Freitag, November 1

2022 lehnte das Volk die Massentierhaltungsinitiative ab. Lanciert wurde es von der Denkfabrik «Sentience Politics», die die Tierrechte-Diskussion neu ausgerichtet hat. Diese kämpft nun mit Problemen.

Nur wenige politische Fragen haben seit der Annahme des ersten schweizerischen Tierschutzgesetzes 1978 einen derart rasanten Bedeutungszuwachs erlebt wie das Tierwohl. Und dies, obwohl das Thema bei keiner einzigen Partei zum Kerngeschäft gehört. In den letzten Jahren gehörte die 2013 gegründete Denkfabrik Sentience Politics zu den treibenden Kräften auf diesem Gebiet. Gleich mehrfach sorgte sie mit ihren Projekten schweizweit für Aufsehen.

So lancierte sie 2018 die eidgenössische Volksinitiative zur Abschaffung der Massentierhaltung, die vier Jahre später mit 63 Prozent Nein-Stimmen verworfen wurde. Noch mehr Aufmerksamkeit erreichte ein kantonales Vorhaben, das Sentience Politics ausgerechnet im Pharma-Kanton Basel-Stadt an die Urne brachte: Primaten-Affen sollten Grundrechte erhalten. Doch auch dieses Volksbegehren scheiterte.

Rückgang bei den Einzelspenden

Mit solchen Vorhaben versucht Sentience Politics, dem Tierschutz zu einem moderneren Anstrich zu verhelfen. Nun aber droht beim Verein das Geld knapp zu werden. Sentience Politics verzeichnet in diesem Jahr eine dramatische Einbusse bei den Einzelspenden. Die Rede ist von einem Rückgang von bis zu 50 Prozent. Das bestätigt Philipp Ryf, Geschäftsführer bei Sentience Politics, auf Anfrage.

Spenden sind die zentrale Einnahmequelle des Vereins. Schon im Jahr 2023 verzeichnete er einen starken Rückgang von über 400 000 auf deutlich unter 200 000 Franken. Doch weil 2022 mit der Massentierhaltungs- und der Primaten-Initiative ein ausserordentliches Kampagnenjahr war, waren höhere Einnahmen und Ausgaben erwartbar, und der Rückgang im Folgejahr teilweise kalkuliert. Doch die fehlenden Spenden im laufenden Jahr gehen an die Substanz.

Zu rechnen ist mit einem spürbaren Personalabbau, was Ryf gegenüber der NZZ allerdings nicht bestätigen will. Zu den besten Zeiten waren auf der Website des Vereins bis zu zwölf Teammitglieder aufgeführt. Derzeit verfügt er noch über 400 Stellenprozente.

Peter Singer gehört zu den Anhängern der Denkschule

Zu den Gründen für den Rückgang erklärt Ryf, viele andere Organisationen kämpften seit Corona und der Energiekrise mit ähnlichen Problemen. Als Folge der internationalen Entwicklung stünden derzeit andere Themen als der Tierschutz im Vordergrund. Ausserdem sei nach den beiden Abstimmungen die Sichtbarkeit von Sentience Politics zurückgegangen.

Sentience Politics stellt den sogenannten Antispeziesismus in den Vordergrund. Diese Denkschule geht davon aus, dass die Einteilung von Tieren (und des Menschen) in verschiedene Arten keine Grundlage hat und alle empfindungsfähigen Lebewesen gemäss ihren Interessen behandelt werden müssten. Daraus folgt nach Ansicht des Vereins, dass die Tiere Inhaber von Rechten sein können müssen.

Seine Ursprünge hat der Antispeziesismus in den siebziger Jahren. Prominente Figuren wie der australische Philosoph Peter Singer vertreten die Lehre. Sentience Politics verfolgte teilweise radikal anmutende Ideen, bis hin zu einer fleischlosen Gesellschaft: «Wenn zum ersten Mal einigen nichtmenschlichen Tieren Grundrechte zugestanden werden, wird es später leichter werden, Schweinen, Kühen und Hühnern ähnliche Rechte zu gewähren», schrieb die Denkfabrik im Zusammenhang mit der Primaten-Initiative in einem internen Papier.

Es fehlen die zugkräftigen Projekte

In den letzten Jahren ist Sentience Politics immer wieder mit publikumswirksamen Initiativen aufgefallen. Ab 2014 lancierte der Verein in mehreren Städten Initiativen, um Kantinen dazu zu verpflichten, jeden Tag ein veganes Menu anzubieten. Auch der heutige Bundesrat Beat Jans gehörte damals zu den Promotoren an vorderster Front. Die Idee löste riesige Resonanz, aber auch heftige Reaktionen aus. Doch für Sentience Politics zahlte sich die Kontroverse aus: In Zürich und Luzern wurden Gegenvorschläge zu den Kantinen-Initiativen angenommen. Heute sind vegane Menus fast überall normal.

Das Fehlen aufsehenerregender Forderungen dürfte zur Schwächung des Vereins beigetragen haben. Derzeit sammelt Sentience Politics Unterschriften für eine Petition gegen sogenannte Qualzuchten. Eine andere Petition zielt darauf ab, «das Leid von Bienen, Ratten, Tauben und Fischen ernst zu nehmen».

Solche Kampagnen locken kaum jemand hinter dem Ofen hervor. Zwar hätten die finanziellen Schwierigkeiten keine Auswirkungen auf die Kampagnenfähigkeit, versichert Philipp Ryf. Am Ende sei der Verein keineswegs: «Doch wir müssen wieder stärker auf Projekte fokussieren, die auch mit Blick auf das Fundraising spannend sind.»

Exit mobile version