Mehr als drei Jahre lang lieferten sich Saint-Gobain und Sika einen erbitterten Streit. Für Benoit Bazin, den CEO von Saint-Gobain, sind dies Tempi passati. Dem weltgrössten Baustoffkonzern läuft es gut.
Es war eine bitterböse Auseinandersetzung zwischen dem französischen Baustoffkonzern Saint-Gobain und seinem Schweizer Konkurrenten Sika. Sie begann 2014 mit dem Versuch von Saint-Gobain, sich durch den Erwerb des Aktienpakets der Sika-Eigentümerfamilie Burkard die Stimmenmehrheit zu sichern.
Wegen eines Rechtsstreits blieb der Vollzug der Transaktion, der vom Sika-Verwaltungsrat von Anfang an abgelehnt wurde, aber gut drei Jahre blockiert. Im Mai 2018 einigten sich die beiden Streitparteien schliesslich: Saint-Gobain gab auf und verkaufte einen ersten Teil des Pakets an Sika und stieg 2020 ganz aus. Das Unternehmen bezifferte den Gewinn aus dem Engagement auf gut 1,5 Milliarden Euro.
«Ich hatte mit dem Ganzen nichts zu tun»
Benoit Bazin war damals erst Divisionsleiter bei Saint-Gobain. «Ich hatte mit dem Ganzen nichts zu tun», sagt der heutige Konzernchef und Verwaltungsratspräsident im Gespräch auf dem Gelände der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in Dübendorf. Somit verspüre er auch keinerlei Groll – im Gegenteil: Sika sei eine tolle Firma, und er sei ihrem Chef Thomas Hasler an Investorenkonferenzen auch schon begegnet. Man verstehe sich gut und respektiere einander.
Bazin wurde 2019 Chief Operating Officer von Saint-Gobain und im Juli 2021 dann CEO. Der Franzose, der nach seinem Studium des Bauingenieurwesens zunächst im französischen Finanzministerium arbeitete, erzählt, wie er den Konzern in den vergangenen sechs Jahren von Grund auf neu aufgestellt habe.
Dabei sprudeln wie während des ganzen Gesprächs die Kennziffern nur so aus seinem Mund. Er habe, sagt Bazin, 45 Prozent des Portfolios umgeschichtet, immer mit dem Ziel, sich einerseits von margenschwachen Bereichen zu trennen und andererseits ertragsstarke Aktivitäten dazuzukaufen. Insgesamt habe man Geschäfte mit einem Umsatz von 10 Milliarden Euro veräussert und solche mit Einnahmen von 7 Milliarden akquiriert.
Annäherung an Margenniveau von Sika
Dank dieser Portfoliobereinigung gelang es Saint-Gobain, die Umsatzrendite auf Stufe Betriebsergebnis (Ebit) seit 2020 von 7 auf 11 Prozent zu steigern. Der Konzern liegt damit zwar noch immer unter dem Niveau der Bauchemiefirma Sika, die zuletzt eine Ebit-Marge von knapp 14 Prozent erzielte. Bazin versäumt nicht, zu betonen, dass Saint-Gobain im Geschäft mit Produkten, die man selbst herstelle, ebenfalls auf 14 Prozent komme.
Einen verwässernden Effekt auf die Marge haben die Aktivitäten im Handelsgeschäft, über die Sika nicht verfügt. Saint-Gobain fertigt nicht nur die branchenweit grösste Palette von Bauprodukten. Der Riese mit weltweit 160 000 Angestellten und einem Umsatz von 48 Milliarden Euro betreibt auch Baumärkte, bei denen sich Architekten und Handwerker wie bei der Schweizer Tochterfirma Sanitas Troesch mit Waren auch von Drittanbietern eindecken können.
Bauchemikalien, die bei Sika den Grossteil des Umsatzes von knapp 12 Milliarden Franken ausmachen, tragen bei Saint-Gobain nur 6,5 Milliarden Euro zum Konzernerlös bei. Doch sei dieser Geschäftsbereich inzwischen zweieinhalbmal so gross wie vor vier Jahren, sagt Bazin.
Offensichtlich haben die Franzosen den Ehrgeiz, Schritt für Schritt mit dem Schweizer Marktführer aufzuschliessen. «Wir sind», betont Bazin, «Co-Leader mit Sika in der Bauchemie.»
Weg von Matrixorganisation
Zur Reorganisation bei Saint-Gobain gehörte auch, die zuvor nach Produktlinien gegliederte komplexe Matrixorganisation aufzugeben. Stattdessen übertrug Bazin die Verantwortlichkeiten den Tochtergesellschaften in den einzelnen Absatzländern. Anders als früher bestimmten nun nicht mehr Franzosen weit weg vom Geschehen, was wo verkauft werde, sagt der Konzernchef: «Die Entscheidungen treffen lokal verwurzelte Manager, die ihren Markt genau kennen.»
Nach Einschätzung des Konzernchefs, der in Dübendorf auf dem Weg zurück vom WEF Station machte, hat sich Saint-Gobain mit dieser Neuausrichtung nicht nur schlagkräftiger gemacht. Man habe so auch nichts wegen der Deglobalisierung zu befürchten, die zurzeit in aller Munde sei. «Selbst Zölle können uns nichts anhaben», sagt Bazin.
Der Manager verweist darauf, dass Saint-Gobain für lokale Märkte produziere und weltweit 900 Fertigungsstätten betreibe. Allein in den USA seien es 130.
Holcim in Mexiko ausgestochen
Einen weiteren Vorteil der Lokalisierung sieht Bazin darin, dass sie Saint-Gobain Vertrauen bei Familienunternehmen verschaffe, die über einen Verkauf nachdächten. Solche meist regional ausgerichteten Firmen gibt es in der Baustoffbranche noch immer in grosser Zahl, nicht wenige kämpfen mit Nachfolgeproblemen.
Wie Bazin in diesem Zusammenhang genüsslich hinzufügt, gelang es Saint-Gobain jüngst, sich in einem Bieterkampf in Mexiko «gegen einen grossen Schweizer Zementhersteller» durchzusetzen – trotz niedrigerem Angebot. Auch wenn er den Namen nicht nennt, ist klar, dass er sich auf Holcim bezieht.
Abspaltung des US-Geschäfts ist kein Thema
Holcim kündigte vor einem Jahr an, das Amerikageschäft abzuspalten und es separat an die Börse zu bringen. Bazin hält von solchen Plänen nichts. Darauf angesprochen, nennt er sogleich mehrere Argumente, weshalb Saint-Gobain nicht dem Beispiel Holcims folgen will.
Bazin erwähnt, dass Lösungen für besser isolierte und damit energieeffizientere Gebäude, wie sie Saint-Gobain seit mehreren Jahren forciere, nicht nur in Amerika, sondern überall auf der Welt gefragt seien. Auch gebe es trotz der lokalen Aufstellung noch immer viele Synergien innerhalb des Konzerns. Auf diese wolle man nicht verzichten.
Saint-Gobain sei es überdies in den letzten Jahren gelungen, auch ohne separate US-Kotierung zusätzliche amerikanische Investoren als Aktionäre zu gewinnen. «Und», sagt Bazin auch noch, «ich bin glücklich mit meinem europäischen CEO-Salär.»
Profiteur der Zuwanderung
Der Chef von Saint-Gobain liess sich auf dem Empa-Gelände das Forschungsgebäude Nest zeigen, in dem neuartige Technologien und Baumaterialien unter realen Bedingungen getestet werden. Die Schweiz trägt mit einer Milliarde Franken zwar nur 2 Prozent zum Umsatz bei, doch sie ist für den Konzern ein margenstarker Markt. Bazin äussert sich auch erfreut über das hohe Schweizer Bevölkerungswachstum. Im gleichen Atemzug erwähnt er Australien und Kanada, die bei Zuwanderern ebenfalls sehr beliebt seien.
Die Bevölkerungsentwicklung beeinflusst nach wie vor wesentlich die Geschäfte der Bauindustrie. In Gegenden, wohin mehr Leute ziehen, wird normalerweise auch mehr gebaut. Allerdings leidet auch Saint-Gobain darunter, dass die Bautätigkeit wegen der gestiegenen Zinsen, hoher Bodenpreise und überlanger Bewilligungsverfahren zurzeit vielerorts stockt.
Neubautätigkeit in Frankreich bricht ein
Besonders angespannt ist die Lage im Heimmarkt von Saint-Gobain. Bazin weist darauf hin, dass in Frankreich zuletzt so wenig wie 1953 gebaut worden sei. Zu dieser Zeit habe das Land 25 Millionen weniger Einwohner gehabt.
Auch sonst bereitet Frankreich dem Konzern gegenwärtig wenig Freude. Bazin meint, dass sein Heimatland dringend die Verschuldung abbauen und strukturelle Reformen anpacken müsse. Es sei unverständlich, weshalb es in Frankreich noch immer 36 000 Gemeinden wie zur Zeit der Revolution gebe, während ein Land wie Schweden mit wenigen hundert auskomme. Auch zähle sein Land 1200 staatliche Agenturen. Sie kosteten den Steuerzahler über 80 Milliarden Euro pro Jahr, rechnet er vor.
«Wir haben», sagt Bazin, «bei Saint-Gobain gezeigt, was man mit schlankeren Strukturen erreichen kann. Wir haben zwei Managementebenen beseitigt und sind deutlich profitabler geworden. Auch Frankreich muss sich Gedanken machen, wie es sich neu aufstellen kann.»