Mittwoch, Januar 15

In einem Bericht lassen Regierung und Verwaltung durchblicken, dass man während Corona den Absprung zurück in die Normalität verpasst hat.

Der Mensch verdrängt schnell. Die Credit Suisse ist Geschichte, der Notkredit für die Axpo längst vergessen. Und an die Pandemie will niemand mehr erinnert werden. Ob der Bundesrat bei all diesen Krisen richtig gehandelt hat, indem er Notrecht erlassen hat?

Diese Frage wird sich wohl nie abschliessend beantworten lassen. Zumal die entsprechenden Artikel in der Bundesverfassung so formuliert sind, dass man immer Gründe für oder gegen die Massnahmen der Regierung findet. War der Untergang der CS tatsächlich unvorhersehbar?

Jede Krise ist anders

Ein Bericht des Bundesrats über die Anwendung von Notrecht lässt diese Frage offen. Auch ist er keine Manöverkritik in eigener Sache bei der Bewältigung der sich teilweise überlappenden Krisen der letzten Jahre.

Man wolle, so die Schlussfolgerung, offener und auch detaillierter kommunizieren, wenn man das nächste Mal Notrecht erlasse. Wenn schon mehr Macht, dann immerhin auch mehr Transparenz – der Bericht, den der Bundesrat vor den Sommerferien verabschiedet hatte, ist auch ein Abstract von Allgemeinplätzen.

Vor allem aber ist der Bericht eine Antwort auf verschiedene Postulate. Eine verwaltungsinterne Arbeitsgruppe hat ihn verfasst – unter Federführung des Bundesamts für Justiz (BJ) und unter Beobachtung einer Expertengruppe mit Rechtsgelehrten.

Diese kommt zum Schluss, dass die notrechtlichen Verfassungsbestimmungen (Artikel 184 Absatz 3 und 185 Absatz 3) nicht mehr zeitgemäss sind. Sie würden nicht zwischen nationalen und internationalen Krisen unterscheiden, ebenso wenig zwischen Notverordnungen und Notverfügungen.

Vor allem aber werde in der Verfassung nicht klar unterschieden zwischen den klassischen Polizeigütern – das heisst der staatlichen Schutzpflicht etwa für Leib, Leben und Freiheit seiner Bürger – und anderen gesellschaftspolitischen Interessen wie etwa den Wirtschaftsinteressen (im Fall der CS).

Konsequenterweise müsste man, so die Arbeitsgruppe, die notrechtlichen Verfassungsbestimmungen entsprechend präzisieren, um die Notrechtskompetenz des Bundesrats einzuschränken. Lancieren die Staatsrechtler nun selbst eine Initiative? Mitnichten.

Wenn man die Voraussetzungen ausführlicher in die Verfassung schreiben würde, könnte man zwar einen «dämpfenden und schonenden Einfluss» auf die bundesrätliche Anwendung von Notrecht erzielen, legten die Juristen im Austausch mit den Verwaltungseinheiten dar.

Das Problem: Eine zeitgemässe und zeitlose Alternativformulierung für alle Krisen, die da kommen könnten, sei praktisch unmöglich zu finden. Eine Regelung, die jede Krisenkonstellation abdecke, sei kaum denkbar. «Sie würde die Notrechtskompetenz des Bundesrates entleeren», heisst es in einem Diskussionspapier, das dem Bericht angehängt ist. Nach all den Krisen und Aufarbeitungsversuchen: Das Spannungsfeld zwischen der plötzlichen Machtkonzentration beim Bundesrat und der notwendigen Handlungsfähigkeit bleibt bestehen.

Auch die Verwaltung sieht «keinen Mehrwert» in einer allfälligen Verfassungsänderung. So habe gerade die Covid-Pandemie gezeigt, dass der Anfang und vor allem der Ausgang einer Krise für die Regierung nicht einfach zu bestimmen seien. «Je länger eine Krise andauere, desto weniger könne sich der Bundesrat auf Notrecht stützen, um die ergriffenen Massnahmen zu rechtfertigen», schreibt die Arbeitsgruppe der Verwaltung im Bericht.

«Krisenfeste» Gesetze machen

Man ist geneigt, zwischen den Zeilen einen Hauch Selbstkritik zu lesen. Hat man während Corona den Absprung vom Notrecht zurück in die Normalität verpasst? Die Verwaltung hält im Bericht allgemein fest: «Forderungen nach einer Rückkehr zu den ordentlichen Verfahren, Zuständigkeiten und dem ordentlichen Recht erhalten mit der Zeit immer mehr Gewicht, während der Verzicht auf die ordentlichen demokratischen und rechtsstaatlichen Verfahren zunehmend weniger gerechtfertigt erscheint.»

So kommt der Bericht zum Schluss, dass der Bundesrat und die Verwaltung auf eine «krisenfeste Gesetzgebung» hinarbeiten sollen. Die Gesetze sollen so ausgestaltet sein, dass die Notrechtsartikel in der Bundesverfassung erst gar nicht aktiviert werden müssen. Wie zum Beispiel bei der staatlich abgesicherten Übernahme der CS durch die UBS?

Dass die «Too big to fail»-Regulierung im Krisenfall nicht angewendet worden ist – darauf geht der Bericht erst gar nicht ein. Hier wartet man gespannt auf die Erkenntnisse einer parlamentarischen Untersuchungskommission. Auch in der Hoffnung, bis zur nächsten Krise nicht alles vergessen zu haben.

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