Samstag, Oktober 5

Zum ersten Mal überhaupt besucht der ägyptische Präsident Abdelfatah al-Sisi die Türkei. Wirtschaftliche Interessen, aber auch der Krieg in Gaza begünstigen die Normalisierung der Beziehungen zwischen Ankara und Kairo.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist bei all seiner kämpferischen Rhetorik ein sehr pragmatischer Politiker. Und zum Pragmatismus gehört es, den eigenen Kurs anzupassen, wenn sich dieser als nicht mehr opportun erweist. Rote Linien und angeblich in Stein gemeisselte Grundsätze haben, mit welchem Nachdruck sie auch vorgetragen werden, nur so lange Bestand, bis sie es halt nicht mehr tun.

«Wertvolle Einsamkeit»

Das war bei der Geldpolitik so, die das Land fast in den Ruin getrieben hat. Obwohl der türkische Präsident hohe Zinsen lange als Mutter allen Übels bezeichnete, verfolgt die neue wirtschaftspolitische Führung unter Finanzminister Mehmet Simsek seit Erdogans Wiederwahl vor einem Jahr eine äusserst restriktive Zinspolitik.

Auch in der Aussenpolitik hat Erdogan vor allem in der Nachbarschaft teilweise drastische Kehrtwenden vollzogen. Der Grund dafür war, dass die Türkei in der Region weitgehend allein dastand, nachdem sie sich im Arabischen Frühling auf die Seite der letztlich gescheiterten religiös-konservativen Kräfte geschlagen hatte.

Auch wenn der frühere Präsidentenberater und heutige Geheimdienstchef Ibrahim Kalin die Episode als «wertvolle Einsamkeit» bezeichnete, schwächte die Isolation die Türkei. Seit einigen Jahren bemüht sich Ankara deshalb um die Normalisierung der Beziehungen zu seinen ehemaligen Erzfeinden.

So bezeichnete Erdogan den griechischen Regierungschef Kyriakos Mitsotakis Ende 2023 als Freund. Ein Jahr davor hatte er noch mit einer Invasion gedroht. Auch für den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, der im Istanbuler Generalkonsulat den Journalisten Jamal Khashoggi ermorden liess, und für den Präsidenten der Emirate, Mohammed bin Zayed, findet Erdogan wieder freundliche Worte.

Besonders zerrüttete Beziehungen

Mit dem Besuch des ägyptischen Präsidenten Abdelfatah al-Sisi in Ankara am Mittwoch ist nun auch die Wiederannäherung an das grösste und in vielerlei Hinsicht wichtigste Land im östlichen Mittelmeer zementiert worden. Es war der erste Besuch eines ägyptischen Präsidenten seit zwölf Jahren.

Sisi erwidert mit seiner Reise Erdogans Besuch in Kairo diesen Februar. Den Boden für diese Normalisierung hatte der türkische Präsident unter anderem gelegt, indem er den zuvor offen geduldeten Tätigkeiten der ägyptischen Opposition in der Türkei enge Grenzen gesetzt hatte. Kairo wiederum demonstrierte durch seine Hilfe nach dem Doppelbeben in der Südosttürkei seinen Willen zur Verbesserung der Beziehungen.

Diese waren lange besonders tief zerrüttet gewesen. Ankara hatte nach dem Umbruch des Arabischen Frühlings den demokratisch gewählten Präsidenten Mohammed Mursi unterstützt, der den islamistischen Muslimbrüdern nahestand. Als Mursi 2013 von Sisi gestürzt wurde, nannte Erdogan ihn deshalb einen Putschisten und Mörder. Niemals werde er sich mit diesem Mann an einen Tisch setzen.

Ägyptische Gasvorkommen und türkische Drohnen

Davon war am Mittwoch freilich nichts mehr zu spüren. Erdogan empfing seinen Gast am Flughafen der Hauptstadt und fuhr mit ihm zum Präsidentenpalast, wo eine militärische Ehrengarde wartete. An der gemeinsamen Pressekonferenz betonte Erdogan, dass die Zusammenarbeit in allen Bereichen verstärkt werden solle.

Dabei geht es einerseits um wirtschaftliche Kooperation. Bereits im Februar war das Ziel ausgegeben worden, das Handelsvolumen innert fünf Jahren auf 15 Milliarden Dollar zu erhöhen. Potenzial für gemeinsame Projekte gibt es auch in der Energie- und Rüstungspolitik.

Ägypten ist durch die Gasvorkommen vor seiner Küste zu einem wichtigen energiepolitischen Akteur im östlichen Mittelmeer geworden. Türkische Drohnen wiederum sind ein begehrtes Exportgut, an dem auch das ägyptische Militär Interesse hat.

Im Fokus stand aber auch der Krieg in Gaza. Erdogan gehört zwar zu den lautesten Kritikern der israelischen Regierung und hat den Anspruch, als Fürsprecher der muslimischen Welt aufzutreten. In der Realität hat er aber nur beschränkte Möglichkeiten, auf den Konflikt einzuwirken.

Durch die Zusammenarbeit mit Ägypten würde die Türkei auch ihr eigenes Gewicht erhöhen. Das Land am Nil ist der wichtigste Ausgangspunkt für humanitäre Hilfe für den Gazastreifen. Dennoch bleiben Differenzen bestehen. Im libyschen Bürgerkrieg etwa unterstützen Ankara und Kairo unterschiedliche Parteien.

Gelingt die Normalisierung auch mit Syrien?

Sisis Besuch wirft in der Türkei die Frage auf, wie es mit jenen Staaten weitergeht, mit denen Ankara noch immer über Kreuz liegt. Im Fall Syriens gibt es zwar erste Bemühungen einer Annäherung an Bashar al-Asad, die auch von Russland unterstützt werden. Ankara erhofft sich von einer Normalisierung der Beziehungen vor allem eine Entlastung bei der innenpolitisch sehr aufgeladenen Flüchtlingsthematik. Asads Forderung nach einem Abzug aller türkischen Truppen aus Syrien bleibt aber eine hohe Hürde.

In den Sternen steht auch, wann und wie Ankara das Verhältnis zu Israel reparieren kann. Die beiden Staaten hatten 2022 nach mehr als zehn Jahren der Eiszeit ihre Beziehungen normalisiert. Der Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober und die israelische Reaktion darauf haben nun aber auf beiden Seiten Gräben aufgerissen, deren Überwindung wohl sehr lange dauern wird.

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