung nicht gesagt. Für sein Geständnis bekommt er eine Strafreduktion von einem Drittel.
Man kennt solche Justiz-Deals aus den USA. Etwa, wenn der Ankläger einen Mafioso gegen einen anderen ausspielt.
Aber die Sache hat einen Schönheitsfehler.
Die beiden Männer sind keine Unschuldslämmer. Der eine wurde in Österreich wegen ähnlicher Delikte verurteilt. Der andere sass in seiner Heimat über elf Jahre im Gefängnis. Er soll einen Drogendealer bestohlen und entführt haben.
Hat hier einer seine eigene Haut gerettet, indem er jemanden belastete?
Der Verteidiger des Malers, der angeblich der Kopf der Bande war, sieht seinen Klienten in ein schlechtes Licht gerückt. Sein Mandant lebe seit zehn Jahren in der Schweiz und sei nicht vorbestraft. Im Gegensatz zu den beiden anderen. Das Urteil beruhe nur auf «Spekulationen oder vagen Indizien», nicht aber auf Beweisen.
Der Verteidiger will die Strafe nicht akzeptieren und geht in Berufung. Bis zur rechtskräftigen Verurteilung gilt für seinen Mandanten die Unschuldsvermutung.
Die Anwältin jenes Einbrechers, dessen Geständnis entscheidend war, will dagegen nicht von einem Deal sprechen. Ihr Mandant habe ein Geständnis abgegeben, weil er verstanden habe, dass dies seine Strafe mindern könne, sagt sie. Das Liefern von Mittätern sei für den Strafrabatt nicht notwendig gewesen.
300 000 Franken zulasten des Steuerzahlers
Die Ermittlungen dauerten mehrere Jahre, doch nun soll es schnell gehen. Die beiden Frauen werden noch in diesen Wochen nach Chile ausgeschafft. Die beiden Männer müssen den Rest ihrer Strafe absitzen, danach werden auch sie ausgeschafft.
In Horgen will der Richter den Männern zum Schluss noch etwas sagen.
Ob sie sähen, was sie mit ihren Taten verursacht hätten, fragt er. Nicht nur bei den Betroffenen, in deren privatesten Bereich sie eingedrungen seien. Sondern auch, was ihr Wirken die Zürcher Bevölkerung koste?
Die Männer in den Parkas schweigen. Sie dürften es wohl ahnen. Kurz zuvor hat der Richter die über 250 000 Franken Anwaltskosten aufgezählt.
Aber der Richter will das loswerden. Er sagt: «Sie verursachten Kosten weit über 300 000 Franken. Wir wissen, dass wir dieses Geld niemals zurückerhalten werden.»
Die Männer schweigen noch immer.
Also beendet der Richter den Prozess. «Als Vertreter der Schweiz hoffe ich», so seine Abschiedsworte, «Sie nie wiedersehen zu müssen.»