Donnerstag, März 20

Die Zürcher Anti-Chaoten-Initiative will die Teilnehmer von unbewilligten Demonstrationen zur Kasse bitten. Doch welche Kosten fallen überhaupt an?

Wer eine illegale Demonstration organisiert oder daran teilnimmt, soll für die Polizeikosten und Sachschäden künftig geradestehen müssen. Dies ist, neben einer allgemeinen Bewilligungspflicht, die Kernforderung der Anti-Chaoten-Initiative, über welche der Kanton Zürich am 3. März abstimmt.

Doch wie viele Demonstrationen, bewilligte und unbewilligte, gibt es eigentlich, und was kosten sie? Ein Überblick, basierend auf Zahlen der Stadt Zürich.

1. Wie viele Demos gibt es überhaupt?

Zuerst eine Begriffsklärung: Als Demonstration versteht die Stadtpolizei einen Umzug durch die Stadt. Eine Kundgebung hingegen ist eine stehende Veranstaltung auf einem Platz. Beide gibt es in bewilligten und unbewilligten Varianten.

Von 2015 bis 2023 hat die Zahl aller Demonstrationen und Kundgebungen um etwa 75 Prozent zugenommen, von rund 190 auf knapp 340. Praktisch an jedem Tag wurde letztes Jahr also irgendwo in der Stadt Zürich auf ein politisches Anliegen aufmerksam gemacht. Zum Teil gab es mehrere Veranstaltungen am gleichen Tag.

Der Zuwachs geht zu einem sehr grossen Teil auf das Konto der bewilligten Kundgebungen, ihre Zahl hat sich seit 2015 mehr als verdoppelt.

Bewilligte und unbewilligte Demonstrationen

Stadt Zürich; 2015 bis 2023

Weniger einheitlich ist das Bild bei den unbewilligten Anlässen. Kundgebungen ohne staatliches Plazet gab es im abgelaufenen Jahr 25, das ist der tiefste Wert seit 2015. Die Zahl der illegalen Demos hingegen zeigt tendenziell nach oben. Seit 2018 gab es kein Jahr mehr mit weniger als 30 unbewilligten Umzügen. Auch hier gibt es aber von Jahr zu Jahr Schwankungen.

Ein Sonderfall war das Jahr 2020. Wegen der Corona-Pandemie erliessen der Bundesrat und die Zürcher Kantonsregierung damals sehr weitgehende Einschränkungen auch für politische Versammlungen (die später von Gerichten als übertrieben taxiert wurden). In der Folge sank die Gesamtzahl der Demonstrationen und Kundgebungen und stieg der Anteil der unbewilligten Zusammenkünfte.

Die Zahl der Teilnehmer variiert stark. An der Pride, der grossen Demonstration der LGBT-Community, ziehen jeweils Zehntausende durch die Zürcher Strassen; die Polizei führt aber auch Veranstaltungen mit bloss zwei Personen in ihrer Statistik auf. Insbesondere Kundgebungen sind in der Regel eher familiäre Angelegenheiten, wie Zahlen aus dem Jahr 2019 zeigen: Damals nahmen an 80 Prozent aller stehenden Veranstaltungen nicht einmal 50 Personen teil.

Demonstrationen und Kundgebungen nach Teilnehmerzahl sortiert

Stadt Zürich; 2019

2. Wie gross ist der Aufwand der Polizei?

Ein Mass für den Aufwand der Polizei ist die Zahl ihrer Einsatzstunden für Demonstrationen und Kundgebungen. Hier waren in den letzten Jahren starke Schwankungen zu beobachten, von etwa 10 000 Stunden pro Jahr bis über 40 000. Dabei fällt auf: Ein Jahr mit vielen Demonstrationen und Kundgebungen bedeutet nicht zwingend mehr Polizisten auf der Strasse. So gab es in den Jahren 2015 und 2017 zwar praktisch gleich viele Veranstaltungen, doch 2017 verbuchte die Polizei viel weniger Einsatzstunden als zwei Jahre zuvor.

Demonstrationen: Einsatzstunden der Stadtpolizei Zürich

Für die Polizeistatistik ins Gewicht fallen vor allem die grossen Umzüge, und von diesen gab es 2015 mehr als 2017. Es ist etwas anderes, an einem Samstagnachmittag 15 000 Klimabewegte sicher durch die Zürcher Innenstadt zu geleiten, als bei vier Tierschützern vorbeizuschauen, die an einer Strassenecke ein Plakat für das Wohl der Orcas hochhalten.

Die Stadtpolizei Zürich weist aus einsatztaktischen Gründen nicht aus, wie viel Personal oder Stunden sie pro Veranstaltung ansetzt. Einen Annäherungswert gibt es aber aus Basel-Stadt: Für den dortigen 1.-Mai-Umzug verbuchte die Kantonspolizei im letzten Jahr rund 3600 Zusatzstunden.

3. Was kostet ein Polizeieinsatz an einer illegalen Demo?

Eine systematische Übersicht über die Polizeikosten fehlt – dies nicht zuletzt, weil die Stadt Zürich bis jetzt Einsätze grundsätzlich nicht in Rechnung stellt. Es gibt aber einige Hinweise und Erfahrungswerte.

Im Oktober 2021 besetzten Aktivisten von Extinction Rebellion im Rahmen einer «Klimawoche» mehrere Tage lang Teile der Zürcher Innenstadt. Unter anderem kam es zu Sitzblockaden. Ein Jahr später legte der Stadtrat nach einer Anfrage im Parlament die Abrechnung vor. Die Polizeikosten für einen einzigen Einsatztag beliefen sich laut dieser auf bis zu knapp 300 000 Franken, gesamthaft waren es fast 700 000 Franken. Diese Rechnung berappte der Steuerzahler.

Genaue Zahlen gibt es auch zu einer Besetzung: 2015 ging eine unbewilligte dreitägige Open-Air-Party im Binz-Areal in der Stadt Zürich über die Bühne. Der Stadtrat bezifferte die Polizeikosten auf 225 000 Franken.

Alles in allem kosten Polizeieinsätze an Demonstrationen und Kundgebungen (bewilligt und unbewilligt) etwa 2 bis 3 Millionen Franken pro Jahr – dies zeigen Zahlen aus den Jahren 2015 bis 2019. Ein Ausreisser war das Jahr 2021 mit über 5 Millionen Franken.

Als Spezialfall gelten kann die Räumung eines besetzten Waldstücks in Rümlang, unmittelbar an der Zürcher Stadtgrenze, im April 2023. Da sich die Umweltaktivisten zum Teil in den Bäumen verschanzt hatten, wurden Drehleitern und Kletterspezialisten benötigt. Dieser Einsatz ging auf das Konto der Kantonspolizei, die im Gegensatz zur Stadtpolizei ihre Kosten bereits heute weiterverrechnet.

Vierzehn Personen, deren Personalien vor Ort aufgenommen wurden, sehen sich daher mit Forderungen von über 24 000 Franken konfrontiert. Dabei differenziert die Polizei: Jene drei, die sich in den Bäumen der Räumung lange widersetzten, werden mit je 5000 Franken belangt. Diese Zahlen stammen aus dem Umfeld der Aktivisten, offiziell bestätigt werden sie wegen des laufenden Verfahrens nicht.

Grundsätzlich ist aber selbst bei einer Annahme der Anti-Chaoten-Initiative nicht davon auszugehen, dass künftig sämtliche Polizeikosten integral überwälzt werden können – das übergeordnete Recht sieht Einschränkungen vor.

Denkbar ist, dass Zürich Obergrenzen definieren wird, wie sie etwa der Kanton Bern kennt. Dort liegt das Limit, für besonders schwere Fälle, bei 30 000 Franken. In der Praxis liegen die Zahlungen aber deutlich tiefer. Bei einer unbewilligten Corona-Demonstration fielen Polizeikosten von 200 000 Franken an. Einige wenige Teilnehmer erhielten Rechnungen in der Höhe von 200 bis 1000 Franken, total kaum mehr als 5000 Franken.

4. Wie hoch sind die Sachschäden?

Die Anti-Chaoten-Initiative verlangt, dass Organisatoren und Teilnehmer von unbewilligten Kundgebungen und Demonstrationen nicht nur für die Polizeikosten, sondern auch für die Sachschäden aufkommen.

Deren Höhe variiert stark. Eine Aufstellung der Stadtregierung weist für Demonstrationen von 2015 bis 2019 jährliche Schäden von insgesamt rund 100 000 bis weit über 400 000 Franken aus. Die meisten Veranstaltungen zogen zwar gar keine Schäden nach sich, doch für eine kleine Zahl fallen Aufwendungen von wenigen tausend, einigen zehntausend oder sogar mehreren hunderttausend Franken an.

Auch eine kleine Gruppe kann viel Unheil anrichten: Im Jahr 2016 hinterliess ein Zug von nur gerade 50 Personen Schäden im Umfang von 155 000 Franken, also rund 3000 Franken pro Kopf. Das Umgekehrte gibt es allerdings auch: grosse, unbewilligte Demonstrationen ohne jegliche Beschädigung.

5. Welche sonstigen Kosten gibt es?

Bei der «Klimawoche» von Extinction Rebellion im Oktober 2021 befreite die Feuerwehr zwei Personen, die sich einbetoniert hatten. Dieser Einsatz schlug mit nicht ganz 5000 Franken zu Buche und wurde den beiden Aktivisten in Rechnung gestellt, weil sie vorsätzlich gehandelt hatten.

Regelmässig mit Kosten konfrontiert sehen sich weiter auch die Verkehrsbetriebe der Stadt Zürich; sie rechnen pro Umzug im Schnitt mit 2200 Franken Sonderaufwand.

Kaum beziffert und deshalb auch kaum verrechnet werden können schliesslich indirekte Kosten von Demonstrationen, zum Beispiel Umsatzeinbussen, weil Kunden wegbleiben, oder die verlorene Zeit, weil es wegen einer Veranstaltung zu Staus kommt. Eine einzige Velo-Demo (Critical Mass) kann nach Angaben des Stadtrats Verspätungen für bis zu 20 000 Passagiere im öffentlichen Verkehr mit sich bringen.

Im Fall der Waldbesetzung von Rümlang zeigt sich, dass selbst vergleichsweise harmlose Aktionen ohne Sachschäden diverse Folgekosten nach sich ziehen können. Fast 20 Gemeindearbeiter und Feuerwehrleute räumten nach der Auflösung die Überreste des Camps weg. Sie stellten der Waldbesitzerin, einer lokalen Korporation, dafür 8000 Franken in Rechnung. Diese bekam noch eine zweite Rechnung, über 9000 Franken für einen privaten Sicherheitsdienst. Der Wald musste nach der Räumung auf Geheiss der Polizei bewacht werden, damit die Aktivisten nicht zurückkehren.

Die Korporation versucht ihre Auslagen nun bei jenen vierzehn Personen einzutreiben, deren Personalien aufgenommen wurden – ob sie damit Erfolg hat, ist offen. Die Waldbesetzer haben zwar ein Crowdfunding gestartet und bisher über 30 000 Franken gesammelt. Dieser Betrag reicht aber gerade einmal, um den Polizeieinsatz und die zu erwartenden Bussen zu bezahlen. Kommt hinzu, dass die Besetzer ihn ohnehin für etwas anderes einsetzen wollen: um sich vor Gericht gegen die Forderungen zu wehren.

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