Mittwoch, November 27

Das Schicksal der Geiseln bewegt ganz Israel. Zwar wurde mehr als die Hälfte befreit – doch die Rettung jener, die noch immer in Gaza sind, wird immer unwahrscheinlicher. Eine Übersicht in Daten.

In diesen Stunden bangen Hunderte Angehörige von israelischen Geiseln um ihre Liebsten, die seit einem Jahr unter furchtbaren Bedingungen in Gaza festgehalten werden. Zwar beherrschen nun die Bodenoffensive in Libanon und der Schlagabtausch zwischen Israel und Iran die Schlagzeilen – doch für die Geiselangehörigen sind das Nebenschauplätze. Ihre Familienmitglieder sind seit dem 7. Oktober in Geiselhaft der Hamas. Mit jedem weiteren Tag und jeder weiteren Eskalation steigt die Angst der Familien, ihre Söhne und Töchter zu verlieren.

Am Tag des Massakers hatten die Terroristen 251 Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Rund 150 Männer, Frauen und Kinder konnten inzwischen befreit werden, einige waren allerdings bereits tot. 97 Geiseln befinden sich nach wie vor in der Gewalt der Terrorgruppe. Zwölf lange Monate des Geiseldramas verdeutlichen, welche enormen Herausforderungen sich bei der Rettung der Verschleppten stellen.

Die Befreiten: Rettungsaktionen sind selten, und sie sind mit Verlusten verbunden

Eine der Geiseln ist Andrei Koslow, der acht Monate lang gefangen gehalten wurde. Der russisch-israelische Doppelbürger arbeitete als Wachmann beim Nova-Festival, wo die Hamas am 7. Oktober Hunderte Partygänger tötete. Zwei Jahre zuvor war er alleine von Russland nach Israel gezogen, um Geld zu verdienen. In einem Interview mit CNN berichtet der 27-Jährige, er sei von der Hamas psychisch und teilweise auch physisch misshandelt worden.

Neben Koslow wurden im Zuge der Operation Arnon drei weitere Geiseln befreit: die 26-jährige Noa Argamani, der 21-jährige Almog Meir und der 40-jährige Schlomi Ziv. Die israelische Regierung sprach von der grössten Rettungsoperation seit Ausbruch des Gaza-Kriegs. Neben hundert israelischen Soldaten seien an der Spezialoperation auch Polizeikräfte und der Geheimdienst Shin Bet beteiligt gewesen. Laut Angaben der israelischen Armee wurden die Geiseln aus zwei privaten Wohnhäusern inmitten der Stadt Nuseirat im Gazastreifen gerettet.

Die israelische Luftwaffe unterstützte die Rettungsaktion mit Bombardierungen aus der Luft. Dabei kam es zu grossflächigen Zerstörungen. Die Operation forderte laut dem von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministerium 274 Todesopfer und rund 700 Verletzte. Kritik an diesem Vorgehen wehrt Israel mit dem Hinweis ab, dass die Hamas die Geiseln gezielt in dichtbesiedelten Gebieten unterbringe, um die Rettung zu erschweren und weiteres menschliches Leid anzurichten.

Die Freilassung mehrerer Geiseln im Rahmen des Waffenstillstands im vergangenen November hingegen verlief unblutig. Es waren vor allem Frauen und Kinder, die damals freikamen – was dazu führte, dass viele Familien auseinandergerissen wurden.

Etwa die Familie Ziadna: Yussef al-Ziadna, seine Söhne Hamza und Bilal sowie seine Tochter Aisha arbeiteten auf der Holit-Farm an der Grenze zum Gazastreifen, als sie von den Terroristen ergriffen wurden. Die Familie zählt zu den in Israel lebenden Beduinen, einer arabischsprachigen, muslimischen Minderheit. Sie stammen aus einem Beduinendorf, das von Israel nicht anerkannt wird. Aisha und Bilal wurden während der siebentägigen Waffenruhe am 30. November freigelassen. Yussef und sein Sohn Hamza befinden sich noch immer in Gaza.

Die Geiseln in Gefangenschaft: Soldatinnen sind besonders schwierig zurückzuholen

Ihre Eltern, Shira und Eyal Albag, sind prominente Stimmen der Bewegung zur Befreiung der Geiseln – und lautstarke Gegner von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu. Die rechtsextremen israelischen Minister seien schuld, dass noch immer kein Abkommen mit der islamistischen Hamas für ein Ende des Kriegs und die Freilassung der Geiseln zustande gekommen sei, argumentiert Liris Vater.

Shira und Eyal Albag gingen mit Bildern und Videos ihrer Tochter, die sie von der Armee erhalten hatten, an die Öffentlichkeit. Damit wollten sie Druck auf die Regierung ausüben. Auf den von Hamas-Terroristen gemachten Aufnahmen ist sie gefesselt mit anderen entführten Soldatinnen zu sehen. Auf einer weiteren undatierten Aufnahme sitzen die Frauen auf dünnen Matten am Boden. Im Hintergrund ist ein Bild des inzwischen getöteten Hamas-Chefs Ismail Haniya zu sehen.

Ein Jahr nach ihrer Entführung ist immer noch unklar, unter welchen Umständen die fünf Soldatinnen von der Hamas festgehalten werden und ob sie tatsächlich noch alle leben.

Die Verstorbenen: Manchen Familien wird der Abschied verwehrt

Lange ging die Familie der beiden davon aus, dass zumindest Gad Haggai noch am Leben sei. Erst am 22. Dezember erfuhr sie, dass er am 7. Oktober getötet worden war. Sechs Tage danach folgte die Nachricht über den Tod von Judith Weinstein Die Leichen der beiden hält die Hamas bis heute fest. Die jüdische Tradition verlangt es, nach dem Begräbnis eines Familienmitglieds sieben Tage lang zu trauern. Vielen Familien wurde dieser Abschluss verwehrt – dennoch haben einige Familien inzwischen Beerdigungszeremonien abgehalten, allerdings ohne Leichnam.

Die Angehörigen fordern Antworten

Seit fast einem Jahr befinden sich immer noch zahlreiche Geiseln in der Gewalt der Hamas. Immer wieder versammeln sich Tausende Demonstranten auf den Strassen von Tel Aviv und anderen israelischen Städten, um für ein Geiselabkommen zu protestieren.

Die Protestierenden werfen Ministerpräsident Benjamin Netanyahu vor, eine Einigung mit der Hamas immer wieder torpediert zu haben, um sein politisches Überleben sicherzustellen. Noch Anfang September schien ein Geiselabkommen in Reichweite. Nach Angaben der amerikanischen Regierung war man sich in 90 Prozent der umstrittenen Punkte einig geworden. Doch angesichts des Krieges gegen den Hizbullah ist das Schicksal der Geiseln in den Hintergrund getreten – die Verhandlungen über eine Einigung liegen wieder auf Eis.

Datenquelle Visualisierungen: Haaretz, IDF, NZZ-Recherchen

Visualisierungen: Adina Renner
Text: Seda Motie
Illustrationen: Jasmin Hegetschweiler
Mitarbeit: Jonas Roth, Julia Monn

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