Samstag, November 2

Auch Humor kann ernsthafte Konsequenzen haben: Eine beleidigende Pointe über Puerto Rico bringt Trump in die Bredouille. Aber Joe Bidens missratene Reaktion darauf könnte auch seine Vizepräsidentin nun die Wahl kosten. Ein aberwitziges Ende eines irren Wahlkampfs.

Kurz vor dem Schlussspurt im Rennen um das Weisse Haus schien Kamala Harris das Momentum erneut auf ihre Seite ziehen zu können. Das grosse Trump-Rally in New Yorks Madison Square Garden am Sonntag verkam zu einer kleinen Horror-Show. Die Vorredner des republikanischen Präsidentschaftskandidaten überboten sich mit rassistischen und frauenfeindlichen Entgleisungen. Für besonders viele negative Schlagzeilen sorgte der Comedian Tony Hinchcliffe. Er verunglimpfte Puerto Rico als eine «schwimmende Insel aus Müll». Gleichzeitig bediente er rassistische Ressentiments gegenüber allen Latinos. «Es gibt so viele von ihnen», holte Hinchcliffe aus. «Es ist wild. Diese Latinos lieben es, Babys zu zeugen.»

Erinnerungen an den Papiertücher-Moment

Nicht nur in linken Medien, sondern besonders unter den Puerto-Ricanern war der Aufschrei gross. Der als Bad Bunny bekannte Sänger Benito Antonio Martínez Ocasio teilte mit seinen 45 Millionen Followern auf Instagram ein Wahlkampfvideo von Kamala Harris, in dem sie ihre Pläne für Puerto Rico erklärt. «Ich werde niemals vergessen, was Donald Trump tat und nicht tat, als Puerto Rico einen fürsorglichen und kompetenten Anführer am meisten brauchte», sagt die Vizepräsidentin darin. «Er hat die Insel im Stich gelassen, er versuchte die Hilfe nach zwei aufeinanderfolgenden Hurricanes zu blockieren und lieferte nichts ausser Papiertüchern und Beschimpfungen.»

Hinchcliffe erinnerte mit seinem Affront viele Puerto-Ricaner an Trumps Besuch in ihrer Heimat nach den Wirbelstürmen «Irma» und «Maria» im Oktober 2017. In einem kirchlichen Hilfszentrum für die Opfer der Hurricanes warf der Präsident Pakete mit Papiertüchern in die Menge. Die Bilder des herabwürdigenden Moments sorgten bereits damals für negative Reaktionen. Viele Einwohner blieben während Monaten ohne Strom und sauberes Trinkwasser. Die Trump-Regierung habe mit bürokratischen Hürden die Freigabe von Hilfsgeldern im Umfang von 20 Milliarden Dollar für Puerto Rico behindert, urteilte ein Untersuchungsbericht 2021.

Neben Bad Bunny teilten auch die Sängerin Jennifer Lopez und der Sänger Ricky Martin das Harris-Video in den sozialen Netzwerken. Beide Stars haben ihre Wurzeln in Puerto Rico. Trump versuchte sich von Hinchcliffes Auftritt an seinem Rally in New York zu distanzieren, ohne sich jedoch dafür zu entschuldigen. Er kenne den Comedian nicht und habe keine Ahnung, wer ihn auf die Bühne gebracht habe, sagte Trump in einem Interview mit dem Fernsehsender ABC. Er habe die Aussagen des Komikers zudem selbst nicht gehört.

Die Kontroverse könnte einen entscheidenden Einfluss auf den Ausgang der Wahl am 5. November haben. Puerto Rico ist zwar kein vollberechtigter Gliedstaat, und seine Einwohner dürfen nicht mitstimmen. Die puerto-ricanische Diaspora auf dem amerikanischen Festland hingegen hat im Rennen um das Weisse Haus ein Wort mitzureden. Besonders gross könnte ihr Einfluss im Swing State Pennsylvania sein. Rund eine halbe Million Puerto-Ricaner leben dort. Für Harris sei dies wie ein «Geschenk von Gott», meinte der lokale Radiomoderator Victor Martinez gegenüber «Politico». «Haben wir uns vorher nicht damit beschäftigt, sind wir jetzt alle wach.»

Biden stellt seiner Vizepräsidentin ein Bein

Doch dann machte auch Joe Biden ein ungewolltes Geschenk an Trump. Gerade als Harris zum Schlussspurt in diesem Wahlkampf ansetzen wollte, stellte er seiner Vizepräsidentin am Dienstag ein Bein. In einer Konferenzschaltung mit der hispanischen Organisation Voto Latino kommentierte er Hinchcliffes abschätzige Bemerkung über Puerto Rico und meinte über Trump: «Den einzigen Müll, den ich da draussen schwimmen sehe, sind seine Anhänger.»

Biden versuchte den Schaden im Nachhinein zu begrenzen. Gemäss dem Transkript auf der Website des Weissen Hauses soll der Präsident nicht «supporters», sondern «supporter’s» gesagt haben. Das würde seiner Aussage einen ganz anderen Sinn geben: «Den einzigen Müll, den ich da draussen schwimmen sehe, ist derjenige seiner Anhänger.»

Aber der Schaden war bereits angerichtet. Bidens Worte erinnern unweigerlich an Hillary Clintons verbalen Ausrutscher, als sie Trumps Unterstützer pauschal als «bedauernswerte Leute» bezeichnete. Im Vergleich dazu ist «Müll» ein noch stärkeres Wort. Auf dem Kurznachrichtendienst X schrieb Trump am Dienstag: «Du kannst Amerika nicht führen, wenn du sein Volk nicht liebst.» Vor seinem Wahlkampfauftritt in Wisconsin am Mittwoch zog er sich eine orange Weste über und stieg in einen Müllwagen. Die Weste trug er danach auch während seiner Wahlkampfrede.

Der konservative Meinungsforscher Frank Luntz glaubt, dass dies Trump im Kampf um die «letzten drei Prozent der unentschlossenen Wähler» helfen könnte. Bei Biden handle es sich nicht bloss um einen Comedian, der etwas Dummes gesagt habe, sondern um den amerikanischen Präsidenten. «Das hätte er nicht tun sollen.»

Harris versucht sich von Bidens beleidigenden Worten zu distanzieren. Im Gegensatz zu Trump möchte sie sich als einigende Figur profilieren. Sie wolle niemanden für seine Wahlentscheidung verurteilen: «Ich möchte mit meiner Arbeit alle Leute repräsentieren, ob sie mich unterstützen oder nicht.» Ihr Ziel scheint es derweil zu sein, die Hinchcliffe-Ausrutscher zu nutzen, um alle Latinos in den USA für sich zu mobilisieren. In wichtigen Swing States wie Arizona oder Nevada stellen sie 20 bis 25 Prozent der Wählerschaft. Bei einem Wahlkampfauftritt in Nevada mit Harris am Donnerstag sagte die Sängerin und Schauspielerin Lopez über das Trump-Rally im Madison Square Garden: «Nicht nur die Puerto-Ricaner fühlten sich an diesem Tag verletzt, okay? Es war jeder Latino in diesem Land, es war die Menschheit und jeder mit einem anständigen Charakter.»

Es ist offen, welche verbalen Ausrutscher am Ende die Wahl entscheiden: Hinchcliffes schlechter Humor oder Bidens unsägliche Reaktion darauf. Eine – wenn auch schwer messbare – Rolle werden sie aber spielen in diesem irren Wahlkampf mit dem Comeback eines abgewählten Präsidenten, zwei versuchten Attentaten und Bidens Verzicht auf eine Wiederwahl. Und noch sind es über zwei Monate bis zur Inauguration.

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