Mittwoch, Januar 8

Trotz ihrem einstigen Erfolg war ihr Schaffen bisher kaum erforscht. Diese Lücke schliesst die Alte Pinakothek in München mit einer fulminanten Retrospektive zu Rachel Ruyschs Werk.

Sie waren eine Minderheit, doch es hat sie schon in früheren Jahrhunderten gegeben: hochbegabte Malerinnen, die sich trotz Einschränkungen und Hindernissen durchsetzten und aus der Anonymität heraustreten konnten. Zu diesen Ausnahmekünstlerinnen zählte auch die gefragteste Kunstschaffende der niederländischen Barockmalerei: Rachel Ruysch (1664–1750). Ihrem Vater, einem renommierten Professor für Botanik und Anatomie, verdankte sie die Motive, die sie berühmt machten: Blumenstillleben, bevölkert von kleinen Lebewesen.

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Trotz ihrem einstigen Erfolg war ihr Schaffen bisher kaum Gegenstand der kunsthistorischen Forschung. Diese Lücke schliesst jetzt die Alte Pinakothek in München, indem sie Ruysch die weltweit erste umfassende Retrospektive widmet. Auch dank dem in englischer Sprache publizierten wissenschaftlichen Katalog fällt neues Licht auf die Verbindungen von Kunst und Wissenschaft im 17. und 18. Jahrhundert.

Die in Den Haag geborene Rachel Ruysch übersiedelte 1667 als dreijähriges Kind mit den Eltern nach Amsterdam, wo ihr Vater erster Direktor des Botanischen Gartens wurde. So hat es für die angehende Künstlerin an lebendiger Anschauung von Gewächsen aller Art, auch exotischen Pflanzen aus den niederländischen Kolonien, nie gefehlt. Ferner war für sie die Naturaliensammlung des Vaters eine wichtige Inspirationsquelle.

In den späten 1670er Jahren trat sie in die Werkstatt des Stilllebenmalers Willem van Aelst ein. Sie blieb dort bis zu seinem Tod 1683. Das erste Bild, das man von ihr kennt, hatte sie zwei Jahre zuvor geschaffen: eine Girlande mit Blumen und Früchten vor einer Nische – ein Werk, das sich an ähnliche Sujets von Abraham Mignon, Jan Davidszoon de Heem und dessen Sohn Cornelis anlehnt.

Illusionistische Effekte

Weiter stand Ruysch zu Beginn ihrer Laufbahn auch unter dem Einfluss von Otto Marseus van Schrieck, von dem ihr kunstverständiger Vater einige Werke besass. Sie übernahm van Schriecks Verfahren, tote Schmetterlinge in die noch feuchte Farbe zu pressen und dann abzulösen, wobei Flügelschuppen und Härchen auf der Malschicht zurückblieben, was den illusionistischen Effekt der Gemälde noch steigerte.

Wie van Schrieck pflegte Rachel Ruysch die Gattung der Waldstillleben. Da entdeckt man zum Beispiel im Rotterdamer Gemälde «Baumstamm mit Blumen, Schmetterlingen und Tieren» von 1685 minuziös ausgeführte Pflanzen und Insekten. Raupen, Reptilien und Amphibien belauern und bedrohen sich in dem Kasseler «Blumenstillleben am Waldboden». Hier wie dort blickt man auf dunkles Unterholz, auf verdorrtes Wurzelwerk mit Astlöchern, umgeben von Moos und Steinblöcken. Mit der abgestorbenen Natur kontrastieren leuchtende Blumen.

Im ersten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts schuf Ruysch bereits üppige Bouquets. Deren Komposition lässt in Anlehnung an Gestaltungsprinzipien ihres Lehrers van Aelst häufig eine geschwungene S-förmige Vertikalachse erkennen. Das verleiht ihren Stillleben eine graziöse Leichtigkeit. Ruyschs Ruf als führende Blumenstilllebenmalerin war nun gefestigt. Sie wurde rasch zur Spezialistin für hochkarätige Kompositionen, zum Star in ihrem Fach, das sich damals grösster Beliebtheit erfreute.

«Stillleben mit Früchten und einem Vogelnest», 1710 (links); «Blumenstück», um 1682.

Ruysch verstand es, Blumen, Früchte und Tierchen aus verschiedenen Kontinenten mit feinster Beobachtungsgabe und brillanter Farbgebung bis ins Detail zu porträtieren, die Textur der Blätter und Pflanzen haptisch greifbar zu machen. Dabei ist klar erkennbar, wie sie die Bildgegenstände inszeniert. Rosen, Tulpen, Nelken, Anemonen, Iris, Hyazinthen, Lilien, Mohn und viele andere Sorten hat sie immer wieder neu kombiniert. Mit Vorliebe breitete sie die üppigen Sträusse extensiv aus, so dass eine Steinplatte, die als Standfläche dient, oder eine Vase in der pflanzlichen Fülle fast aus dem Blickfeld verschwinden.

Ein typisches Merkmal der niederländischen Blumenmalerei im 17. Jahrhundert war das Arrangieren von Blumen, die zu verschiedenen Jahreszeiten blühen. Das praktizierte auch Rachel Ruysch und beweist, dass sie nicht nur direkt nach der Natur arbeitete, sondern anhand von Pflanzenstudien oder mithilfe von farbigen Abbildungen in botanischen Handbüchern malte.

Zwischen Düsseldorf und Amsterdam

Nach 24 Jahren künstlerischen Schaffens, auf dem Höhepunkt ihrer fulminanten Karriere, eroberte die Malerin 1701 die Männerwelt der Zünfte. Als weibliches Mitglied wurde Ruysch in die Haager «Confrérie Pictura» aufgenommen. Sie konzentrierte sich nun auf das Malen von grossformatigen Blumenstillleben, zum Teil kombiniert mit plastisch wiedergegebenen Früchten.

1708 berief Kurfürst Wilhelm von der Pfalz, der ihr bedeutendster Auftraggeber wurde, Ruysch als Hofmalerin nach Düsseldorf. Auch ihr Ehemann, der Porträtist Juriaen Pool, stand in den Diensten des Kurfürsten. Nachgewiesen ist, dass das Künstlerpaar aus familiären Gründen in den Niederlanden wohnen blieb, Rachel aber mehrfach an den Hof am Rhein reiste.

Das Paar hatte zehn Kinder, von denen sechs das Erwachsenenalter erreichten und die von der vielbeschäftigten Malerin selbst aufgezogen wurden. Von der Wertschätzung, die Ruysch vonseiten des Kurfürsten erfuhr, zeugt auch die Tatsache, dass er und die Kurfürstin die Patenschaft von Ruyschs jüngstem Sohn übernahmen und zu dessen Taufe persönlich nach Amsterdam reisten.

Unter dem Mäzenatentum des Kurfürsten malte Ruysch einige ihrer Glanzstücke: virtuose Bilder, die in monatelanger Arbeit entstanden. Die Preise für ihre Werke stiegen im Lauf der Zeit derart an, dass es sich die Künstlerin leisten konnte, ihre Produktion zu reduzieren. Hinzu kam 1723 ein riesiger Lottogewinn, der sie finanziell vollends unabhängig machte.

Malen bis ins hohe Alter

Ein Charakteristikum von Rachel Ruyschs Schaffen ist der Kontrast von Hell und Dunkel. Während sie die Blumen im Vordergrund in kräftigen und leuchtenden Farben erstrahlen lässt, taucht sie die weiter hinten gruppierten in den Schatten und gewinnt daraus Tiefenwirkung. Oft streut sie Blätter und Stiele in neutralisierendem Grün zwischen die Blüten, was deren Kolorit noch intensiviert – ein von ihr entwickeltes Gestaltungsmittel.

Angeregt durch das französische Rokoko, bevorzugte Ruysch gegen Ende ihres fast siebzigjährigen Schaffens ein lichteres Kolorit und einen aufgehellten Hintergrund. Auffallend ist, dass ihre späten Gemälde nicht nur das Datum ihrer Entstehung und die Signatur aufweisen, sondern auch das Alter der Malerin festhalten, wohl um zu dokumentieren, dass sie immer noch zu Höchstleistungen fähig war.

«Stillleben mit exotischen Früchten auf einem Marmorsims», um 1735 (links); «Blumenstillleben in einer Glasvase auf einem Marmorsims», 1710.

Erstmals werden in der Münchner Schau Rachel Ruyschs Werke mit den kaum bekannten Blumenstillleben ihrer um zwei Jahre jüngeren, ebenfalls hochbegabten Schwester Anna zusammengeführt. Von ihr sind bis heute etwa zwanzig Arbeiten bekannt. Die Ausstellung weist nach, dass die zwei Schwestern sehr ähnliche Bilder malten. Anna heiratete einen Farbenhändler und führte nach dessen Tod das Geschäft weiter.

Mit einzelnen Werken sind auch de Heem, van Schrieck und Mignon sowie Maria van Oosterwijck, vor Ruysch die führende Blumenmalerin der Niederlande, und die Illustratorin Alida Withoos in der Ausstellung vertreten. In den Gegenüberstellungen erweist sich Ruyschs überragende Meisterschaft immer wieder durch die unvergleichliche Leuchtkraft ihres Kolorits und den Erfindungsreichtum ihrer Kompositionen.

Über die florale Augenweide hinaus verleiht die breit gefächerte Einbeziehung von wissenschaftlichen Publikationen, Präparaten, Instrumenten und schriftlichen Zeugnissen der Münchner Schau den Rang eines faszinierenden zeitgeschichtlichen Panoramas an der Schnittstelle von Kunst und Naturkunde.

«Rachel Ruysch. Nature into Art», Alte Pinakothek München, bis 16. März. Anschliessend Toledo Museum of Art, Ohio, 13. April bis 7. Juli; Museum of Fine Arts, Boston, 23. August bis 7. Dezember.

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