Montag, Dezember 30

Die Inflation im Euro-Raum ist nach drei Jahren erstmals wieder im Zielbereich der Europäischen Zentralbank (EZB). Da sich zugleich die Konjunktur eintrübt, dürfte die Notenbank schneller als erwartet reagieren. Doch ein Treiber der Teuerung ist schwierig vorhersehbar.

Die ab Herbst 2021 völlig aus dem Ruder gelaufene Inflation schmerzt viele Menschen in Deutschland und der Euro-Zone bis heute enorm. Im grössten Mitgliedsland der Währungsunion haben die Bürger seitdem mehr als 15 Prozent an Kaufkraft verloren. In etlichen anderen Ländern waren die Verluste noch deutlich grösser. Lohnerhöhungen, wenn es sie denn gab, konnten diesen Verlust oft nicht ausgleichen, und Einmalzahlungen lindern den Schmerz der dauerhaft hohen Preise nur leicht. Im Euro-Raum hatte die Inflationsrate ihren Höhepunkt im Oktober 2022 mit satten 10,6 Prozent erreicht.

In Italien liegt die Inflationsrate unter 1 Prozent

Daher ist es umso erfreulicher, dass die Teuerung im September laut einer ersten Schätzung der Statistikbehörde Eurostat von 2,2 Prozent im Vormonat auf nun 1,8 Prozent gesunken ist. Damit liegt die Inflationsrate erstmals seit über drei Jahren wieder unter 2 Prozent, dem mittelfristigen Zielwert der Europäischen Zentralbank (EZB). In allen grossen Euro-Mitgliedsstaaten hat der Preisanstieg im Vergleich mit dem August deutlich nachgelassen. Das sind sehr gute Nachrichten für die Menschen in der Währungsunion.

Die wichtigste Ursache für den Rückgang waren wenig überraschend die Energiepreise, die sich um sehr starke 6 Prozent ermässigten. Zugleich blieb der Preisauftrieb bei den Dienstleistungen mit 4 Prozent weiterhin unerfreulich hoch, während die Preise für Lebens- und Genussmittel um 2,4 Prozent zulegten. Für eine Entwarnung an der Inflationsfront ist es trotz der insgesamt positiven Entwicklung dennoch zu früh.

Gegen Jahresende wird die Teuerung in der Euro-Zone nämlich wieder zulegen und vermutlich rund 2,5 Prozent erreichen, da die stark gesunkenen Energiepreise dann aus der Berechnung der Inflation herausfallen. Man nennt das einen statischen Basiseffekt. Danach dürfte die Entwicklung der Dienstleistungspreise für den weiteren Verlauf der Inflation noch wichtiger werden. Bei diesen lässt die Dynamik des Preisanstiegs zwar ebenfalls langsam nach, doch in vielen Ländern sind Arbeitskräfte in diesem Sektor weiter knapp. Vorsicht ist also geboten.

Die Mitglieder des EZB-Rats dürften dennoch vorerst mit Erleichterung auf die derzeitige Entwicklung der Inflation schauen. Da sich zugleich die Konjunktur in der Euro-Zone in den vergangenen Wochen und Monaten eingetrübt hat, steigt der Druck für schnellere Zinssenkungen. Die konjunkturellen Frühindikatoren sind jüngst stark gesunken und deuten nun auf eine Stagnation oder milde Rezession hin. Im Sinkflug ist zudem auch das Konsumentenvertrauen in der Währungsunion.

Mit Deutschland kommt ferner das grösste Mitgliedsland seit Jahren nicht vom Fleck. Es steckte lange in einer Stagflation, also einer Kombination aus hoher Inflation und stagnierender Konjunktur. Bald könnte sich die weiterhin blutleere wirtschaftliche Entwicklung sogar wieder in eine milde Rezession verwandeln. Es sind kaum Anzeichen zu erkennen, dass die Politik hier ernsthaft gegensteuern wird.

Folgen einer Eskalation im Nahen Osten

Die EZB hat die Zinsen seit der Zinswende im Juni zweimal um jeweils 0,25 Prozentpunkte gesenkt. Bis zu den jüngsten Inflations- und Konjunkturdaten hatten viele Marktteilnehmer mit einem weiteren solchen Schritt im Dezember gerechnet. Doch dieses Bild ändert sich jetzt. Zahlreiche Ökonomen erwarten nun einen Zwischenspurt bei den Zinsreduktionen. Jüngste Äusserungen der EZB-Präsidentin Christine Lagarde lassen sich ebenfalls dahingehend interpretieren.

An den Märkten wird zu 80 Prozent mit einer Senkung um 0,25 Prozentpunkte auf dann 3,25 Prozent im Oktober gerechnet, wie sich aus einschlägigen Daten ablesen lässt. Danach könnten weitere solcher Schritte im Dezember, März und Juni folgen.

Das Szenario ist plausibel, und eine Senkung im Oktober lässt sich angesichts der jüngsten makroökonomischen Daten rechtfertigen. Allerdings hat die Unsicherheit gerade in den vergangenen Tagen wieder zugenommen. Sollte der Krieg zwischen Israel und seinen Todfeinden im Nahen Osten eskalieren, könnte dies zu einem starken und damit inflationstreibenden Anstieg der Erdölpreise führen. Dies würde wiederum die Konjunktur belasten. Sollte sich dieses dramatische Szenario realisieren, könnten auch die Karten für die Zinsentscheidung der EZB in zwei Wochen neu gemischt werden.

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