Die Hanseaten sind wieder erstklassig. Und schon meldet sich das alte Anspruchsdenken zurück.

Manche Fussballklubs werden mit Symbolen assoziiert, die auf den ersten Blick wenig mit Fussball zu tun haben. Beim 1. FC Köln ist es der Geissbock, das Wappentier, das seit Jahrzehnten an der Seitenlinie präsent ist. In verschiedenen Inkarnationen hat er zahlreiche Abstiege des Traditionsklubs miterlebt, der sich seit diesem Wochenende wieder erstklassig fühlen darf.

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Im Fall des Hamburger SV ist es ein Gegenstand, der lange für eine einzigartige Kontinuität stand: eine Stadionuhr, die anzeigte, wie lange der HSV in der ersten Bundesliga verweilte. «Immer erste Klasse» – das war über Jahrzehnte der Wahlspruch der Hamburger, die sich als einziges Gründungsmitglied der Bundesliga so lange in der Eliteklasse behaupteten.

Doch 2018 – nach mehreren vergeblichen Anläufen – war der Abstieg in die zweite Liga nicht mehr zu vermeiden. Seitdem waren die Hamburger, trotz dem grössten Etat der Liga, reichlich Spott ausgesetzt, zumal der Lokalrivale FC St. Pauli aufstieg und in diesem Jahr die Spielklasse hielt.

Keine hanseatische Zurückhaltung

Nun ist die Zeit in der zweiten Liga für den HSV, der aufgrund seiner langen Bundesliga-Zugehörigkeit «Dino» genannt wurde, vorbei. Am Samstag gelang mit dem 6:1-Sieg im Hamburger Volkspark gegen Ulm der Wiederaufstieg. Und die Erwartungen an glanzvolle Zeiten dürften im Norden nun wieder spriessen. Bescheidenheit zählte beim HSV noch nie zu den Tugenden, ganz gleich, wie oft die hanseatische Zurückhaltung sonst beschworen wird.

Die Hoffnungen fussen auf einem Coach, der sein Handwerk versteht: Merlin Polzin ist mit 34 Jahren einer der jüngsten Profitrainer, die je ein Bundesligateam trainiert haben. Was die Hamburger aber besonders begeistert, ist, dass er einer der Ihren ist. Ein Hanseat durch und durch, der aber den Umweg über Osnabrück gehen musste, ehe er wieder zum HSV gelangte, für den er gerne als Profi gespielt hätte, wenn eine Arthrose die junge Karriere nicht gestoppt hätte. In Osnabrück war er als Co-Trainer von Daniel Thioune tätig, der seinen Assistenten mitnahm, als er in Hamburg zum Cheftrainer berufen wurde.

Thioune, dem sich Merlin Polzin in Osnabrück während seines Studiums als Spielbeobachter angeboten hatte, scheiterte allerdings ebenso wie der bizarre Tim Walter. Auch Steffen Baumgart, der vielen als Garant für den Wiederaufstieg galt, kam in Hamburg nicht zurecht. So wurde der Weg frei für Merlin Polzin. Zunächst bloss als Interimslösung gedacht, erledigte er den Job so bravourös, dass sich niemand mehr getraute, nach einer Ablösung zu rufen. Der Sportvorstand Stefan Kuntz, selbst ein erfahrener Coach, war klug genug, den Lauf des jungen Mannes nicht zu unterbrechen.

Dass das Engagement im Aufstieg gipfelte, klingt nach einem klischeebeladenen Drehbuch. Die Feierlichkeiten in Hamburg jedenfalls fielen unerwartet gross aus. Der spontane Platzsturm der Fans forderte mehr als ein Dutzend Verletzte.

Der Investor Kühne verfasst ein Gedicht

Ein denkwürdiger Tag war es auf jeden Fall. Der Investor Klaus-Michael Kühne war gar so begeistert, dass er zur Feder griff und ein Gedicht verfasste: «Der HSV, dass ich’s nicht fasse, ist wieder erste Klasse, gewartet hat man sieben Jahr, jetzt werden alle Träume wahr! Der Dino endlich ist zurück, welch Freude und welch grosses Glück, und hoffentlich wird er bald wieder Sieger in unserer ersten Bundesliga!» Kühne, der als Poet mit Karl-Heinz Rummenigge und dessen Ode an Franz Beckenbauer konkurrieren könnte («Danke, danke, danke dir»), übt nach wie vor beträchtlichen Einfluss auf den Klub aus. Aus den Zeilen des Frachtunternehmers zur See lässt sich ermessen, dass den HSV nach wie vor eitle Weltklasse-Ambitionen antreiben.

Wer wissen will, weshalb die Hamburger gerne gross denken, auch wenn es nicht immer Anlass dazu gibt, der braucht nur einen Blick in die Historie des HSV zu werfen, die nicht nur aufgrund von Pleiten, Pech und Pannen im vergangenen Jahrzehnt äusserst schillernd ist. Denn es gab einmal eine Zeit, da war der Hamburger SV weit mehr als nur ein Klub, der sich durch die ununterbrochene Zugehörigkeit zur ersten Bundesliga auszeichnete. Die Hamburger waren das Mass der Dinge – nicht bloss national, sondern auch in Europa.

Dabei waren es nicht einmal die grossen Jahre des legendären Uwe Seeler, die den Verein zur Referenz machten, wenngleich der 2022 verstorbene Angreifer bis heute der HSV-Spieler schlechthin ist. Es ist vor allem einem Mann zu verdanken, der auf den ersten Blick kaum mit dem HSV zusammengebracht wird: Günter Netzer. 1977, kurz nachdem Netzer seine Karriere als Profi bei den Grasshoppers in Zürich beendet hatte, trat er als Manager in Hamburg an.

Dabei hatte Netzer es auf dieses Engagement gar nicht abgesehen, vielmehr wollte er die Stadionzeitung der Hamburger herausgeben, so, wie er das während seiner Zeit als aktiver Spieler in Mönchengladbach auch getan hatte. Der damalige Klubchef Paul Benthien nahm die Offerte gerne an, verknüpfte sie allerdings mit der Bedingung, dass Netzer auch den Managerposten übernehmen müsse. Der Zeitpunkt war perfekt. Als Netzer antrat, hatte der HSV bereits den Europacup der Cup-Sieger gewonnen. Darauf liess sich trefflich aufbauen. Und Netzer war phänomenal erfolgreich.

Mit Manager Günter Netzer hatte der HSV die beste Zeit

Mit einem untrüglichen Blick für Talent und Strategie formte Netzer innert kürzester Zeit einen Spitzenklub: Mit dem englischen Stürmer Kevin Keegan, dem Torhüter Uli Stein, dem Rechtsverteidiger Manfred Kaltz, der von der Aussenlinie und vom Halbfeld aus sogenannte «Bananenflanken» schlug, die gerne von Horst Hrubesch verwertet wurden, der sich aufgrund seiner unglaublichen Wucht den Beinamen «Kopfball-Ungeheuer» redlich verdiente.

Der Stratege der Mannschaft war Felix Magath im Mittelfeld, er war so etwas wie der verlängerte Arm des österreichischen Trainer-Genies Ernst Happel, den Netzer nach Branko Zebec für den Trainerposten gewinnen konnte. 1983, in Athen, traf der HSV auf das hochfavorisierte Juventus. Magath überwand Dino Zoff im Tor der Italiener mit einer Bogenlampe – der HSV war ganz oben angekommen.

Als Netzer den Klub verliess, hatten die Hamburger die Bayern von der nationalen Spitze verdrängt. Von da an aber ging es, gemessen an den glanzvollen, frühen 1980er Jahren, bergab. Jahren der Indifferenz folgte im vergangenen Jahrzehnt der beinahe permanente Kampf gegen den Abstieg, der 2018 verlorenging.

Ob diese Lektion die Hamburger Demut lehrt, ist nach den ersten Reaktionen auf den Aufstieg zu bezweifeln. Sie haben eben schon immer gerne gross gedacht in Hamburg.

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