Mädchen würden nur noch Strassenschilder lesen und ihre psychischen Störungen seien für viele wie Trophäen, klagt die deutsche Autorin. Wie kommt sie zu einem so negativen Befund?
Jana Frey beschreibt ihre Jugend in den 1980er Jahren als holpriges Unterwegssein. Man wird durchgeschüttelt: Da war man gerade noch atemlos glücklich, und schon will man wieder verzweifeln. Man wähnt sich allein auf der Welt, und plötzlich wirkt alles, was noch kommen wird, wie eine Verheissung.
Weil die 56-Jährige sich an diese Zeit so intensiv erinnert, begann sie Kinder- und Jugendbücher zu schreiben. Über hundert sind es bis heute, publiziert im Loewe- oder im Arena-Verlag und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Die Bücher für die Kleineren heissen «Streiten gehört dazu, auch wenn man sich lieb hat» oder «Gute Nacht, ihr lieben Tiere». Die Romane für die Grösseren tragen Titel wie «Ich nenn es Liebe» oder «Höhenflug abwärts».
In den Geschichten geht es um die Sorgen und Nöte von jungen Menschen, wie sie jede Generation kennt. Liebe und Sexualität, das Hadern mit dem eigenen Körper, aber auch krassere Erfahrungen: frühe Schwangerschaft, das Abgleiten in Drogen.
Vom Handy abgestumpft
In den letzten Jahren hat Frey jedoch kaum mehr Bücher veröffentlicht. Das habe damit zu tun, sagt die Autorin im Gespräch, dass die Verkaufszahlen eingebrochen seien. Hat sie einst von ihren erfolgreichsten Titeln bis zu 60 000 Bücher verkauft, waren es bei den letzten Büchern noch 2500 bis 3000 Exemplare.
Entsprechend bleiben auch die Anfragen für Lesungen aus, die sie früher ständig vor Schulklassen machte. Sie wird immer noch dafür engagiert, aber viel seltener. Was sie dabei erlebt, bewog sie vor kurzem, einen Text zu schreiben. Dieser erschien in der «Welt» unter dem Titel «Diese Gespräche mit Mädchen machen mich fassungslos». Es gingen dazu 1500 Kommentare ein.
Frey wundert sich darin über Mädchen, die über nichts mehr miteinander zu reden wüssten. Alle starrten in ihre Smartphones und schauten sich auf Tiktok Videos an. Wolle man sie in ein Gespräch verwickeln, zum Beispiel über Politik, so sei für sie Donald Trump «voll der Kriegstreiber», ohne dass sie begründen könnten, warum.
Sexualisierte Selbstdarstellungen
Sie posierten mit «duck face» für Selfies und seien für ihr Alter zu stark geschminkt. Selbst Jugendliche in der Vorpubertät seien zurechtgemacht, oft regelrecht sexualisiert, als gingen sie auf den Babystrich. Im Gegensatz zu ihnen: die vollverschleierten Mädchen.
Dann gebe es die Mädchen des Typus «rosa Haare und lustiges, kariertes Hemd», die häufig in der Jugendpsychiatrie seien, schreibt Frey. «Sie trägt ein Palästinensertuch, und ich weiss von ihr, sie ist jetzt ein Junge. (Pronomen: he/him).»
Als Jugendbuchautorin beklagt Frey vor allem das fehlende Interesse für Literatur. Neulich habe ihr eine Gymnasiastin aus der neunten Klasse gesagt, sie hasse Bücher. Auf Freys Frage, ob sie wenigstens Mangas oder Comics lese, habe sie geantwortet: «Also ich lese mehr so Strassenschilder.»
Sie fühle sich den Mädchen in diesem Alter nahe, interessiere sich für ihre Welt, schreibt Frey: «Doch zum ersten Mal finde ich zu ihnen keinen Zugang.»
Frey, so macht es den Anschein, sammelt hier die denkwürdigsten Begegnungen, um pauschal ein Urteil über die weibliche Hälfte der Generation Z zu fällen. Dabei hat sie selber drei Töchter (und einen Sohn): Die älteste ist über dreissig, ihre Zwillingsmädchen sind sechzehn. Wie kommt die Autorin zu ihrem dermassen negativen Urteil?
Wer sich ritzt, wird bewundert
Nichts an ihrem Text sei übertrieben, sagt Frey, die in Süddeutschland lebt, am Telefon. In den dreissig Jahren, in denen sie Lesungen mache, habe sie eine grosse Veränderung bemerkt. Frage sie die Kinder, weil eines ihrer Bücher davon handelt: «Habt ihr schon einmal einen Staudamm gebaut? Wisst ihr, wo die Südsee liegt?», werde dies verneint.
Ist die Klage, dass es mit der Jugend immer schlimmer werde, nicht bloss eine Alterserscheinung? Klar, man verkläre die eigene Jugendzeit gerne, sagt sie. «Der Walkman früher war Musik zum Anfassen, jetzt hören alle Spotify.» Dennoch werde ihre Sicht durch Zahlen bestätigt: Immer mehr junge Frauen brauchten psychologische Hilfe: «So krank waren die Jugendlichen noch nie.»
Anders als früher verberge man dies auch nicht mehr, etwa, wenn sich ein Mädchen selbst verletze. Die vom Ritzen vernarbten Arme zeige man wie Trophäen her, oder man poste Selfies aus der Jugendpsychiatrie: «Man ist damit jemand.»
Eigene linke Sozialisation
Frey wuchs in einem linken Haushalt auf, wo viel diskutiert wurde, auch über Politik. Ihr Stiefvater ist der Schweizer Schauspieler Hans-Jörg Frey, der am Theater Basel und am Thalia-Theater in Hamburg arbeitete. Als Jugendliche ging sie gegen Atomkraft demonstrieren. Auch deshalb stören sie fehlende Ambitionen.
Wer liest, vergrössert seine Welt in der Phantasie. Sie habe Bücher wie «Emil und die Detektive», «Nesthäkchen», oder «Die Kinder aus der Krachmacherstrasse» geliebt, sagt sie. Die Kinder heute hätten keine Lieblingsautoren mehr, dafür wüssten sie, wer die Kardashians seien. Auch den Älteren würden Simone de Beauvoir oder Hermann Hesse nichts mehr sagen. Sie meint: «Jugendliche werden dümmer. Das tut mir weh.»
Es gibt sie allerdings noch, die vorbildlichen Mädchen. Zu solchen erzieht sie ihre sechzehnjährigen Zwillinge. Diese gehen in die Waldorfschule. Tiktok und Instagram haben sie nicht auf ihren Handys. Frey verbietet es ihnen. Die Mädchen singen im Chor, spielen Theater. Aber dafür fänden sie immer weniger Gleichgesinnte.
Man kann Jugendliche nicht allein verantwortlich machen für ihr Verhalten, deshalb nimmt sie die Eltern in die Pflicht, die Kinder wollten, weil Kinder in eine Biografie gehörten, aber beide berufstätig seien und ihr Kind fremdbetreuen liessen. Sagt sie, die immer gearbeitet hat. Klar, dass Ritzen oder Magersucht dann ein Hilferuf seien. «Die Mädchen wollen gesehen werden.»
Was ist mit den Jungs? Diese gäben auch Anlass zur Sorge. Man treibe ihnen ihre Wildheit aus, sie erlebe sie als gedämpft und ausgebremst. Sie kämen mit der neuen Rolle aber besser zurecht.
Verlage fürchten das N-Wort
Freys Frustration hat noch mit etwas anderem zu tun. «Die Verlage schreiben ihren Autoren heute vor, was erlaubt ist.» Wörter wie das N-Wort seien auf dem Index. Stattdessen werde man aufgefordert, Regenbogenfamilien in die Geschichten einzubauen.
Das verleidet ihr das Bücherschreiben. Sie schreibe keine Trigger-Warnungen, nur weil sich Verlage vor dem woken Zeitgeist fürchteten. Sie zitiert sinngemäss J. K. Rowling in «Harry Potter»: «Wir fürchten uns doch nicht vor Worten.»
Von ihr kann man das nicht behaupten.