Montag, November 25

Die Leverkusener gelten zurzeit als die Meisterfavoriten in der Bundesliga. Aber mit dem Gewinnen von Titeln haben sie sehr wenig Erfahrung. Zur Not greifen sie nun sogar zur Brechstange – aber das auf kultivierte Art.

Kein Team in Deutschland spielt besseren Fussball als Bayer Leverkusen. Das wäre, für sich genommen, keine Aussage, die einen Neuigkeitswert hätte. Denn Leverkusen ist ein Team, das traditionell mit gediegener Fussballschule in Verbindung gebracht wird. Spektakulär waren die Auftritte unter dem Trainer Christoph Daum zum Jahrtausendwechsel, noch fulminanter diejenigen unter Klaus Toppmöller. Auch die Arbeit von Jupp Heynckes ist in guter Erinnerung geblieben.

Sie alle festigten Leverkusens Ruf als eine Hochburg des gepflegten Fussballs. Nur an Titeln gebricht es dem Klub, ganz gleich, wer dort auf der Trainerbank sass: Leverkusen verstand es nie, sich im entscheidenden Moment durchzusetzen, weswegen dem Klub der wenig schmeichelhafte Beiname «Vizekusen» anhängt.

18 Spiele, 15 Siege, keine Niederlage

Umso erstaunter wird registriert, was in Leverkusen gegenwärtig vor sich geht. In der Bundesliga ist als einzige Mannschaft jene des baskischen Trainers Xabi Alonso noch ungeschlagen; von 18 Spielen gewann sie 15. Und noch verblüffender ist die Art und Weise, wie Leverkusen die Siege erringt. Die Equipe gibt erst Ruhe, wenn sie in der Kabine ist. Das war gegen Augsburg so, als viele schon glaubten, Leverkusen gebe sich mit einem Unentschieden zufrieden. Und erst recht jüngst gegen Leipzig, einen Konkurrenten um einen Spitzenplatz.

In der 94. Minute traf der Ecuadorianer Piero Hincapié zum Sieg. Zur Not greift Leverkusen eben zur Brechstange – aber das auf kultivierte Art. Und so wirkt das Leverkusener Spiel unter dem Trainer Alonso flüssig und robust zugleich, wie aus einem Guss. Kein Vergleich zur kriselnden Konkurrenz aus München, wo inzwischen schon Wetten laufen, ob Thomas Tuchel zum Saisonende noch auf der Bank sitzt. Der Vorsprung der Leverkusener auf den FC Bayern ist derart angewachsen, dass sie sich gar eine erste Niederlage erlauben könnten. Am 10. Februar steht das Direktduell dieser Teams an.

Von Xabi Alonso etwas über den Erfolg seines Teams zu erfahren, ist nicht einfach. Er ist zwar freundlich und bemüht sich, sämtliche Fragen auf Deutsch zu beantworten. Aber er gibt bei weitem nicht so bereitwillig Auskunft wie der Kollege Tuchel, bei dem viele Reporter noch gar nicht begriffen haben, was für ein Glücksfall er für ihre tägliche Arbeit darstellt. Über Xabi Alonso reden eher andere. Einer ist Granit Xhaka, der Schweizer Captain, mit dem sich Leverkusens Spiel fundamental verändert hat, seitdem er im letzten Sommer vom FC Arsenal kam. Er kennt den Trainer sogar aus Zweikämpfen auf den Spielfeldern der Bundesliga.

Xhaka spielte noch gegen seinen Trainer Alonso

Denn als Alonso bei den Bayern spielte, organisierte Xhaka das Mittelfeld von Borussia Mönchengladbach. Von drei Duellen mit den Bayern verlor Gladbach mit Xhaka keines. Von der Position her waren sich die beiden ähnlich, auch von der Mentalität her. Es waren die Leaderqualitäten, die Xhakas Auftritte mit der Borussia ebenso auszeichneten wie diejenigen Alonsos in München. Über den einstigen Gegenspieler Alonso sagte Xhaka der NZZ: «Er war extrem unangenehm. Dank seiner Cleverness, seiner Passsicherheit und seinem Timing kam man gar nie ins Pressing gegen ihn.»

Diese Erfahrung reiche der Trainer Alonso auf kurzem Wege an seine Spieler weiter, sagt Xhaka. Nicht nur junge Profis könnten davon profitieren, auch er mit seiner Erfahrung habe viel davon: «Ich habe das Gefühl, dass ich hier in Leverkusen in dieser Beziehung nochmals einen Schritt vorwärtsgemacht habe. Er gibt uns mit kleinen Details mit, was aus einem guten Mittelfeldspieler einen Topmittelfeldspieler macht.»

Für seine Spieler ist Xabi Alonso also Mentor und Antreiber in einer Person. Die Profis hatten anfangs gar nicht glauben können, dass sie nun mit einem Kaliber wie ihm auf dem Fussballplatz stehen. Alonso ist ein äusserst aktiver Übungsleiter. Gern kickt er mit seinen Eleven mit, die so auf ganz praktische Weise erfahren, was für ein Fussballer ihr Coach einmal war: ein herausragender Stratege im defensiven Mittelfeld bei seinen Klubs in Liverpool, Madrid und München. Und im spanischen Nationalteam, mit dem er Welt- und Europameister wurde.

Als Trainer zählt Alonso zur raren Spezies der Charismatiker. Aber er wird nicht nur für seine Aura gerühmt, der 42-Jährige gilt als detailversessen. Als Indiz für seine Gewissenhaftigkeit wurden jüngst die Eckbälle genannt, dank denen Leverkusen in Leipzig zum Sieg kam. Aus einem solchen Sinn für Kleinigkeiten würde sich ein Unterschied ergeben, wenn es drauf ankommt. Der Trainer-Konkurrent Thomas Tuchel reagierte pikiert, als er auf die in letzter Zeit erfolglosen Standardsituationen seines Bayern-Teams angesprochen wurde – er verwies darauf, dass es auch schon anders gewesen sei.

Tuchels Reaktion hat etwas für sich. Kein Trainer auf diesem Niveau kann es sich leisten, die Arbeit an Details zu vernachlässigen. Es deutet wohl eher darauf hin, dass der Trainer Alonso bereits jetzt ein wenig verklärt wird. Bloss ist sein Einfluss unbestreitbar; die Mannschaft vertraut auf seine Direktiven, die sich bisher als erfolgreich herausstellten.

This is Xabi Alonso

Es geht auch ohne den Stürmer Boniface

Dabei ist es müssig, über Stärken und Schwächen zu räsonieren. Leverkusen funktioniert als Team, zudem verfügt es über hervorragende Individualisten. Florian Wirtz ist mit seinen zwanzig Jahren nicht nur das grösste Talent des deutschen Fussballs – er tritt bereits jetzt als ein Leader auf. Und zu Beginn der Saison wäre ganz sicher Victor Boniface zu den Leverkusener Stützen gezählt worden, der Mittelstürmer, der aus der belgischen Liga gekommen war.

Boniface trumpfte derart auf, dass manche meinten, die Bayern dafür schelten zu müssen, dass sie Harry Kane verpflichtet hatten und nicht den Nigerianer. Zwar ist die Symbiose von Geschmeidigkeit und Wucht, die Boniface aufs Feld bringt, beeindruckend. Nur hat er eben auch eine lange Verletzungsgeschichte, weswegen er vielleicht in Leverkusen und nicht in der englischen Premier League gelandet ist. Jetzt, wo er ausfällt und Leverkusen unverändert erfolgreich spielt, wird vielmehr noch klarer, wie robust das Team im Kern ist. Was also fehlt ihm noch zum Meistertitel?

Womöglich die Erfahrung, eine Niederlage überwinden zu können. Anderseits könnte der Masterplan Alonsos auch lauten, die Mannschaft ohne Niederlage zum Meister zu machen.

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