Dienstag, März 18

Keine Romanfigur hat Thomas Mann so lange beschäftigt wie Felix Krull. Der Filmemacher André Schäfer schliesst das Buch mit seinem Autor kurz.

Das Thema liess ihm keine Ruhe. Ein ganzes Leben lang nicht. Im Frühling 1905 machte sich Thomas Mann erste Notizen zu einem Roman über einen Hochstapler. Der Name des Protagonisten stand von Anfang an fest: Krull hiess der junge Mann, Felix Krull. Was den Ton der Erzählung angeht, hatte ihr Autor klare Vorstellungen: Ein Schwindler sollte er sein, ein «Kind und Träumer». Einer, der sich selbst zu Höherem geboren sieht. Dabei ein Nichtsnutz. Ein Schelm, aber auch ein «Glückskind», das es versteht, die Menschen zu bezaubern.

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Krull sei «verliebt in die Welt», heisst es im Buch, freilich «ohne ihr auf bürgerliche Weise dienen zu können». Vielleicht tatsächlich so, wie Felix Krull in André Schäfers Film auf uns zukommt: im pinkfarbenen Hemd, mit akkurat in die Stirn gezogenen Schmachtlocken und flauschiger Federboa. Mit gross getupftem Hemd, gelbem Pullover und auffälliger Krawatte. Den Hang zu extravaganter Kleidung zumindest hat Thomas Mann seinem Krull mitgegeben: Als Kind lässt er ihn davon träumen, ein Prinz zu sein. Krull liebt es, sich zu verkleiden. Und streift mit der Kleidung auch verschiedene Identitäten über.

Krull ist ein Traumtänzer, ein Phantast, der zwischen Wunsch und Wirklichkeit nicht unterscheiden will. Nicht unterscheiden kann. Einer, der auf sein Glück vertraut und dabei auf sonderbare Weise zu seinem Recht kommt. So ganz von dieser Welt ist er nicht, dieser Krull, und Sebastian Schneider, der in Schäfers Doku-Fiction «Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann» die Hauptrolle spielt, bringt das Schwebende, Unbestimmte der Figur sehr schön zum Ausdruck. Schäfer bürstet Krull auf queer. Und Thomas Mann gleich mit. Grell, bunt. Das ist reizvoll, aber am Ende auch etwas simpel.

BEKENNTNISSE DES HOCHSTAPLERS THOMAS MANN // Trailer // Kinostart 7. November

Ein unbequemes Buch

Nur, der Krull-Roman ist tatsächlich ein seltsames Buch. Auch für den Autor. Zunächst kam es nicht über Notizen hinaus. Dann ging die Arbeit voran. 1911 lag ein erster Teil des Romans vor, schliesslich unterbrach Thomas Mann die Arbeit wieder. Anderes drängte heran: «Der Tod in Venedig» zum Beispiel. Später wurde der fertige Teil des «Krull» publiziert, das Manuskript blieb allerdings Fragment, landete in der Schublade. Und blieb dort liegen. In den folgenden Jahren entstanden die grossen Romane: «Der Zauberberg», der «Joseph», im Exil in den USA «Doktor Faustus». Für «Krull» war keine Zeit.

Doch weg war er nicht. Ende 1950 nahm Thomas Mann die Arbeit wieder auf und brachte das Buch zum Abschluss. Zumindest fast. Im Herbst 1954 erschienen die «Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull. Der Memoiren erster Teil» im Druck. Ein Jahr später starb Thomas Mann, ohne den zweiten Teil geschrieben zu haben. Er hatte gar nicht die Absicht. «Wie, wenn der Roman weit offen stehen bliebe?», fragte Mann in einem Brief und gab selbst die Antwort: «Es wäre kein Unglück meiner Meinung nach.»

Krull verfolgte Thomas Mann. Ein unbequemes Buch. Er sei überrascht, schrieb Mann einmal, was er bei der Arbeit aus sich heraushole. Der «Krull»-Roman sei «in gewissem Sinn das Persönlichste». Einmal ist davon die Rede, er fürchte sich vor Krull. Das war nicht zu viel gesagt. In kaum einem von Thomas Manns Büchern ist so unverstellt vom homosexuellen Begehren die Rede, das den Autor ein Leben lang begleitete. Die Bemerkung seiner Tochter Erika, eine Szene des «Krull»-Romans sei «erzpäderastisch, schwul», quittierte Mann im Tagebuch auf Französisch und ganz knapp: «Soit». Und als seine Frau Katia auf den «homosexuellen Untergrund» des Buches zu sprechen kam, setzte er hinzu: «Nun, freilich wohl.»

Kurzschluss

André Schäfers Film nähert sich dem Ganzen auf locker verspielte Weise. Er erzählt die Geschichte, zumindest in den groben Linien. Vor allem aber verwebt er sie dicht und unauflöslich mit der Geschichte ihres Autors und der Entstehungsgeschichte des Buches. Krulls Bekenntnisse sind Manns Bekenntnisse. In einer kühnen Volte werden beide kurzgeschlossen.

Krull schlendert durch Thomas Manns Heimatstadt Lübeck, trinkt Sekt im Keller des Krullschen Weinbaubetriebs im Rheingau und sitzt in Thomas Manns Haus in Pacific Palisades. Er ist als Liftboy der Fabrikantengattin Houpflé sexuell zu Diensten und träumt am kalifornischen Strand von vollendeter männlicher Schönheit. Seine Monologe sind dem «Krull»-Roman wie Thomas Manns Tagebüchern entlehnt, ab und zu werden historische Filmsequenzen eingefügt, die Thomas Mann zeigen. Und Statements von Erika oder ihrem Bruder Golo Mann.

Daraus ergibt sich eine flirrende Darstellung, in der sich Dichtung und Wirklichkeit gegenseitig überlagern wie die Figuren von Thomas Mann und Felix Krull. Und damit auch wirklich alle merken, worum es geht, schaltet Schäfer einen zusätzlichen Handlungsstrang ein: Krull wird porträtiert, vom Maler Friedel Anderson. Das Bild wird fertig, Maler und Modell schauen es an und befinden: Nein, das ist es nicht. Anderson arbeitet es um. Zum Porträt des jungen Thomas Mann. Dann sind die beiden zufrieden. Die Ambivalenzen sind weg. Das, was die «Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull» ausmacht, auch.

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