Mittwoch, Oktober 2

Marine Le Pen hat nie ein Hehl aus ihrer Abneigung gegen den Präsidenten gemacht. Die Galionsfigur der französischen Rechten setzt auf ein Scheitern der neuen Regierung – und auf Neuwahlen im nächsten Jahr.

Emmanuel Macron genoss seinen Auftritt an der «Parade der Champions» – der letzten grossen Zeremonie, mit der sich Frankreich am Samstag von den Olympischen und Paralympischen Spielen verabschiedete. Das Staatsoberhaupt verteilte Orden an besonders verdiente Sportlerinnen und Sportler, während auf der Place de l’Étoile das Volk jubelte und Militärflieger die Farben der Trikolore in den Himmel malten. Es hätte nach dem Geschmack Macrons wohl noch ewig so weitergehen dürfen.

Doch auf den Boden der politischen Tatsachen zurückholen wollen viele den französischen Präsidenten, allen voran seine ärgsten Feinde von ganz links und ganz rechts. «Wir müssen Macrons Staatsstreich beenden!», rief der Chef von La France insoumise, Jean-Luc Mélenchon, seinen Anhängern am Wochenende auf einem alternativen Festival zu. Der linke Volkstribun hat es Macron nicht verziehen, dass dieser mit Michel Barnier kürzlich einen Konservativen zum neuen Premierminister ernannt hat, statt das Linksbündnis Nouveau Front populaire (NFP) zu berücksichtigen, das bei den Parlamentswahlen im Juli die meisten Sitze gewonnen hatte.

«Wir müssen tadellos sein»

Schon seit Wochen droht Mélenchon dem Präsidenten deswegen mit einem Amtsenthebungsverfahren. Das gilt zwar wegen der hohen verfassungsrechtlichen Hürden in Frankreich als weitgehend chancenlos, tönt aber gut in den Ohren der radikalen Linken, wo die Tonlage gegen Macron und seine Unterstützer aus der Wirtschaft jüngst schriller geworden ist. «Sie haben begonnen, unser Land zu zerstören. Diese Milliardäre sind wie Zecken auf dem Reichtum der Nation, vollgesogen mit Steuervorteilen», wetterte Mélenchon.

Auch beim Rassemblement national (RN) sammeln die Gegner Macrons derzeit ihre Kräfte. Die Partei von Marine Le Pen steht ebenfalls auf Kriegsfuss mit Macron, doch sie setzt sichtbar andere Akzente als ihr linker Antipode. In einem Saal der Assemblée nationale tagten am Samstag Dutzende von adrett gekleideten Parteifunktionären unter der Leitung von Jordan Bardella, dem jungen RN-Chef, und seiner politischen Ziehmutter Le Pen. Es sei wichtig, schärfte Bardella den Parteifreunden ein, «tadellos» zu sein. Denn anders als beim politischen Gegner werde die Öffentlichkeit dem RN keine Fehler verzeihen.

Für Krawall soll in der neuen Strategie der Rechtsnationalisten kein Raum sein, weswegen man sich von offen rassistischen, antisemitischen oder schlicht unfähigen Kandidaten trennen will. Zu diesen «faulen Äpfeln» gehört etwa die RN-Parlamentsabgeordnete Christine Engrand, die dabei erwischt wurde, wie sie öffentliche Gelder dafür verwendete, sich auf Dating-Apps anzumelden oder ihre Hunde zum Friseur zu bringen. Um die Kader weiter zu professionalisieren und jeden Kandidaten darauf vorzubereiten, in einer Talkshow das Parteiprogramm zu erklären, soll es Schulungen geben.

Le Pen hatte Macron Anfang September zu verstehen gegeben, Barnier jedenfalls nicht sofort mit einem Misstrauensvotum stürzen zu wollen. Der 73-jährige Konservative vertrete in der Migrationspolitik immerhin ähnliche Positionen wie ihre Partei, sagte sie der Presse. Doch gegenüber den RN-Delegierten machte Le Pen nun deutlich, dass sie dem neuen Premierminister keine Zukunft einräumt. Barnier sei am Ende der Vertreter einer Partei – der Républicains –, die bei den Wahlen nur den vierten Platz belegt hatte. «Unser Land kann so aber nicht funktionieren, wenn es von einer politischen Kraft geführt wird, die nur 5 Prozent geholt hat.»

Tatsächlich könnte es in Frankreich schon im Sommer 2025, zehn Monate nach der von Macron verfügten Parlamentsauflösung, Neuwahlen geben. Ein Szenario, das sich Le Pen ausdrücklich wünscht. «Ich hoffe, dass Ihre Amtszeit genauso kurz sein wird», sagte sie den RN-Abgeordneten. Bis dahin solle die Partei, so ihre Marschrichtung, eine «permanente Kampagne» führen, neue Wählerschichten erschliessen und den Machtwechsel im Auge behalten.

Die 56-jährige Le Pen wird wohl 2027, wenn der jetzige Amtsinhaber Macron nicht schon vorher das Handtuch werfen sollte, ein viertes Mal als Präsidentschaftskandidatin antreten. Und dafür will sie ihren bereits vor Jahren eingeschlagenen Kurs der Normalisierung und «Entteufelung» ihrer Partei weiter vorantreiben. Dazu passt, dass sich die Galionsfigur der französischen Rechten ausgerechnet einen ehemaligen Anhänger von La France insoumise als neuen Kabinettschef geholt hat, der im November sein Amt antreten soll.

Ideologische Widersprüche

Ambroise de Rancourt, ein 37-jähriger professioneller Pianist und Absolvent der Elite-Hochschule ENA, schwärmte einst für Mélenchon und den Kommunismus, bevor er, enttäuscht von linker Identitätspolitik, die Fronten wechselte. Er ist das Gesicht einer Strategie, mit der das RN enttäuschte Wähler der Linken einsammeln und sich als Alternative zum Liberalismus Macronscher Prägung positionieren will.

Nicht alle Parteimitglieder teilen diesen Kurs. Es war Bardella selbst, der im Wahlkampf eine eher liberale Linie vorgab, um Frankreichs Wirtschaftskreise zu beruhigen. Die Partei will die heimische Wirtschaft fördern, etwa durch Steuererleichterungen, aber sie versprach ihren Wählern auch eine Aufhebung der Rentenreform, was eigentlich kaum noch finanzierbar ist. Bardella gelobte im Wahlkampf, auch die Ukraine weiter zu unterstützen, was einen Bruch vom Wahlprogramm bedeutete. Es sind diese Widersprüche, die die inneren Spannungen des RN offenbaren und noch zu harten Konflikten führen dürften, sollten die Rechtsnationalisten tatsächlich an die Macht kommen.

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