Mittwoch, Januar 15

Die indonesische Regierung sieht einen Erfolg im Kampf gegen den islamistischen Extremismus. So sicher ist das aber nicht.

In den nuller Jahren hat die Terrorgruppe Jamaa Islamiya (JI) Indonesien mit einer Blutspur überzogen: Sie hat am Heiligabend 2000 in mehreren Städten Kirchen bombardiert und im Oktober 2001 auf der Ferieninsel Bali 202 Touristen ermordet, unter ihnen 88 Australier. Ab 2003 verübte die JI eine Serie von Terrorakten gegen westliche Hotels in Jakarta und diplomatische Einrichtungen in der indonesischen Hauptstadt.

Davon beseelt, angeblich schändliche Einflüsse von Indonesien zu verbannen, wütete die JI ohne Rücksicht auf zivile Opfer. Ihr Fernziel: das Land, das traditionell für einen gemässigten Islam steht, in einen muslimischen Gottesstaat zu verwandeln.

Seit einem Monat kursiert nun ein Video im Internet, in dem die Führungsspitze der Jihadisten bekanntgibt, ihre Organisation aufzulösen. Der Beschluss wurde allem Anschein nach am 30. Juni bei einem Treffen in Westjava gefällt. In einer Erklärung bekennen sich sechzehn Unterzeichner dazu, die Gesetze der Republik Indonesien zu respektieren. Auch werde man davon absehen, extremistisches Gedankengut zu verbreiten. Etwas kurios wirkt das Versprechen der angeblich geläuterten Extremisten, «offene Fragen» mit der Anti-Terror-Abteilung der indonesischen Polizei zu besprechen.

Die Namen der Unterzeichnenden liest sich wie ein Who is Who des Islamismus in Südostasien: muslimische Kleriker und Religionsgelehrte mit zum Teil langer Gefängniserfahrung und Jihad-Einsätzen in Afghanistan oder Syrien.

Gefahr von Splittergruppen

Eine Terrororganisation, die freiwillig aufgibt – kann das sein? Das Institut für Politik- und Konfliktanalyse in Jakarta nennt in einer Analyse drei mögliche Gründe:

  1. Bei der JI hat sich der theologisch-intellektuelle Flügel durchgesetzt. Er hält religiöse Ausbildung für wichtiger als den bewaffneten Kampf;
  2. Angst vor einer Schliessung der rund zweihundert islamischen Internatsschulen, die mit der JI in Verbindung stehen;
  3. erfolgreiche Deradikalisierung einzelner JI-Führer durch die nationale Agentur für Terrorbekämpfung.

Während die Regierung sich selber auf die Schultern klopft und Erfolge bei der Deradikalisierung von Extremisten sehen will, rät der Bericht des indonesischen Instituts zu Vorsicht. Die Unterzeichner der offiziellen Erklärung besässen zwar genügend Autorität, damit ihr Entscheid auf breite Akzeptanz stosse. Die Denkfabrik, die von der Jihadismus-Expertin Sidney Jones gegründet worden ist, hält aber auch fest: «Nicht alle Mitglieder der Jamaa Islamiya werden zufrieden sein. Es ist nicht auszuschliessen, dass sich Splittergruppen formieren.»

So oder so wird die seit 2008 verbotene Terrororganisation, die laut Schätzungen 6000 Mitglieder zählt, nicht von einem Tag auf den anderen verschwinden. Gut möglich, dass sie unter einem neuen Namen weiterlebt. Auch ihr Langfristziel, das semisäkulare Indonesien in einen Gottesstaat zu verwandeln, haben die JI-Männer wohl kaum aufgegeben.

In Afghanistan radikalisiert

Das in den achtziger Jahren entstandene Terrornetzwerk strebte ursprünglich ein südostasiatisches Kalifat an. Es sollte sich von Indonesien über Malaysia bis nach Singapur, die Südphilippinen und den Süden Thailands erstrecken. Unter der Führung der indonesischen Kleriker Abdullah Sungkar und Abu Bakar Bashir knüpfte die JI enge Beziehungen zur Kaida von Usama bin Ladin. Zahlreiche Jihadisten aus Südostasien kämpften in Afghanistan gegen die sowjetischen Besatzer und kehrten radikalisiert in ihre Heimat zurück.

Seit der Terrorwelle der nuller Jahre hat sich die Lage in Indonesien jedoch beruhigt. Zum einen dürfte sich das harte Vorgehen der Behörden ausgezahlt haben. Zum anderen rückten an der Spitze der JI weniger extremistische Köpfe nach. Dennoch kam es immer wieder zu Verhaftungen, und der Staat fror Vermögenswerte von Organisationen ein, die für die JI Spenden sammelten.

In einer ersten Reaktion auf die angekündigte Auflösung haben die Behörden den Aufwand für die Beobachtung der religiösen Schulen im Dunstkreis der JI offenbar zurückgefahren. Ein Schritt, der möglicherweise verfrüht kommt. Manche Beobachter trauen dem deklarierten Gesinnungswandel der einstigen Gotteskrieger nämlich nicht. Der indonesische Extremismusexperte Noor Huda Ismail, der an der Nanyang Technological University in Singapur forscht, äusserte sich gegenüber dem Newsletter «Asia Sentinel» skeptisch: «Vielleicht ist es ein strategisches Manöver, um sich neu zu organisieren.»

Mit der Ankündigung haben es die einstigen Terroristen geschafft, sich aus der Schusslinie der Behörden zu nehmen. Ob sie tatsächlich auf eine moderate Line einschwenken, werden erst die nächsten Jahre zeigen.

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