Samstag, November 2

Es verlangt nach Aufmerksamkeit und zielt auf die Gefühle ab: Das Ausrufezeichen wird so inflationär gebraucht, dass es an Kraft eingebüsst hat. Ein neues Buch verteidigt das «schreiende Symbol».

Das britische Bildungsministerium veröffentlichte 2016 eine neue Richtlinie für Grundschüler. Schüler, die exzessiv Ausrufezeichen setzten, sollten schlechter benotet werden. Ein Ausrufezeichen, ein Fehler. Die Bildungspolitiker reagierten so auf eine Mode, die mit den sozialen Netzwerken aufgekommen ist. Wer gehört werden will, muss dort immer noch lauter schreien. Ausrufezeichen helfen dabei.

Da wird inzwischen jeder noch so belanglosen Mitteilung Nachdruck verliehen. «Heute habe ich frei!» – «Das ist eine Schnapsidee!» – «Kann man auch anders sehen!» Ein schlichter Punkt hinter einer Aussage lässt diese hingegen kraftlos und unmotiviert erscheinen.

Auch in E-Mails kommt man kaum mehr ohne den Gefühlsverstärker aus. Schon die Anrede ist ein Anruf: «Liebe Julia!» Wie kleine Knalleffekte ziehen sich die Ausrufezeichen durch den Text. «Lieben Gruss!», endet dieser überschwänglich.

Seine Liebe zum Ausrufezeichen hat Donald Trump in jedem seiner Tweets bewiesen. Im Wahlkampf 2015 schloss er sechzig Prozent von ihnen mit einem Ausrufezeichen ab. In einem von zehn Tweets setzte er zwei, manchmal waren es drei oder vier. Das haben Journalisten ermittelt.

Trumps Worte sähen aus, als stünde jemand «kurz vor dem Nervenzusammenbruch oder einem tiefreligiösen Erwachen», schrieb die «Washington Post». Auch als amerikanischer Präsident zeigte sich Trump dann dauererregt. Sein «So sad!» und sein «So true!» werden heute ironisch kopiert.

Wie ein Phallussymbol

Beim Ausrufezeichen handelt es sich um ein zwiespältiges Satzzeichen. Das gibt auch Florence Hazrat zu. Die deutsche Sprachforscherin will das «Pathossymbol» jedoch von seinem schlechten Ruf befreien. Das Ausrufezeichen sei mehr als ein schreiendes Symbol, das sich Populisten zunutze machten, schreibt sie in ihrem Buch «Das Ausrufezeichen». Es sei ein selbstbewusstes und «rebellisches» Zeichen. Ein Zeichen mit Schlagkraft, das den Puls hochtreibe, wie Hirnscans zeigten.

Das spricht allerdings noch nicht für seinen Gebrauch. Dennoch lässt sich mehr über dieses Satzzeichen erzählen, als der schmale Strich mit Punkt vermuten lässt. Das Ausrufezeichen wurde im 14. Jahrhundert in Italien erfunden. Es sollte etwa Verwunderung markieren. In einem deutschen Text tauchte es zum ersten Mal 1572 auf: im Pamphlet «Flöh Hatz, Weiber Tratz» über Zucht und Ordnung in der Ehe.

Heute nutzt man Emojis, um Erstaunen, Freude, Frust oder Wut auszudrücken. Aber auch ein Ausrufezeichen lässt sich bildhaft deuten. Manche Feministinnen sehen in ihm einen Phallus. Sie verzichten deshalb lieber darauf. Auch als Geste ist es ihnen zu männlich-dominant.

Intensität durch Zurückhaltung

Andererseits neigen Frauen eher zum Gebrauch des Ausrufezeichens. Das zeigen Studien. Mit einem «Danke!» oder «Willkommen zurück!» betrieben Frauen wie im echten Leben Upspeak, schreibt Florence Hazrat. «Upspeak» meint, dass Frauen mit hoher Stimme sprechen und das Gegenüber ständig bestätigen. Das Ausrufezeichen beim digitalen Smalltalk funktioniert ähnlich. Es sorgt für eine freundliche Stimmung und ist beziehungsfördernd.

Hazrat nennt das Ausrufezeichen ein «queeres Zeichen», das «die Sprachpuristen» ärgere. Deren Vorbehalte sind allerdings nachvollziehbar, so dass Hazrats Begeisterung für das Ausrufezeichen manchmal etwas bemüht wirkt. Sie selber gibt in ihrer sonst unterhaltsamen Recherche der Kritik am Ausrufezeichen viel Raum.

Das Ausrufezeichen will emotionalisieren. Deshalb hat es auch etwas Manipulatives. Die Gefühle des andern werden einem aufgedrängt. Als der Republikaner Jeb Bush sich vor acht Jahren mit dem Slogan «Jeb! 2016» für das Amt des US-Präsidenten bewarb, kommentierte ein Grafikdesigner: «Ich bestimme selbst, ob ich mich begeistere.»

Stilexperten raten von einem inflationären Gebrauch des Ausrufezeichens ab. Das Zeichen behauptet die Wichtigkeit einer Aussage, die durch die Beteuerung wieder entkräftet wird. Eine starke Botschaft muss nicht mit Nachdruck vermittelt werden. Sie spricht für sich. Intensität entsteht durch Zurückhaltung.

Hemingway war es ein Greuel

Viele Schriftsteller wissen, weshalb sie das Ausrufezeichen sparsam setzen. In Ernest Hemingways Gesamtwerk finden sich gerade einmal 59 Ausrufezeichen. Auch Albert Camus bewahrte seinen nüchternen Stil vor emotionalen Ausbrüchen. Dabei gibt es kulturelle Unterschiede: Salman Rushdie benutzte in seinem 736-seitigen Roman «Mitternachtskinder» sechs Ausrufezeichen pro Seite.

Das Ausrufezeichen wurde schon mit einem feuerroten Schal verglichen, den man nur alle fünf Jahre tragen kann. Es bietet sich auch nicht öfter Gelegenheit dazu. F. Scott Fitzgerald sagte, ein Ausrufezeichen sei, als würde man über die eigenen Witze lachen. Der britische Journalist Philip Cowell nennt es das «Selfie der Grammatik». «Zügelt eure Ausrufezeichen!», warnte Henry Miller, der entfesselte Dichter, Autoren des erotischen Genres.

Die britischen Bildungspolitiker, die den Kindern das Ausrufezeichen austreiben wollten, formulierten in ihrer Verordnung eine Ausnahme von der Regel: Nur Sätze, die mit «wie» oder «was» beginnen, dürfen mit einem Ausrufezeichen enden. Zulässig ist: «Was für ein schöner Tag!» Ein Satz wie «Es ist ein schöner Tag» soll hingegen die durch einen Punkt gesetzte Ruhe und Unaufgeregtheit ausstrahlen.

Auf die neue Regelung an englischen Schulen erfolgte ein öffentlicher Aufschrei. Wie viele Ausrufezeichen die Empörung begleitet haben, ist nicht bekannt.

Florence Hazrat: Das Ausrufezeichen. Eine rebellische Geschichte. Verlag Harper Collins, Hamburg 2024. 224 S., Fr. 29.90.

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