Montag, Oktober 7

Die meisten Ameisen-Arten bilden Völker, die sich gegenseitig bekriegen. Anders die invasiven Tapinoma. Sie gründen Superkolonien mit Millionen von Tieren, die man nur noch schwer loswird. Eine Annäherung an ein Insekt, das man schnell erkennen und beseitigen sollte.

Ein unscheinbarer Parkplatz im Zürcher Oberland, von einer niedrigen Betonmauer begrenzt, links ein Flüchtlingsheim, rechts ein Firmengebäude. Auf den ersten Blick wirkt alles ruhig. Nur wer genau hinschaut, bemerkt das grosse Wuseln.

In den Ritzen, wo die Betonplatten der Mauer aufeinanderstossen, drängen sich Hunderte schwarzer Ameisen aneinander vorbei. Zwei Meter weiter verläuft schon die nächste Ameisenautobahn. Zwischen den Grasbüscheln am Fuss der Mauer, auf den Blättern der Brombeeren an ihrem Rand, auf dem Kiesboden des Parkplatzes: Überall wimmelt es von kleinen Krabblern.

Millionen Tiere arbeiten zusammen

Es sind keine gewöhnlichen Ameisen. Sie gehören zu der Art Tapinoma magnum. Sie sind eine invasive Art, mit anderen Worten: Sie gehören hier nicht hin. Ursprünglich stammen sie aus dem Mittelmeerraum, sind in Nordafrika, Spanien und Italien heimisch. Doch immer häufiger bilden sie auch in der Schweiz, in Deutschland, Frankreich und Belgien Kolonien.

Sehr zum Leidwesen der Anwohner. Denn die Ameisen entwickeln sich schnell zur Plage. Vielleicht findet man sie zunächst nur an der Gartenmauer. Doch meist dauert es nicht lange, und sie sind überall. Oft dringen sie ins Haus ein, krabbeln in die Fassaden, an manchen Orten haben sie sogar in Sicherungskästen genistet, wo sie die Kabel zerbissen und Stromausfälle ausgelöst haben.

Die Tapinoma-Ameisen verteidigen ihr Revier aggressiv. Kommt man ihnen zu nahe, krabbeln sie einem auf die Beine oder Arme und beissen unangenehm zu.

Und sie sind viele. Sehr viele.

Während bei heimischen Arten meist mehrere tausend Ameisen in einer Kolonie zusammenleben, können es bei der Tapinoma-Ameise viele Millionen Tiere sein. Man spricht von Superkolonien.

Denn im Sozialverhalten unterscheiden sich Tapinoma-Ameisen von heimischen Arten. Cleo Bertelsmeier forscht als Professorin an der Universität Lausanne zu invasiven Insekten und kennt die Tapinoma-Ameisen gut. «Normalerweise haben Ameisen nur eine Königin im Nest, und sie verhalten sich aggressiv gegenüber anderen Ameisenvölkern», sagt sie. Bei den Tapinoma sei das anders. «Da gibt es in einer Kolonie Hunderte oder sogar Tausende Ameisenköniginnen, und all die Ameisenvölker arbeiten zusammen und bilden eine riesige Einheit.»

Mit dieser Strategie verdrängen die Tapinoma einheimische Ameisenarten. Im Mittelmeerraum, wo die Tiere einheimisch sind, ist das anders. Dort gebe es weitere sehr dominante und aggressive Ameisenarten, die die Tapinoma unter Kontrolle halten, sagt Bertelsmeier. Doch nördlich der Alpen erwartet die Tapinoma keine solche Konkurrenz. Deshalb vermehren sie sich hier ungehindert und werden zur Plage.

Der Kampf gegen die Ameisen ist langwierig

Damit die invasiven Ameisen sich nicht weiter ausbreiten, braucht es Experten, die sie bekämpfen. Einer davon ist der Kammerjäger Thomas Iseli. Er bekämpft Tapinoma-Kolonien bereits seit zwei Jahren und leitet regelmässig Fortbildungen zu dem Thema für Schädlingsbekämpfer. Ihn hat man an den Parkplatz im Zürcher Oberland gerufen, nachdem die Ameisen erst in das Flüchtlingsheim und später in das Firmengebäude eingedrungen waren. Wo sich die Kolonie genau befindet, ist geheim. Denn die umliegenden Grundstückbesitzer müssen befürchten, dass ihr Bauland an Wert verliert, wenn künftige Käufer vom Befall erfahren.

«Die ganzen Hausmittel wie Zimt oder Backpulver helfen alle nicht gegen Tapinoma», sagt Iseli. Eine Kolonie komplett zu beseitigen, sei selbst für die Profis ein langwieriger Prozess. Meist müsse er monatelang regelmässig kommen. Bei den ersten Besuchen sprühe er ein Kontaktgift auf die Ameisenstrassen. Das reduziere zunächst die Anzahl der Arbeiterinnen in der Kolonie. «Den Königinnen kann das aber nichts anhaben, denn die sitzen im Nest unter der Erde.»

Um die Kolonie langfristig zu beseitigen, muss Iseli sämtliche Königinnen erwischen. Überlebt auch nur eine einzige, kann sie Eier legen und die Kolonie neu beginnen. Im zweiten Schritt legt Iseli deshalb Gelköder aus. Das Gel enthält viel Zucker, den die Ameisen als Futter brauchen, einen Lockstoff, der für sie attraktiv riecht, und ein langsam wirkendes Gift. Die Ameisen trinken von diesem Zuckergel, laufen ins Nest und verteilen die Nahrung dort – auch an die Königinnen.

Doch die Ameisen sind intelligent. Wenn sie von einer Nahrungsquelle krank werden, hören andere Ameisen der Kolonie oft auf, von dieser Quelle zu fressen oder diese Nahrung an die Königinnen zu verfüttern. Iseli trickst die Ameisen deshalb mit immer anderen Gelködern aus, deren Lockstoffe für die Ameisen unterschiedlich riechen. Auch die Anzahl der Arbeiterinnen zuerst zu reduzieren, hilft. Denn je weniger Arbeiterinnen die Kolonie hat, desto dringender sind die Königinnen auf das zusätzliche Futter angewiesen und desto wahrscheinlicher trinken die Ameisen das giftige Gel.

Doch je grösser die Kolonie sei und je mehr Königinnen dort lebten, umso schwieriger sei es, sie einzudämmen, sagt Iseli. Deshalb müsse man so schnell wie möglich eingreifen, wenn man einen Befall bemerke. «Hat man jetzt eine befallene Hektare und macht nichts, sind im nächsten Jahr zwei, im Jahr danach vier, noch ein Jahr später acht Hektaren befallen.»

Nachbarn streiten über Kosten und Gift

Doch in der Realität gehe es selten schnell. Denn für die betroffenen Anwohner gibt es zwei Hürden.

Da sind auf der einen Seite die Kosten. Die tragen die Grundstückbesitzer selbst. Die Gemeinden und Kantone koordinieren zwar die Überwachung des Befalls, aber den Kammerjäger zahlen die Behörden nicht. Je nachdem wie gross die Kolonie ist und wie viele Besuche des Kammerjägers nötig sind, können die Kosten bis zu fünfstellig werden.

Auf der anderen Seite ist das Gift. Die Mittel, die Iseli benutzt, sind für die Bekämpfung von Ameisen zugelassen. Doch nicht jeder möchte auf dem eigenen Grundstück Gift ausbringen.

Die Themen Kosten und Gift sind häufig Auslöser für Streit unter Nachbarn. Denn Kolonien haben sich häufig schon über die Grundstücke mehrerer Besitzer ausgebreitet, bevor man sie bemerkt. Die Bekämpfung kann nur dann erfolgreich sein, wenn alle sich einig werden und kooperieren. Weigert sich einer, können sich die Ameisen von seinem Grundstück aus erneut ausbreiten.

Langfristig sieht Thomas Iseli auch die vielen Regulierungen für Insektizide als Problem. «Viele der Mittel, die ich heute dabei habe, werde ich wohl bald nicht mehr benutzen dürfen», sagt er. Im Gelköder für die Ameisen befinden sich zum Beispiel Gifte aus der Klasse der Neonicotinoide. Da diese Gifte auch Insekten wie Bienen schädigen könnten, wird ihre Anwendung immer stärker beschränkt. Das sei zu kurz gedacht, sagt Iseli. Schliesslich würden die Bienen den Gelköder gar nicht essen und kämen daher mit dem Gift nicht in Kontakt. Ihm aber dürfte bei der Bekämpfung der invasiven Ameisen demnächst ein Werkzeug weniger zur Verfügung stehen.

Tapinoma kann man am Geruch erkennen

Ganz wird man die Ausbreitung der Tapinoma-Ameisen wohl nicht mehr verhindern können. Seit man 2007 im Kanton Genf den ersten Schweizer Fall von Tapinoma entdeckt hat, konnte die Art an vielen Orten Kolonien etablieren, beispielsweise in Cully im Kanton Waadt und in Oetwil an der Limmat im Kanton Zürich. In Deutschland kämpfen derzeit einige Städte in Baden-Württemberg mit Schädlingsbefall. Auch eine Ausbreitung weiter in den Norden Europas ist denkbar, denn die Tapinoma-Ameisen halten Kälte gut aus.

Am stärksten dürfte es bisher wohl Kehl getroffen haben. Die Ameisen würden die Einwohner des betroffenen Stadtteils «zur Verzweiflung bringen», heisst es auf der Homepage der Stadt. «Das ist richtig krass», sagt David Altendorf von der Schädlingsbekämpfungsfirma Kleinlogel über die Lage dort, «das habe ich so noch nie gesehen.» Ein Spielplatz musste wegen der Ameisen bereits gesperrt werden, er ist komplett untertunnelt.

Wer nun mit besorgtem Blick das Ameisennest im Garten anschaut und sich fragt, ob es sich um heimische Ameisen oder um invasive Tapinoma handelt, für den hat Iseli zwei Tipps. Erstens: genau hinschauen. Sind die Ameisen alle etwa gleich gross, ist es wahrscheinlich eine heimische Art. Bei den Tapinoma können die Arbeiterinnen unterschiedlich gross sein, zwischen 3 und 5 Millimetern. Zweitens: genau schnuppern. Wenn man Tapinoma-Ameisen zerdrückt, verströmen sie einen charakteristischen chemisch-süsslichen Geruch, der an Blauschimmelkäse erinnert.

Aufmerken sollte man auch, wenn in der Gegend kürzlich gepflanzt wurde. Denn Tapinoma-Ameisen breiten sich in Europa vor allem über den Handel mit Mittelmeerpflanzen aus. Besonders Palmen oder Olivenbäume, die in grossen Töpfen mit Erde transportiert werden, sind riskant. Denn in der Erde können sich kleine Nester von Ameisen verstecken und so an einen neuen Ort gelangen. Viele neue Vorkommnisse in Deutschland und der Schweiz konnten auf befallene Gartencenter zurückgeführt werden.

Erhärtet sich der Verdacht auf Tapinoma-Ameisen, sollte man schnell einen Kammerjäger anrufen. Am besten, man ist freundlich zu ihm. Denn man wird ihn wahrscheinlich in den nächsten Monaten häufig sehen.

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