Die meisten von uns halten sich für kritikfähig. Gleichzeitig tun wir uns schwer mit kritischen Rückmeldungen. Um in Ruhe gelassen zu werden, schweigen wir lieber. Für Unternehmen ist dies ebenso fatal wie für die persönliche Entwicklung.
Winterzeit ist Virenzeit. Mein Arbeitskollege war erkältet und zog ständig seine Nase hoch. Dieses Geräusch geht mir durch Mark und Bein und stört mich massiv. Doch wie sollte ich ihm auf eine höfliche Art mitteilen, dass er das bitte unterlassen soll? Und darf ich das überhaupt?
Kritisches Feedback zu geben, fällt vielen Menschen sehr schwer. Doch warum? Was hält uns davon ab, andere auf etwas aufmerksam zu machen, das sie sozialverträglicher, anständiger oder leistungsfähiger macht?
Negatives Feedback kratzt am Ego
Die Liste der Gründe ist lang. Die meisten von uns sind harmoniebedürftig. Wir wollen eine angespannte Stimmung, Streit oder Konflikte vermeiden. Wir haben Angst, jemanden mit einer kritischen Rückmeldung zu verletzen oder zu verärgern – schliesslich geht es oft um Verhaltensweisen oder Eigenschaften einer Person. Auch Kritik an einer mangelhaften Leistung erscheint heikel, denn womöglich hat die Person ihr Bestes gegeben oder ist sogar zufrieden mit dem Ergebnis. Ein negatives Feedback kratzt dann unweigerlich am Ego.
Erschwerend kommt hinzu, dass man sich nach einem schlecht aufgenommenen Feedback trotzdem fast täglich im Büro begegnet. Wie soll man sich in die Augen schauen und produktiv zusammenarbeiten, wenn Worte verletzt haben? Das sehen auch Führungskräfte so: In einer amerikanischen Umfrage gaben mehr als ein Drittel der Führungskräfte an, dass es ihnen unangenehm ist, ihren Mitarbeitenden direktes Feedback zu deren Leistung zu geben, wenn sie glauben, dass der Mitarbeitende negativ darauf reagieren könnte.
All diese Gründe lassen vermuten, dass Menschen ausschliesslich positives Feedback erhalten möchten. Denn wer hört nicht gerne, wie toll er ist und wie stark seine Ideen und Meinungen sind? Doch paradoxerweise zeigt eine Studie des Führungskräfteentwicklungsunternehmens Zenger Folkman ein anderes Bild. Wenig überraschend sagten die Teilnehmenden, sie gäben ungern negatives Feedback. Am häufigsten gaben sie jedoch an, dass sie konstruktives kritisches Feedback erhalten wollen. Eigentlich logisch: Die meisten Menschen wollen in ihrem Job besser werden und persönlich wachsen. Klare Worte helfen dabei mehr als Schulterklopfen.
Rückmeldungen erhöhen das Engagement
Doch dies ist bloss die rationalisierte Sicht. «Wir sind keine denkenden Maschinen. Wir sind fühlende Maschinen, die denken», schreibt der Neurowissenschafter Antonio Damasio. Als Gefühlsmaschinen reagieren wir instinktiv mit Abwehr auf alles, was unser Selbstbild bedroht. Denn schliesslich wollen wir als kompetent und respektiert wahrgenommen werden.
Diese Ambivalenz zwischen rationalem Anspruch und emotionaler Befindlichkeit macht kritisches Feedback zur Gratwanderung. Der einfache und oft beschrittene Weg ist deshalb ein informelles Stillhalteabkommen in Firmen: Wir lassen uns gegenseitig in Ruhe und tolerieren schweigend, was uns nervt. Aber wir tun niemandem einen Gefallen, wenn wir Konflikten aus dem Weg gehen. Wenn Probleme unbehandelt bleiben oder unter den Teppich gekehrt werden, leiden alle darunter.
Zurück zur Rationalität: Auf die Frage, was für ihre Karriere am hilfreichsten sei, antworteten 72 Prozent, dass sie glaubten, ihre Leistung würde sich verbessern, wenn ihre Vorgesetzten konstruktives negatives Feedback geben würden. Nicht nur die Leistung verbessert sich durch Feedback. Auch das Engagement wird positiv beeinflusst. Studien zeigen, dass eine überdurchschnittliche Feedback-Kompetenz von Führungskräften das Engagement der Mitarbeiter erhöht.
Eine einfache Methode für konstruktives Feedback
Aus diesen Gründen lohnt es sich, die Feedback-Fähigkeiten der Führungskräfte zu entwickeln. Ein erster Schritt dazu ist das Erlernen einer einfachen Feedback-Methode, zum Beispiel der WWW-Methode. Die drei W stehen für die Schritte Wahrnehmung, Wirkung, Wunsch.
Zuerst wird beschrieben, was wahrgenommen wurde: Was wurde gesagt, geschrieben oder getan? Dann folgt die Wirkung: Was hat dieses Verhalten ausgelöst? Das kann ein Gefühl sein oder etwas ganz Konkretes wie ein verspäteter Sitzungsbeginn, ein Missverständnis durch zu knappe Kommunikation oder eine falsche Berechnung aufgrund eines Formelfehlers.
Der letzte Schritt beschreibt den Wunsch: Welches Verhalten wünscht man sich vom anderen für die Zukunft? In meinen Feedback-Schulungen berichten Führungskräfte, dass ihnen diese einfache Formel hilft, häufiger und selbstbewusster Feedback zu geben. Allen Vorbehalten und Ängsten zum Trotz.
Dem schniefenden Kollegen konnte ich nach einer Weile nicht mehr zuhören. Ich lief zu seinem Pult und legte ihm freundlich eine Packung Nastücher hin. Ohne etwas zu sagen. Denn manchmal sagen Taten eben doch mehr als Worte.
Nicole Kopp ist Arbeits- und Organisationspsychologin und Mitgründerin der Beratungsfirma Go-Beyond.
Ein Artikel aus der «»