Freitag, Oktober 18

Der Hersteller von Abfüllanlagen und Getränkekartons SIG Group steckt in einer Übergangsphase. Die Konsumnachfrage lahmt, und im Verwaltungsrat rumort es. Doch nun hellt sich das Bild auf.

Die Aktien des Neuhauser Industrieunternehmens SIG Group haben in den vergangenen Monaten eine herausfordernde Phase durchlaufen. Steigende Zinsen, eine gedämpfte Konsumnachfrage sowie ein allgemein geringes Interesse an defensiven Werten setzten ihnen zu. Investoren, die auf tiefere Kurse setzten und Leerverkaufspositionen eingingen, verstärkten den Abgabedruck.

Von Mai 2023 bis Ende Februar 2024, in dem der Gesamtmarkt per saldo stagnierte, ist die Börsenkapitalisierung von SIG Group um mehr als ein Drittel eingebrochen.

Auch intern lief es in diesem Zeitraum nicht rund. Unterschiedliche Ansichten, ob, wie rasch und wie umfassend die Grossakquisition von Scholle IPN integriert werden soll, sorgten für Unstimmigkeiten und Abgänge von Schlüsselpersonen.

Doch nun scheint sich das Blatt zum Guten zu wenden. Es gibt gute Gründe, weshalb die Kurserholung von fast 15% binnen Monatsfrist mehr als nur ein Strohfeuer gewesen ist.

Gefangene Kunden

Das in Neuhausen am Rheinfall domizilierte Unternehmen stellt Abfüllanlagen her, auf denen globale Lebensmittelhersteller ihre Getränke in sterile Kartongebinde abfüllen. Im Bereich aseptischer Getränkekartons ist es hinter dem dominanten Marktführer Tetra Pak (Marktanteil 65%) mit rund 25% die starke Nummer zwei.

Die SIG-Abfüllanlagen werden den Kunden vergünstigt abgegeben, zurückgemietet (Sale and Lease back) oder über einen externen Leasingpartner angeboten. In der Regel trägt SIG etwa zwei Drittel der Kosten. Das macht das Geschäftsmodell kapitalintensiv.

Im vergangenen Jahr beliefen sich die gesamten Kapitalkosten auf fast 400 Mio. € (davon 233 Mio. € für Abfüllanlagen). Abzüglich der Kundenanzahlungen waren es immer noch 251 Mio. € oder 7,8% (i. V. 5,2%) des Umsatzes. Diese Strategie äussert sich in einem vergleichsweise bescheidenen freien Cashflow sowie tiefen Kapitalrenditen. Immer wieder gab es Jahre, in denen die Kapitalkosten nicht gedeckt waren. Aus Anlegersicht bedeutet das eine Wertvernichtung.

Im SIG-System gefangen

Während das Anlagengeschäft unter dem Strich nichts einbringt, kann SIG mit dem Verkauf von Verbrauchsmaterial (Kartons, Verschlüsse) viel Geld verdienen. Nach zwei bis drei Jahren sind die Investitionen in der Regel eingespielt, ab dann fliesst der Cashflow beständig. «Mit SIG setzt man auf einen Oligopolisten in einem strukturell wachsenden Markt, in dem die Einstiegsbarrieren hoch sind», beschreibt Marc Possa, der Manager des SaraSelect-Fonds, die Vorzüge eines SIG-Investments.

Possa verfolgt das Unternehmen schon lange, musste aber warten, bis ein Einstieg marktschonend möglich war. Angesichts des verhältnismässig engen Marktes – rund ein Viertel der Aktien befindet sich in festen Händen – brauchte er Geduld für den Beteiligungsaufbau. Im Herbst 2023, als der Kurs bei 20 Fr. lag, habe er gestaffelt mit Käufen begonnen. Derzeit hält er eine Beteiligung von rund 0,4% an SIG, «die ich in Schwächephasen noch etwas aufstocken möchte».

Der heftige Kurseinbruch in den vergangenen Monaten hatte mehrere Gründe. So wurde die Konkurrenz schon früh von den rückläufigen Volumen beim Getränkekonsum erfasst, während SIG weiterhin solide Zahlen zeigte. In diesem fast immer wachsenden Markt war das eine ungewohnte Situation.

Weil sich aber auch SIG nicht beständig der allgemeinen Abschwächung entziehen konnte, gingen immer mehr Investoren Leerverkaufspositionen ein. SIG tauchte regelmässig unter den zehn am meisten leer verkauften Schweizer Valoren auf. Manchmal waren über 8% der ausstehenden Aktien ausgeliehen – im Nachhinein betrachtet zu Recht, wenn man auf die Kursentwicklung schaut. Mittlerweile hat sich das Geschehen normalisiert.

Schwierige erste Jahreshälfte

Noch verspürt SIG aber Gegenwind. Für das laufende Jahr stellt das Management lediglich ein organisches und währungsbereinigtes Umsatzwachstum am unteren Ende der mittelfristig angepeilten 4 bis 6% in Aussicht. Während im vergangenen Jahr der Volumenrückgang mit Preiserhöhungen wettgemacht wurde, wird das dieses Jahr nicht möglich sein. Laut Finanzchefin Ann-Kristin Erkens hätten in den vergangenen achtzehn Monaten die Preise stärker erhöht werden können, als die Kosten gestiegen sind.

Das Ergebnis des ersten Semesters dürfte schwach ausfallen. Die höheren Lohn- und Vertriebskosten müssen zuerst eingespielt werden. Zudem kommen die Kunden in den Genuss von Mengenrabatten, wenn sie mehr bestellen. Deshalb könnte auch die erwartete Margenausweitung vorübergehend pausieren.

Der Gründer und Mehrheitsaktionär von Scholle IPN, der Niederländer Laurens Last, erhielt einen Teil des Verkaufspreises in SIG-Aktien und nahm Einsitz im Verwaltungsrat. Offenbar wurde ihm zugesichert, dass Scholle IPN in der Anfangsphase ihre Eigenständigkeit bewahren kann.

Konzernchef drückt aufs Gas

Wie in ähnlichen Fällen (Synthes – Johnson & Johnson) kam es jedoch anders. Um möglichst rasch Synergien zu realisieren und Doppelspurigkeiten zu vermeiden, wurde die Integration vorangetrieben. Schon als The Market Mitte 2023 mit Konzernchef Samuel Sigrist sprach, war erkennbar, dass Scholle IPN rascher als erwartet in die SIG-Organisation integriert wird.

«In den zentralen Funktionen können wir Grössenvorteile realisieren», erklärte Sigrist. Nur die Verkaufsteams an der Front würden nach Produktkategorien (Kartons, Bag in Box, Quetschbeutel) separat bleiben. Je weiter weg vom Verkauf, umso mehr werde zentralisiert, zum Beispiel in der Forschung und Entwicklung sowie im Einkauf, hiess es schon damals.

Für die Mitarbeitenden des ehemaligen Privatunternehmens muss das ein Schock gewesen sein. Die Abgänge von Schlüsselpersonen lassen diesen Schluss zu. Auch der bisherige Konzernchef von Scholle IPN, der Amerikaner Ross Bushnell, der nach der Transaktion Mitglied der Konzernleitung von SIG wurde, suchte das Weite. Im vergangenen August wurde er Konzernchef des US-Papierherstellers Pixelle Specialty Solutions. Sein Ausstieg aus der SIG-Konzernleitung wurde nie kommuniziert.

Auch den Unternehmer und Branchenkenner Last muss diese Entwicklung frustriert haben, hatte er doch wohl einige dieser Schlüsselpersonen eingestellt und fühlte sich ihnen verbunden.

In einer solchen Ausgangslage liegt es am Verwaltungsratspräsidenten, zusammen mit seinen VR-Kollegen und der Konzernleitung Konsens über den strategischen Weg zu schaffen. Andreas Umbach, der seit dem Börsengang 2017 das Präsidium bekleidet, gelang dies offenbar nur beschränkt, hört man.

Heikle Konstellation

Ein umtriebiger Konzernchef – «SIG hat einen sehr aktiven CEO, das liebe ich» (Possa) – sowie ein zurückhaltender Verwaltungsratspräsident ist nicht das, was man von einer guten Unternehmensführung erwartet.

Bevor es jedoch zum Éclat kam, haben sich die Protagonisten zusammengerauft. Anfang März hat Laurens Last 2,3 Mio. SIG-Aktien im Wert von 41,2 Mio. Fr. erworben. Zusammen mit den Call-Optionen besitzt er nun eine Beteiligung von 10,141% und ist damit der grösste Einzelaktionär der Gesellschaft. Der Hauptkonkurrent von SIG, die von der schwedischen Unternehmerfamilie Rausing kontrollierte Tetra Pak, hält über ihre Haldor-Stiftung 9,95%. Aus Kartellgründen muss sie sich aber passiv verhalten.

Die Transaktion kann als Willensbezeugung von Last gedeutet werden, dass er SIG treu bleibt. Den Ablauf von Halteperioden hat er ungenutzt verstreichen lassen. Auf eine Earn-out-Zahlung im Zusammenhang mit der Scholle-IPN-Transaktion wird er wohl aber auch dieses Jahr verzichten müssen.

Liegt das Umsatzwachstum von Scholle IPN über 6%, winken ihm jährlich bis zu 100 Mio. $. 2023 waren es nur 5,6%; Rückstellungen von 58 Mio. € konnten aufgelöst werden. Noch ist das US-Unternehmen eine juristische Einheit. Laut der SIG-Finanzchefin seien für dieses und nächstes Jahr mit Blick auf Earn-outs Rückstellungen von 40 bis 50 Mio. € gebildet worden.

Verwaltungsratspräsident macht Platz

Im Gegenzug zu Lasts Aufbau zieht sich der Präsident zurück, wenn auch nicht sofort. An der bevorstehenden Generalversammlung lässt er sich nochmals für ein Jahr nominieren. Erst im kommenden Jahr will er sich nicht mehr zur Wiederwahl stellen. Schon an der letzten Generalversammlung machte sich leichter Unmut breit. Im Vergleich zu den anderen Verwaltungsräten waren Umbachs Zustimmungsquoten am geringsten.

Mit diesem Vorgehen soll Umbach die Gelegenheit für einen eleganten Abgang gewährt werden – falls sich die Aktionäre nicht doch noch für einen schnelleren Wechsel aussprechen. Dem Nominations- und Governance-Ausschuss wird Umbach nicht mehr angehören, also keinen Einfluss auf seine Nachfolge haben. Diese Aufgabe soll Verwaltungsrätin Muriel Hoch übernehmen.

Operativ gut unterwegs

Aus Anlegersicht ist es zu befürworten, dass die SIG-Leitung wieder am gleichen Strick und in die gleiche Richtung zieht. Denn das Geschäftsmodell des Unternehmens bleibt reizvoll.

Die stärkere Integration von Scholle IPN hat den Vorteil, dass sich die Cross-Selling-Möglichkeiten zwischen den beiden Einheiten schneller ausschöpfen lassen. Laut der Finanzchefin komme das Unternehmen damit sogar etwas besser als budgetiert voran. Der Zugang zu den Hauptkunden von Scholle IPN, den Sirupabfüllern, die die Schnellimbissstätten beliefern, habe sich deutlich verbessert. «Gemeinsam haben wir mehr Relevanz bei den Grosskunden.»

Dem stabilen Geschäftsmodell von SIG mit der recht gut abschätzbaren Rentabilität ist es zu verdanken, dass die vorübergehend hohe Verschuldung gut verkraftbar ist. Die nach der Akquisition von Scholle IPN auf 3,9 geschnellte Verschuldungsquote (Nettoschulden im Verhältnis zum Gewinn auf Stufe Ebitda) betrug Ende 2023 noch 2,7. Ende dieses Jahres sollen es noch 2,5, mittelfristig 2 sein, verspricht das Unternehmen.

Vergangene Woche hat die Ratingagentur Moody’s die Verbindlichkeiten von SIG bei Ba1 bestätigt, aber den Ausblick auf positiv erhöht. Damit ist SIG nur noch einen Schritt davon entfernt, Investment Grade zu werden.

Die stabile Gewinnentwicklung des Unternehmens belohnt die Börse mit einer überdurchschnittlich hohen Bewertung. Während der letztjährigen Schwächephase ist sie deutlich zurückgekommen, steigt nun aber wieder.

Das am 24. April publizierte Update zum Geschäftsverlauf im Startquartal wird wohl eher enttäuschend ausfallen. Gäbe es in der Folge Kursabgaben, wäre dies ein guter Zeitpunkt für einen Einstieg. Die ansprechende Dividendenrendite von 2,4% ist ein weiteres Kaufargument.

In Haussephasen wie jetzt stechen die Trümpfe von SIG eher weniger. Sie werden jedoch dann zum Tragen kommen, wenn es an den Börsen nach unten geht und defensive Werte gefragt sind.

Exit mobile version