Mittwoch, Oktober 9

Nicole Brändle gibt ihr Amt als Direktorin von Hotelleriesuisse ab, damit ihr Mann, der neue SNB-Präsident Martin Schlegel, unabhängig bleibt. Sie erzählt der NZZ, wie das für sie war. Die Geschichte eines Verzichts.

Er ist seit dem 1. Oktober Präsident der Schweizerischen Nationalbank, sie ist – noch – Direktorin des Verbands Hotelleriesuisse. Beide tragen grosse Verantwortung. Beide sind erfolgreich. Beide gehören zu den Besten auf ihrem Gebiet. Und: Sie sind verheiratet. Martin Schlegel und Nicole Brändle sind das, was man ein «Power-Couple» nennt.

Doch jüngst hat Nicole Brändle ihren Rücktritt bekanntgegeben. Im Juni 2025 tritt sie ab. Und das hat vor allem mit ihrem Mann zu tun.

Der Grund für den Rücktritt sind Spekulationen. Darüber, dass die Beziehung die Unvoreingenommenheit der Hotelleriesuisse-Direktorin und des neuen SNB-Präsidenten trüben könnte.

Martin Schlegel steuert als Notenbankchef den Kurs des Schweizerfrankens mit. Nicole Brändle ist Direktorin eines Branchenverbands, dessen Mitglieder vom Tourismus leben. Hotels, Gasthöfe und andere Beherbergungsbetriebe sind abhängig vom Wechselkurs und damit betroffen von den geldpolitischen Entscheiden der SNB.

«Es war schwierig für mich»

Nicole Brändles Rücktritt hat etwas ausgelöst. Er steht für all jene Personen, die zugunsten der Karriere ihres Partners oder ihrer Partnerin zurückgetreten sind. Oder es noch tun werden.

Mutmassliche Interessenkonflikte aufgrund von Paarbeziehungen werden häufiger in einer Zeit, in der beide, Partnerin und Partner, Ambitionen haben. Im Extremfall bedeutet ein Interessenkonflikt, dass eine der beiden Personen ihren Job aufgeben muss, damit die andere ihre Karriere weiterverfolgen kann.

Doch wie ist das für die Person, die geht?

Es braucht Mut. Und es ist meist schwierig. So sagt es Nicole Brändle. «Ich hätte nicht gedacht, dass ich so schnell zurücktreten würde. Es ist ein langer Prozess gewesen. Am Ende war es ein Vernunftentscheid.» Aber kein einfacher.

Der Verband war ihr zweites Zuhause

Nicole Brändle ist im April Direktorin von Hotelleriesuisse geworden. Davor hatte sie bereits fünf Jahre im Verband gearbeitet, zuletzt als Mitglied der Geschäftsleitung. Die Arbeit beim Verband bedeute ihr viel. «Ich habe das ganze Netzwerk, das Umfeld und die Partnerverbände gut gekannt.» Während der Pandemie sei ihr eine entscheidende Rolle im Krisenmanagement des Verbands zugekommen, schreibt auch Hotelleriesuisse. «Ich habe mich sehr gern für diese Branche eingesetzt», sagt Brändle. Der Posten sei eine Herzensangelegenheit, der Verband wie ein Zuhause.

Doch dann, nach nur fünf Monaten im Amt: der Rücktritt.

Es war eine präventive Entscheidung. «Es gab kein bestimmtes Ereignis. Es war nur so ein Gefühl, dass der Druck und die Wahrnehmung, die geschaffen wird, nicht so schnell verschwinden würden.»

Aus diesem Grund seien sie und ihr Mann zu Compliance-Experten gegangen, sagt Brändle. Diese kennten sich mit den juristischen Finessen solcher Konstellationen aus. Man habe ihnen gesagt, es liege in ihrem Fall nur eine «Interessenberührung» vor.

Also eine gewisse Überschneidung der geschäftlichen Themen, aber keine offensichtliche Beeinflussung. Kein direkter Konflikt.

Die Ehe zwischen Nicole Brändle und Martin Schlegel war juristisch demnach kein Problem für ihre beruflichen Funktionen. Die Öffentlichkeit und die Medien hätten es aber anders wahrgenommen, sagt Nicole Brändle. «Wir haben uns Gedanken gemacht, was künftige Szenarien sein könnten. Und ich bin zu dem Schluss gekommen: Ein selbstbestimmter Entscheid ist besser, als unter Druck zum Handeln gezwungen zu werden.»

Risiko für Ruf und Integrität

Die Öffentlichkeit reagiert sensibel auf Interessenkonflikte. Gerade wenn es um Paarbeziehungen geht. Die Medien verfolgten das Thema in letzter Zeit intensiver, sagt die Compliance-Expertin und ehemalige Rechtsprofessorin und Richterin Monika Roth.

Zum Fall Brändle/Schlegel sagt Monika Roth: «Als sie den Rücktritt bekanntgab, dachte ich: Das war klug.»

Nicole Brändle und Martin Schlegel hätten realisiert, dass ihre Konstellation einen Schatten werfen würde – ein Rufrisiko sei. Etwas, das man insbesondere auch ihm, dem neuen SNB-Präsidenten, immer wieder vorwerfen könne.

Aber wie ist es für Nicole Brändle, einen solchen Entscheid zu treffen und ihren Posten als Direktorin aufzugeben?

«Viele meiner Kolleginnen und Kollegen sind sehr betroffen und finden es schade.» Die meisten hätten es zwar nachvollziehen können, sagt Brändle. Aber manche hätten gefunden, es sei weit hergeholt, hier einen möglichen Interessenkonflikt vorherzusehen. «Sie hatten Mühe, das zu verstehen.»

Interessenkonflikte sind undurchsichtig

«Ein Interessenkonflikt beschreibt die Lage des ‹Dieners zweier Herren›», erklärt der Rechtsanwalt und Privatdozent Damian Fischer. Also eine Lage, in der eine Person die Aufgabe hat, fremde Interessen zu wahren. Und hierbei Entscheidungen treffen muss, mit denen sich die Person möglicherweise in einen Konflikt begibt – zu den eigenen Interessen oder solchen, die ihr von Dritten übertragen worden sind.

Das Problem: Interessenkonflikte sind oft schwer erkennbar.

Im Arbeitsrecht liest man nur Generalklauseln dazu: Die arbeitnehmenden Parteien sollen «Interessen wahren» und ihre Arbeit «sorgfältig ausführen». Allgemein gilt: Der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin ist dem Arbeitgebenden zu Treue verpflichtet.

Die Compliance-Expertin Monika Roth sagt dazu: «Jeder Interessenkonflikt ist ein Bruch der Treuepflicht.» Ab wann ein solcher Bruch in den einzelnen Fällen beginne, könnten sich aber nur wenige vorstellen.

Anstand allein reicht nicht mehr

Zum steigenden Druck der Öffentlichkeit kommt eine zunehmende Verrechtlichung bei Interessenkonflikten hinzu. Unternehmen stellten seit den 2000er Jahren immer mehr Regelungen auf, sagt Monika Roth. Sie sieht die Transparenz als notwendig an. «Schutz der Privatsphäre in allen Ehren – aber wenn mein Chef ein guter Freund von mir ist, muss ich das offenlegen.»

«Früher war der Umgang mit Interessenkonflikten im Beruf primär eine Frage von Moral», sagt auch Damian Fischer. Eine Frage von Anstand. In den vergangenen Jahrzehnten habe sich das Thema jedoch von einer moralischen auf eine rechtliche Ebene verschoben.

Hinzu kommt: Lange stellte sich die Frage, wer im Konfliktfall zurücktritt, gar nicht. Es war üblich, dass die Frau zu Hause blieb und sich um Heim und Kind kümmerte, damit der Mann Karriere machen und das Geld heimbringen konnte. Diese traditionellen Rollenverteilungen sollten heute längst überholt sein.

Nicole Brändle und Martin Schlegel haben sich vor Jahren kennengelernt, sie haben beide einmal bei der SNB gearbeitet – er direkt nach seinem Studium in der Forschungseinheit, sie von 2005 bis 2008 als Ökonomin für Finanzmarktanalysen. Acht Jahre danach reisten sie für längere Zeit nach Singapur. Martin Schlegel leitete dort die SNB-Niederlassung, sie machte einen Executive MBA an einer Wirtschaftsuniversität. Sie hatten damals bereits zwei Kinder. Ihr drittes kam in Singapur auf die Welt.

Sich enthalten oder zurücktreten

Die Vereinbarkeit von Familienleben und Karrieren wird für Brändle und Schlegel immer ein Thema gewesen sein. Eine Situation wie die jetzige gab es so bisher aber nicht. Plötzlich war da ein mutmasslicher Interessenkonflikt. Und bei wem ein solcher vermutet wird, der muss handeln.

Für den Umgang mit Interessenkonflikten gebe es eine dreistufige Vorgehensweise, sagt der Rechtsanwalt Damian Fischer. Die erste Stufe: offenlegen. Man solle den Interessenkonflikt identifizieren und dem verantwortlichen Gremium oder der Geschäftsleitung mitteilen. Die zweite: vermeiden. Eine Möglichkeit sei, in den Ausstand zu treten.

Also sich bei bestimmten Entscheidungen nicht zu beteiligen, sich bei Abstimmungen zu enthalten. Eine weitere Möglichkeit: den Job kündigen, vom Amt zurücktreten. Wie Nicole Brändle es präventiv tat.

Falls die zweite Stufe der Vermeidung nicht funktioniere, seien Interessenkonflikte auf einer dritten Stufe mit «angemessenen Vorkehrungen zu bewältigen», sagt Fischer. Man könne etwa die Genehmigung eines neben- oder übergeordneten Organs einholen.

Wenn Politikjournalisten sich in Politikerinnen verlieben

Auch der Journalist Joël Widmer hat damals einen Weg gefunden, mit dem Problem des Interessenkonflikts umzugehen. Widmer war lange Zeit als Politikchef beim «Blick» tätig. Seine damalige Frau Aline Trede war Nationalrätin bei den Grünen. Widmer sagt: «Wir haben es so gelöst, dass ich mich bei allen Themen, die meine damalige Frau oder ihre Partei betroffen haben, heraushielt.»

Als Politikjournalist schrieb er also weder über die Grüne Partei noch über die Parlamentskommissionen seiner Frau. «Das war eine Einschränkung.» Aber man könne es regeln, indem man die Problematik im Team offensiv und transparent kommuniziere.

Beispiele wie Joël Widmer und Aline Trede gibt es immer mehr. Darum seien Paarbeziehungen auch bei Bewerbungsverfahren längst Thema. Das sagt ein Experte für Recruiting, der Führungskräfte vermittelt. Er schaue sich genau an, was die Partnerin oder der Partner beruflich mache. Der Umfang dieser Überprüfungen habe in den letzten Jahren zugenommen.

Frauen gehen häufiger als Männer

Auf eine Sache sei Nicole Brändle oft angesprochen worden. Auf das «Frauenthema» – dass Leute sagten: «Jetzt ist es schon wieder eine Frau, die zurücktritt.»

Und diese Frage drängt sich tatsächlich schnell auf. Wenn es zum Interessenkonflikt kommt – sind Frauen dann häufiger diejenigen, die gehen?

In der Tendenz ja, sagen die Experten und Expertinnen. Zumindest in der Schweiz.

Dafür gebe es verschiedene Gründe, sagt Julia Nentwich. Sie ist Titularprofessorin für Organisationspsychologie an der Universität St. Gallen und forscht zu Chancengleichheit. Ein direkter Grund sei, dass Frauen tendenziell mehr Teilzeit arbeiteten als Männer und die meisten Spitzenpositionen in der Schweiz derzeit noch immer ein Vollzeitpensum verlangten. Es sei daher wahrscheinlicher, dass die Frau, die zuvor Teilzeit gearbeitet habe, reduziere. Oder gehe.

Weil der Mann mehr verdiene. Weil er einen besseren Job habe, weil er eben Vollzeit arbeiten könne.

Nentwich sagt dazu: «Eine Frau, die arbeitet, wird häufiger gefragt: Wie kannst du die Kinder alleine lassen? Während ein Mann, der zu Hause bleibt, häufiger zu hören bekommt: Warum gehst du nicht arbeiten?»

Betrachtet man die Schweiz im internationalen Vergleich, sieht man: Wenn es um Teilzeitarbeit, Elternzeit oder Lohngleichheit geht, gibt es in der Schweiz noch immer eine vergleichsweise hohe Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Das zeigen Daten der OECD und des Bundesamts für Statistik.

Nicole Brändle will weitermachen

Bei Nicole Brändle und Martin Schlegel sei es aber keine genderspezifische Frage gewesen. «Es war eine Entscheidung, die auf unseren geschäftlichen Positionen basiert», sagt sie. Ihr Mann habe sie bei all ihren Vorhaben und bei ihrer Karriere unterstützt. Sie sei am Ende die Person gewesen, die den Entscheid gefällt und kommuniziert habe.

Nicole Brändle sagt: «Das Ganze erfordert von einem Paar, dass es gut miteinander kommunizieren kann.» Dass eine Diskussion darüber stattfinden könne, wie man die beiden Karrieren am besten koordiniere. Sie selbst werde sich umorientieren. Ihr Berufsleben sei nie geradlinig verlaufen. Und sie sei offen für alles, was jetzt komme.

Auf die Frage, ob sie weiter eine Karriere verfolge, sagt Brändle schnell: «Ja, natürlich.»

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