Samstag, November 23

Mit dem innovativen Elektroflugzeug wird in vielerlei Hinsicht Neuland betreten. Dank einem neuartigen Design und mit drei verschiedenen Antriebsvarianten könnte der SF-1 für leise Starts und Landungen sorgen. Doch bis zur Serienreife sind noch viele Hürden zu überwinden.

Es gibt bei der Entwicklung neuer elektrisch angetriebener Propellerflugzeuge mit bis zu vier Sitzen vor allem zwei Herangehensweisen: Eine bewährte Flugzeugzelle wird auf einen Elektromotor umgerüstet. Oder um einen bestehenden Elektroantrieb wird das neue Flugzeug quasi ringsum konstruiert.

Eine dritte Methode hat Rolf Stuber, Ex-Flugkapitän bei einer Schweizer Airline und CEO der Smartflyer Ltd., gewählt. Er macht alles neu, die Zelle, den Motor und auch die Konfiguration in Form eines Hochdeckers, dessen Elektromotor ungewöhnlicherweise im Leitwerk sitzt. Dieser Prototyp vom Typ SF-1 in Kohlefaser-Bauweise wurde nun Anfang November am Airport Grenchen im Rahmen eines feierlichen Roll-outs der Öffentlichkeit präsentiert.

Ziel von Rolf Stuber und seinem Smartflyer-Team ist es, mit dem SF-1 möglichst eine Art fliegenden Tesla zu bauen. Der Viersitzer bietet als Alleinstellungsmerkmal neben dem ungewöhnlichen Design gleich drei unterschiedliche Antriebsvarianten. Entweder rein elektrisch, mit Akkus und bis zu 2½ Stunden Flugzeit völlig emissionsfrei. Voraussetzung ist, dass der Ladestrom aus regenerativen Energien wie Solar-, Wind- oder Wasserkraft kommt.

Oder man wählt einen Hybridantrieb mit einem zusätzlichen Verbrennungsmotor an Bord. Der steckt dann in einer austauschbaren Rumpfnase, die in nur 15 Minuten Umbauzeit montiert werden kann. Damit soll der SF-1 bis zu 800 Kilometer weit kommen und lediglich geringe Mengen CO2 ausstossen. Und dann gibt es die für einen späteren Zeitpunkt angedachte dritte Version mit einer Brennstoffzelle in der modularen Rumpfspitze, die bis zu fünf Stunden völlig emissionsfreies Fliegen ermöglichen könnte.

Starts und Landungen finden fast lautlos statt

Die Hybridvariante funktioniert allerdings völlig anders als im Auto. Beim Pkw übernimmt der Elektromotor den Antrieb emissionsfrei, etwa in der City oder bei geringen Geschwindigkeiten. Bei höherem Tempo oder einem Kickdown schaltet sich der Verbrenner dazu. Elektromotor und Verbrenner dienen gemeinsam dem Vortrieb. Ist der Akku leer, fährt der Wagen eben mit reduzierter Systemleistung und nur dem Verbrenner weiter. Beim Smartflyer SF-1 unterscheidet sich das Hybrid-Konzept aber grundlegend. Der Vortrieb per Propeller wird ausschliesslich vom Elektromotor übernommen. Start und Landung finden immer rein elektrisch statt.

Dadurch ist das Flugzeug sehr leise, was auch die Anwohner erfreut. Ein im Rumpf eingebauter Motor, voraussichtlich ein bereits luftfahrtzertifizierter Rotax-914-Vierzylinder mit 115 PS, wird aus Lärmschutzgründen erst auf Reiseflughöhe angelassen. Er treibt aber keine Luftschraube an, sondern einen Generator. Der lädt die Akkus. Der Verbrenner ist also lediglich als Range-Extender im Einsatz, hat aber mit dem Antrieb nichts zu tun. So könnten dann vernünftige Reichweiten entstehen: Der SF-1 soll durch dieses Konzept bis zu 800 Kilometer weit kommen.

Unter der Nase können drei verschiedene Antriebsarten verbaut werden. Visualisierungen Smartflyer

Derartige Elektroflugzeuge würden vor allem an lärmigen Flugplätzen beim Training von Starts und Landungen für deutliche Entspannung sorgen. Lautlos wie ein E-Auto sind sie jedoch nicht: Beim E-Flugzeug entsteht ein hoher Anteil des Fluggeräuschs immer durch den Propeller und nicht durch den leisen Elektromotor. Dass dieser im SF-1 hoch oben im Leitwerk sitzt, ist ziemlich ungewöhnlich. Das bietet zwar aerodynamische Vorteile, zudem ist die Verletzungsgefahr für Personen am Boden durch die weit oben angebrachte Luftschraube gering.

Diese Anordnung hat aber auch Nachteile: Das Leitwerk muss besonders stabil konstruiert sein, um die entstehenden Motor- und Propellerkräfte zu absorbieren. Bei Leistungsänderungen kann es möglicherweise zu unerwarteten Änderungen der Fluglage kommen, weil der Propeller weit oberhalb der Längsachse hinter dem Schwerpunkt der Maschine wirkt. Zwar gibt es in der Experimentalflugzeug-Kategorie etwa das viersitzige amerikanische Wasserflugzeug Seawind 300 oder als zugelassenes Verkehrsflugzeug die sechzehnsitzige britische Britten-Norman Trislander, bei denen der Motor ebenfalls im Leitwerk sitzt. Durchgesetzt hat sich dieses Prinzip im Flugzeugbau bisher allerdings nicht.

Rolf Stuber und sein Team am Flugplatz Grenchen betreten also in vielerlei Hinsicht Neuland, und wohl auch deshalb ist die Entwicklung deutlich langsamer vorangeschritten als ursprünglich geplant. 2019 wurde vom Firmengründer der Erstflug noch optimistisch für 2021 angekündigt. Tatsächlich soll es damit nun vermutlich im Juni kommenden Jahres klappen. Stuber betonte bei der Präsentation allerdings auch: «Es ist ein Abenteuer!»

Noch hält sich der Hersteller mit technischen Details zurück

Ungewöhnlich ist allerdings, dass Smartflyer nach acht Jahren Entwicklungszeit ausser der Reichweite, einer Reisegeschwindigkeit von 222 km/h und einer Startleistung von 160 Kilowatt sowie einem Abfluggewicht von bis zu 1400 Kilogramm bis jetzt keine Informationen über die erwarteten Flugleistungen, die Bauweise des Elektromotors, die Kapazität der Akkus oder auch nur die Abmessungen des SF-1 sowie die später notwendige Ladeinfrastruktur bekanntgibt.

Selbst nach einem erfolgreichen Erstflug bleiben die Herausforderungen für das Unternehmen mit Sitz in Selzach im Kanton Solothurn enorm. Denn eine Luftfahrtzulassung durch die Europäische Agentur für Flugsicherheit (Easa) oder die amerikanische Luftfahrtbehörde FAA dauert oft viele Jahre und verschlingt voraussichtlich Millionen Franken. Smartflyer sucht wohl auch deshalb dringend nach Investoren, um diesen Prozess finanzieren zu können.

Vermutlich wegen des teuren und komplexen Zulassungsverfahrens ist bisher nur ein einziges Elektroflugzeug, die slowenisch-amerikanische Pipistrel Velis, von der Easa zugelassen worden. Mit diesem Zweisitzer kann die Privatpilotenschulung am Tag im Sichtflug nun ebenso wie auf herkömmlichen Cessnas oder Pipers absolviert werden. Von der Velis fliegen in der Schweiz bereits mehrere Exemplare.

Voraussichtlich will Smartflyer seinen SF-1 eines Tages neben Privatleuten auch Flugschulen als leises und ökologisches Muster etwa für die Airline-Piloten-Ausbildung anbieten. Über eine mögliche Akzeptanz am Markt entscheiden aber auch der Anschaffungspreis, die direkten Betriebskosten und die Zuverlässigkeit sowie die Lebensdauer von Maschine, Akkus oder Antrieb.

Daher ist es schwer vorherzusagen, ob sich der SF-1 nach der wohl frühestens für 2026 angestrebten Luftfahrtzulassung eine gute Ausgangsposition für eine mögliche Serienfertigung verschafft. Denn für die rein elektrische und die Hybridversion des SF-1 ist auch eine eigene Ladeinfrastruktur vonnöten. So wie Cessna und Piper bis jetzt an Flugplatz-Tankstellen ihren Sprit bekommen, müssten künftig an vielen Flugplätzen der allgemeinen Luftfahrt Ladestrom-Tankstellen für Smartflyer, Velis und Co installiert werden.

Ein möglicher Wettbewerber aus dem eigenen Land ist bereits ein Stück weiter: André Borschberg, Solar-Impulse-Weltumrunder und Chef des Unternehmens H55 aus Sitten, gab just zwei Tage vor der Smartflyer-Präsentation bekannt, dass sein zweisitziges Elektroflugzeug B23 Energic auf Basis eines Serienflugzeugs des tschechischen Herstellers Bristell nun vorbestellt werden könne. Die Auslieferung finde 2026 statt.

Ob in der Schweiz tatsächlich das Potenzial für zwei Hersteller von zwei- und viersitzigen elektrischen Propellerflugzeugen besteht und ob diese sich womöglich beide auf einem hart umkämpften Weltmarkt behaupten können, wird also erst die Zukunft zeigen.

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