Mittwoch, November 27

Fondsmanager Tom Ackermans vom Fidelity Germany Fund würde den Rückzug bei der Medizintechniktochter begrüssen. Pessimistisch ist er für die Autohersteller. Seine Favoriten kommen aus den Bereichen Technologie, Industrie, Versicherungen und Telekommunikation.

Der Niederländer Tom Ackermans verwaltet den Deutschlandfonds bei einem der grössten Vermögensverwalter der Welt: Fidelity International gehört derselben Eigentümerfamilie wie Fidelity Investments, die Nummer drei der Branche nach BlackRock und Vanguard.

Der Name Fidelity hat in den Chefetagen der Dax-Unternehmen Gewicht. Siemens sollte daher aufhorchen: Bei Siemens Healthineers würde der Fondsmanager den Rückzug der ehemaligen Konzernmutter begrüssen, die noch immer 75% der Aktien hält, sagt er beim Interview in der Deutschlandzentrale von Fidelity International, gelegen in einer alten Villa bei Kronberg im Taunus, mit Blick auf die Frankfurter Skyline.

Herr Ackermans, deutsche Aktien wirken günstig, verglichen mit den Leitindizes in den USA und der Eurozone. Andererseits haben wir sogar im Dax mehrere Sanierungsfälle: Bayer, BASF, VW. Sind deutsche Titel also insgesamt zu Recht niedrig bewertet, weil viele Unternehmen Probleme haben?

Vorsicht mit der Bewertung von Leitindizes. Der Dax handelt derzeit mit dem 13-Fachen des Gewinns, das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) des S&P 500 liegt über 20. Das ist ein grosser Unterschied, aber es sind auch ganz andere Unternehmen.

Ist es gerechtfertigt, dass Microsoft das 30-Fache des Gewinns kostet?

Ja absolut, das Wachstum und der Cashflow sind immer noch sehr stark. Das ist in Deutschland bei einer SAP genauso. Da liegt die Bewertung im Moment auch bei mehr als dem 30-Fachen des Gewinns. Und SAP macht mehr als 10% der Dax-Marktkapitalisierung aus.

Auf der anderen Seite haben wir die deutschen Automobilhersteller, teils mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 3 oder 5.

Man sollte ja nicht nur auf das KGV schauen. Die Frage ist immer, wie sich ein solches Unternehmen mittel- und langfristig entwickelt und welche Bewertungen wir damit rechtfertigen können.

Die deutschen Autohersteller haben spät auf die Wende zum Elektroauto reagiert. Für Bayer ist die Übernahme von Monsanto ein Desaster. Dann ist da BASF mit zehn Jahren Underperformance. Haben wir in Deutschland ein Problem mit schlechtem Management?

Ich würde nicht sagen, dass wir in Deutschland ein Missmanagementproblem haben. In der Vergangenheit haben Managementteams und bestimmte Unternehmen aus heutiger Sicht sehr schlechte Entscheidungen getroffen. Bayer-Monsanto ist ein solches Beispiel, das ich auch selbst heranziehe, um zu illustrieren, dass es im Fondsmanagement sehr wichtig ist, strukturelle Verlierer zu vermeiden.

Was sind für Sie strukturelle Verlierer?

Ein Unternehmen, das gut positioniert ist, kann sich auch mal einen Fehltritt erlauben. Wenn mal eine Investition hinter den Erwartungen bleibt, gibt noch viele andere, die gut laufen. Bayer hat bei Monsanto jedoch alles riskiert, die Risiken nicht richtig analysiert, und dann ist ganz viel schiefgegangen. Wenn dann auch noch die Bilanz auf einmal sehr schlecht aufgestellt ist, kann man sich keine Fehlschritte mehr erlauben.

Sie haben keine Autohersteller in den grössten zehn Positionen Ihres Fidelity Germany Fund.

Nicht mehr, genau. Autohersteller sind im Moment unser grosses Untergewicht im Portfolio.

Sind die deutschen Autohersteller strukturelle Verlierer?

Es gibt viele Szenarien, in denen die deutschen Automobilhersteller in den nächsten Jahren noch grössere Probleme bekommen werden. Es kommt sehr viel Wettbewerb auf sie zu. Es ist nicht mehr so, dass wir weltweit nur wenige gute Hersteller haben, wie zum Beispiel bei Siemens Healthineers im Gesundheitswesen. Nein, es gibt Hunderte Unternehmen in China, die versuchen, das neueste Auto zu bauen. Die deutschen Autohersteller haben ausserdem mit ihren Kostenstrukturen zu kämpfen. Das wird es sehr schwer machen, auf die neuen Gesellschaften zu reagieren und wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Aktien werden vielleicht nur mit dem Fünffachen des Gewinns gehandelt, aber es gibt viele Szenarien, in denen der Gewinn über die nächsten Jahre sehr stark sinkt.

Was wäre denn ein positives Szenario? Wenn ein Premiumhersteller wie Porsche, BMW oder Mercedes zeigen könnte, dass die Kunden etwa in China bereit sind, für seine Elektroautos einen Aufpreis zu zahlen, dann hätten die Aktien vermutlich grosses Kurspotenzial?

Genau, das ist ein positives Szenario. Bei Porsche könnte man das gut spielen. Es könnte auch bei Mercedes funktionieren. Mercedes hat eine Kooperation mit Nvidia. Und Luxus hat einen Wert. Aber die Frage ist: Was definiert Luxus? Sind es schöne Ledersitze und tolles Design, oder ist es Self Driving und Connectivity? Wenn die Technologie von Porsche und Mercedes nicht mit der von Xiaomi oder BYD mithalten kann, die in puncto Preispositionierung derzeit keine Luxusmarken sind, dann kann das Luxusimage leiden. Die Frage ist, wie wahrscheinlich das genannte extrem positive Szenario ist. Kurzfristig halte ich die negativen Szenarien für wahrscheinlicher.

Sie haben 5% des Fonds in Siemens investiert, im Index MSCI Germany hat der Konzern ein Gewicht von fast 10%. CEO Roland Busch sagt, sein Konzern sei der Digitalisierer der Industrie, also ein digitales Unternehmen. Überzeugt Sie die Strategie nicht?

Uns gefällt die langfristige Strategie: Digital Automation, Smart Infrastructure. Siemens Healthineers hat auch eine gute Strategie. Die Frage ist, ob die Siemens AG der beste Eigentümer für Siemens Healthineers ist.

Ich frage nach Siemens, und schon sprechen wir über Healthineers. Trotz der Abspaltung hält Siemens immer noch 75% der Anteile. Der Konglomeratsabschlag belastet die Bewertung also weiter?

Ja. Es gibt ein paar Vorteile, Teil eines so grossen Unternehmens wie Siemens zu sein, das Kompetenz bei Automatisierung und Connectivity bietet. Aber ich bin nicht davon überzeugt, dass diese Vorteile es rechtfertigen, Siemens Healthineers nicht komplett unabhängig zu machen. Das ist ein sehr starkes, gut positioniertes Unternehmen. Siemens Healthineers kann auf eigenen Beinen stehen und trotzdem Automatisierung und Connectivity schaffen.

Sie würden es begrüssen, wenn Siemens sich bei Healthineers stärker zurückziehen würde?

Absolut.

Statt Siemens haben Sie einen anderen Industriewert in den Top Ten: MTU Aero Engines. Was macht die Aktie für Sie so interessant?

MTU hat nur wenige Wettbewerber, denn es gibt nicht viele Unternehmen, die Flugzeugtriebwerke herstellen und warten können. Auf der negativen Seite gab es eine böse Überraschung im vergangenen Jahr, als der MTU-Partner Pratt & Whitney Probleme mit dem GTF-Triebwerk eingeräumt hat. Die Triebwerke müssen bei allen Flugzeugen ausgebaut und nochmals überprüft werden, die Unterteile werden sogar ausgewechselt. MTU und Pratt & Whitney müssen den Airlines Kompensationen zahlen.

Sind die Auswirkungen dieser Qualitätsprobleme inzwischen bewältigt?

Die ersten der betroffenen Flugzeuge sind bereits wieder in der Luft. Aber die noch wichtigeren Fragen sind, ob sich die Branchenstruktur dauerhaft wandelt und ob es Bilanzrisiken gibt. Ich erwarte allenfalls eine leichte Verschiebung der Marktanteile. Bilanzielle Probleme hat MTU aber auf keinen Fall. Für mich ist es immer noch ein qualitativ sehr hochwertiges Unternehmen mit guten Wachstumschancen und einer vertretbaren Bewertung.

MTU hat ja einen grossen Anteil Servicegeschäft mit stetigen Einnahmen.

Genau. Das Triebwerk wird mit sehr niedrigen Margen verkauft. Das Geld verdienen sie dann zwanzig Jahre lang über den Service.

Der Kurs von SAP hat sich in weniger als zwei Jahren verdoppelt. Im MSCI Germany hat die Aktie mittlerweile einen Anteil von über 13%. Bei Ihnen sind es etwas mehr als 9%. Müssen Deutschlandfondsmanager die Aktie einfach haben, oder sind Sie von der Wachstumsstory überzeugt?

Wenn Sie das Geschäft von SAP analysieren, sehen Sie ganz schnell, dass viele andere Gesellschaften nicht ohne SAP funktionieren können. Mit dem Wandel von unternehmenseigenen Rechenzentren hin zum Cloud Computing gab es aber vor zwei, drei Jahren grosse Fragezeichen und auch ein paar Probleme.

Und heute?

In den letzten Jahren haben wir gesehen, dass die Produktentwicklung sehr gut gelaufen ist. Immer mehr Unternehmen erkennen, dass sie umstellen müssen. SAP hat die Deadline gesetzt: Nach 2027 gibt es keinen Support mehr für die alte Software. Daran sieht man, wie stark das Produkt ist. Denn es ist nicht so, dass diese Unternehmen den Anbieter wechseln und woanders hingehen. Das heisst für SAP: Das Geschäft läuft gut, der Business Case ist klar. Und das Wachstum kommt.

Das enttäuschende zweite Quartal des US-Rivalen Salesforce hat zuletzt Zweifel geweckt, ob der Ansturm auf Cloud-Software und später auch auf KI-Tools wirklich so gross ist wie erhofft. Haben Sie da gar keine Bedenken?

Ich habe mir genau angeschaut, was bei Salesforce los ist, und ich befürchte nicht, dass sich deswegen bei SAP über die nächsten Quartale gross etwas ändern wird. Klar: Manche Unternehmen geben die 100 €, die sie für Unternehmenssoftware ausgeben wollten, jetzt eher für KI-Tools wie Microsoft Copilot aus. Aber das trifft SAP eher nicht. Die Cloud-Transition bei SAP ist einfach so stark, dass es den Kunden schwerfällt, dort zu sparen.

Wird SAP viel in Rechenzentren für Cloud und KI investieren müssen, oder stehen dem Unternehmen die hohen liquiden Mittel in der Bilanz wirklich für Übernahmen oder gar Aktienrückkäufe zur Verfügung?

Die Frage ist immer: Wer investiert und warum? Muss unbedingt SAP das Unternehmen sein, das in die Infrastruktur investiert, oder sind das vielleicht die Hyperscaler-Partner wie Microsoft oder Amazon Web Services? Es ist wichtig, Verträge abzuschliessen, die beiden Seiten Vorteile bringen.

Dann hat SAP also das nötige Kapital frei für Übernahmen?

Da gibt es Spielraum. Aber ich wäre überrascht, wenn es jetzt zu einer ganz grossen Übernahme käme, weil das einfach nicht das ist, was der Markt möchte. Die Investoren wollen sehen, dass die ganze Cloud-Transition erfolgreich vorangebracht wird.

Der Chiphersteller Infineon ist in Ihrem Fonds mit 7% doppelt so stark vertreten wie im Index. Dabei rechnet er bei Chips für Autos mit einem Wachstum von nur 3% bis 2024. Was sehen Sie, was die nicht sehen?

Das Halbleitergeschäft ist sehr zyklisch. Nach Covid gab es Lieferengpässe. 2022 und 2023 waren deshalb sehr gute Jahre mit hohen Preisen, einer sehr hohen Nachfrage und einfach zu wenig Produktion. Die Nachfrage hat sich inzwischen normalisiert, die Produktion ist gestiegen. Viele Kunden haben noch Lagerbestände, die jetzt abgebaut werden. Daher ist 2024 ein Übergangsjahr.

Wie gut steht Infineon da im Vergleich zu den Wettbewerbern?

Viele Investoren fürchten die Konkurrenz aus China. Aber Infineon gewinnt Marktanteile, auch in China. Das Auto des chinesischen Smartphone-Herstellers Xiaomi ist voll mit Halbleitern von Infineon. Auch das neue Produkt für KI-Server kommt gut an.

Über drei Jahre betrachtet ist der Aktienkurs von Infineon aber nicht vom Fleck gekommen. Wie stehen denn die Chancen, dass sich das bald ändert?

Wir sehen jetzt erste Anzeichen, dass die Nachfrage anzieht. Angesichts der Wachstumschancen bis 2030 sehe ich das Unternehmen als sehr gut positioniert an.

Nun hat das Unternehmen ein Kostenproblem identifiziert und ein Sparprogramm angekündigt. Ist das ausreichend?

Das ist Kostendisziplin. Es ist gut, wenn das Managementteam auf Marktveränderungen reagiert.

Die Deutsche Telekom ist mit mehr als 9% in Ihrem Fonds vertreten. Die Branche gilt als wachstumsschwach und langweilig, für Sie nicht?

Cashflow ist für mich gar nicht langweilig! Bei der Deutschen Telekom gibt es Möglichkeiten für Dividendenerhöhungen und Aktienrückkäufe. Das wird stark vom US-Geschäft getrieben, wo die Fusion von T-Mobile und Sprint seit 2020 sehr gut umgesetzt wurde. Die Integration ist abgeschlossen, und die Vorteile zeigen sich.

Und anders als bei Infineon zuletzt bekommen Sie von Telekom-Finanzchef Christian Illek keine zwei Gewinnwarnungen innerhalb eines Jahres ins Mail-Postfach.

Es ist ein defensiver Wert, bei dem wir in den USA trotzdem ein sehr gutes Gewinnwachstum sehen. In Deutschland ist das Wachstum nicht überragend, aber gut genug. Kombiniert mit Dividenden und Aktienrückkäufen ist die Aktie nicht langweilig

Finanzchefin Melanie Kreis von Deutsche Post DHL ist ebenfalls stolz auf die Verlässlichkeit der Zahlen, sie gibt sogar einen Fünfjahresausblick. Ist das der Grund für das Übergewicht von DHL Group bei Ihnen?

DHL war im Portfolio lange untergewichtet. Während Covid ist das Geschäft mit Paketen explodiert. Danach hat der Markt die Sonderkonjunktur als neue Normalität eingepreist. Das ergab keinen Sinn.

Nun steht der Aktienkurs wieder knapp unter 40 €, wie schon vor der Pandemie. Ist die Euphorie um DHL vorüber?

Die ist verflogen. Die Unternehmensprognose von 6 bis 6,5 Mrd. € Gewinn vor Zinsen und Steuern für das laufende Jahr halten viele immer noch für optimistisch. Aber wir werden bei DHL nicht noch einmal Riesenschritte nach unten erleben.

Wie sehen Sie das Geschäftsmodell langfristig?

Im weltweiten Expressgeschäft gibt es ja sonst nur noch FedEx und UPS, wobei DHL sehr viel stärker in Asien präsent ist. Auch hier haben wir wieder ein Unternehmen mit attraktiven Wachstumschancen und einer guten Marktposition. Und das zu einer Bewertung, die durchaus günstig ist.

Konnten Sie schon einen Eindruck davon gewinnen, was der neue CEO Tobias Meyer vorhat?

Unsere Eindrücke sind durchaus positiv. Für ein Unternehmen wie DHL ist Kapitaldisziplin sehr wichtig. DHL zahlt eine attraktive Dividende und hat Aktien zurückgekauft. Das weiterzuführen und wachsen zu lassen, ist für uns sehr wichtig.

Bei den Sportartikelherstellern hat derzeit ein deutscher Anbieter die Nase vorn: Gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis war Adidas zuletzt höher bewertet als Nike. Was halten Sie von der Aktie?

Ich frage mich, ob das Szenario, das jetzt eingepreist wird, nicht ein wenig zu optimistisch ist. Noch vor zwei Jahren hatte Adidas grosse Probleme.

Probleme gab es mit dem ehemaligen Kooperationspartner Kanye West und mit der Nachfrage in China. Was halten Sie von Adidas-Chef Björn Gulden, der dem Vernehmen nach nicht den ganzen Tag über Strategien brütet, sondern sich lieber um die täglichen Probleme kümmert und auch gerne mit Sportstars spricht? Ist das seriös genug?

Es ist jedem erlaubt, seinen eigenen Managementstil zu finden. Gulden hat in seiner bisherigen Karriere viel geleistet, zum Beispiel bei Puma. Es ist immer leicht, Methoden zu kritisieren. Ich schaue lieber auf die Zahlen als auf einen individuellen Stil.

Meine letzte Frage an Sie als Niederländer und damit neutralen Beobachter: Warum haben wir in Deutschland Beiersdorf, und die Franzosen haben L’Oréal, mit einer so viel besseren Kursentwicklung über viele Jahrzehnte?

Ich glaube, dass Vincent Warnery bei Beiersdorf gute Arbeit macht. Die Fortschritte in den letzten Jahren sind sehr erfreulich.

Beiersdorf und L’Oréal haben grosse Familieneigentümer, die Franzosen haben das Geschäft aber deutlich stärker vorangebracht. Würden Sie sich auf der Eigentümerseite von Beiersdorf etwas mehr Ehrgeiz wünschen?

Auf jeden Fall. Beiersdorf war immer sehr konservativ, was Dividende und Aktienrückkäufe angeht. Man kann auch zu konservativ sein. Zur Kapitaldisziplin gehört auch, dass man nicht zehn Jahre lang viel zu viel Cash mit sich herumträgt.

Tom Ackermans

Per Ende September 2023 hat der Niederländer die Rolle als leitender Portfoliomanager des Fidelity Germany Fund übernommen. Zuvor war er Co-Manager von Christian von Engelbrechten, der ihm weiter beratend zur Seite stehen soll, sich aber aus dem täglichen Management zurückziehen wird, um sich um den Fidelity Europe Fund zu kümmern. Ackermans ist seit 2021 Teil des Managementteams des Deutschlandfonds, der fast 650 Mio. € verwaltet.

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