Dienstag, Oktober 22

Der amerikanische Präsident stellte die Nato schon in seiner ersten Amtszeit infrage. Die Allianz behauptete sich und gewann sogar an Stärke. Das ist für eine zweite Präsidentschaft Trump nicht garantiert.

An den 25. Mai 2017 erinnert man sich in Brüssel gut. Es ist der Tag, an dem der neugewählte amerikanische Präsident Donald Trump zum ersten Mal einen Nato-Gipfel in der belgischen Hauptstadt besucht. Man hat Vorbereitungen getroffen, um den Gast aus Washington nicht zu langweilen. Redebeiträge der Staats- und Regierungschefs werden auf jeweils zwei bis vier Minuten begrenzt. Auf die übliche Abschlusserklärung zur strategischen Ausrichtung der Allianz wird verzichtet.

Die Verbündeten hoffen, dass sich der Republikaner entgegen früherer Ankündigungen zur Beistandsklausel bekennt. Im Wahlkampf hat Trump den Nordatlantikpakt wiederholt als obsolet bezeichnet und damit gedroht, Amerikas Mitgliedschaft aufzukündigen. Ist er jetzt weiser geworden? Gespannt warten sie auf seine Rede zur Einweihung eines Mahnmals für die Opfer der Terroranschläge vom 11. September 2001. Zum ersten und einzigen Mal in ihrer Geschichte hat die Nato damals den kollektiven Verteidigungsfall ausgerufen.

Hilfreiche Standpauke

Trump würdigt kurz die Hilfe der Partner, geht jedoch mit keinem Wort auf die Beistandsklausel ein. Stattdessen kommt er auf das zu sprechen, was ihn am meisten beschäftigt. «23 der 28 Nato-Mitgliedstaaten zahlen immer noch nicht, was sie für ihre Verteidigung bezahlen sollten», poltert er und schiebt hinterher: «Das ist nicht fair gegenüber dem Volk und den Steuerzahlern in den USA. Viele Nationen schulden uns riesige Mengen Geld.»

Damit ist der Ton im Bündnis für Jahre gesetzt. Bis zum Ende seiner Präsidentschaft wird der wütende Systemsprenger Trump, der «disruptor-in-chief», vor allem den Westeuropäern vorwerfen, sicherheitspolitische Trittbrettfahrer zu sein. Die Verbündeten erwarten launische, bisweilen chaotische Gipfeltreffen, immer wieder Drohungen, aber auch Komplimente.

So warnt Trump im Juli 2018 erneut vor dem Rückzug der Vereinigten Staaten aus der Allianz und greift vor allem die Deutschen scharf an. Während eines öffentlich übertragenen Frühstückstermins mit dem Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg kritisiert er die Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel dafür, kaum in die eigene Sicherheit zu investieren, aber Milliarden an Moskau zu zahlen. Das Land sei wegen seiner Erdöl- und Erdgasabkommen zu einer Geisel Russlands geworden.

Im August 2019, während einer Videokonferenz, in der es um die Ukraine geht, ruft der amerikanische Präsident aus, dass ihm die Nato «scheissegal» sei. So wird es jedenfalls später sein damaliger Sicherheitsberater John Bolton berichten, der Trump nach eigenen Worten nur mit Mühe davon abgebracht hat, im grossen Stil amerikanische Truppen aus Europa abzuziehen.

Im selben Jahr, am Jubiläumsgipfel zum 70-jährigen Bestehen der Allianz in London, findet Trump dann wieder warme Worte für die Nato. Er bezeichnet das Spitzentreffen als grossen Erfolg, bescheinigt ihm einen «sehr guten Geist». In der gemeinsamen Abschlusserklärung wird die gegenseitige Beistandsverpflichtung hervorgehoben, genauso wie die Bedeutung der «transatlantischen Bindung zwischen Europa und Nordamerika». Es ist zu diesem Zeitpunkt auch nicht mehr der Amtsinhaber im Weissen Haus, sondern der französische Staatschef Emmanuel Macron, der mit seinen «Hirntod»-Äusserungen die Existenz des Bündnisses infrage stellt.

Die Nato überlebt die erste Amtszeit Trumps, und sie geht sogar gestärkt aus ihr hervor. Anfang 2021 kann Stoltenberg ein deutliches Plus bei den Verteidigungsausgaben der Alliierten vermelden. Die Tiraden aus Washington sollten bewirken, dass bis Ende 2020 immerhin zehn Mitgliedstaaten in Europa das Ziel erfüllen, mindestens 2 Prozent ihrer nationalen Wirtschaftsleistung in die Streitkräfte zu investieren.

Erfunden hat dieses Ziel keineswegs Trump. Es stammt aus dem Jahr 2002, als sich die Nato gen Osten erweiterte und die USA einen Richtwert für alle Mitglieder vorschlugen, um als Verteidigungsbündnis glaubwürdig zu erscheinen. 2014 wurde es nach der russischen Annexion der Krim-Halbinsel offiziell beschlossen. Bestimmt, aber erfolglos drängte der damalige Präsident Barack Obama seine «liebe Freundin» Merkel zwei Jahre später, dem Versprechen auch Taten folgen zu lassen.

Tatsächlich erhöhte Trump sogar die Mittel für die sogenannte European Deterrence Initiative, die Obama nach der Krim-Annexion angestossen hatte und mit der die Truppenpräsenz der USA im Baltikum und in Osteuropa erhöht wurde. Das stand eigentlich im Widerspruch zu Trumps betont Russland-freundlicher Rhetorik.

Existenzielle Herausforderung

Ein Grund, warum die Nato seine Präsidentschaft überstand, war das geschickte Agieren von Jens Stoltenberg. Der Generalsekretär machte sich die Forderung nach einer gerechteren Lastenteilung zu eigen, übte Druck auf die Verbündeten aus und lobte, wo er nur konnte, Trumps «starke Führerschaft». Während das Verhältnis des Präsidenten zu Merkel, Macron und der britischen Premierministerin Theresa May zusehends schlechter wurde, hatte Stoltenberg dank seinem servilen Kommunikationsstil, wie ein Insider berichtet, stets «Trumps Ohr».

Einen mässigenden Einfluss übte zudem das aussenpolitische Establishment der USA auf Trump aus. Vergleichsweise moderate Gefolgsleute wie Rex Tillerson, Herbert Raymond McMaster und James Mattis wurden jedoch bis Ende 2018 entlassen oder traten zurück. Sogar Bolton, ein konservativer Hardliner, quittierte im September 2019 seinen Dienst. Stoltenbergs Mittlerrolle dürfte deswegen umso wichtiger gewesen sein.

Wirklich vom Wert der Nato überzeugt war Trump nie. Seine Perspektive auf die Allianz sei letztlich die eines Geschäftsmannes gewesen, der von der Gewissheit habe ausgehen müssen, einen «guten Deal» zu machen, meint Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Am Ende unterschied Trump deswegen auch kaum zwischen dem Ringen um die gemeinsame Verteidigung und dem Streit mit den Europäern in der Handelspolitik, wo er ebenfalls Konzessionen verlangte.

Dass Trump aktuell wieder Zweifel an der Beistandspflicht sät, lässt nichts Gutes erahnen. Denn im Unterschied zu seiner ersten Präsidentschaft dürfte der Republikaner mittlerweile genügend ideologisch Gleichgesinnte um sich geschart haben. Zugleich bleibt der selbsterklärte Disruptor unberechenbar. Aus Sicht der Allianz ist Glaubwürdigkeit aber die wichtigste Währung.

«Göteborgs-Posten»: Trumps brutale Rhetorik war wirkungsvoll

(dpa) Die liberale schwedische Tageszeitung «Göteborgs-Posten» verteidigte am Donnerstag den amerikanischen Präsidentschaftsbewerber Donald Trump, der gedroht hatte, Nato-Partnern mit geringen Verteidigungsausgaben im Falle eines russischen Angriffs keine Unterstützung zu gewähren: «Donald Trumps Aussage, Russland könne mit Nato-Ländern, die nicht in ihre Verteidigung investieren, machen, was es wolle, hat das Bündnis erschüttert. Viele haben diese Aussage zu Recht verurteilt, die die Glaubwürdigkeit des Verteidigungsbündnisses untergräbt und seine Feinde ermutigt. Gleichzeitig sollten wir wohl auf die Botschaft hören. Trump ist nicht der erste Präsident, der gegen sicherheitspolitische blinde Passagiere wettert. Barack Obama versuchte mehrmals, die Nato-Staaten dazu zu bewegen, mehr für ihre nationale Verteidigung auszugeben. Das Problem mit Obama war, dass er so wortgewandt und höflich war, dass seine Forderung nicht ernst genommen wurde. Trumps brutale Rhetorik hat sich als erfolgreicher erwiesen. Seine erste Amtszeit als Präsident führte tatsächlich dazu, dass die Nato-Länder insgesamt ihre Verteidigungsausgaben erhöhten.

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