Samstag, Oktober 5

Die Schweizer Bezahl-App ist eine Erfolgsgeschichte. Doch ihre Auslandpläne sind bisher ein Papiertiger geblieben. Nun droht dem Vorhaben Konkurrenz aus Brüssel.

Wer sucht, der «googelt». Wer mit dem Smartphone bezahlt, der «twintet»: Die Schweizer Bezahl-App hat geschafft, wovon andere Startups nur träumen können. Twint hat seinen Weg in den allgemeinen Sprachgebrauch gefunden und gilt in Europa als Vorzeigebeispiel für technologische Innovation im Zahlungsbereich. Das war nicht immer so.

Als die App nach dem Zusammenschluss ihrer beiden Vorgänger-Applikationen 2017 neu auf den Markt kam, ging alles schief, was schiefgehen konnte. An Ladenkassen schlugen Transaktionen fehl, Peer-to-Peer-Überweisungen zwischen einzelnen Nutzern scheiterten, und QR-Codes funktionierten nicht. Es hagelte Negativschlagzeilen. Ein Finanzblog schrieb genüsslich von der «Crash-App Twint».

Tempi passati. Heute wickelt Twint in der Schweiz über eine halbe Milliarde Transaktionen pro Jahr ab. Mehr als fünf Millionen Menschen nutzen das Produkt. Tendenz steigend. Die App hat das Ziel ihrer Aktionäre – die grössten Schweizer Banken – erreicht, ein Gegengewicht zu amerikanischen Zahlungssystemen wie Apple und Google Pay zu schaffen. Twint ist eine helvetische Tech-Erfolgsstory. Aber eben auch nur das.

Auf europäischer Ebene droht die Bezahl-App die entscheidende Schlacht Markt zu verlieren, weil sich ein mächtiger Rivale in Stellung bringt.

Twint arbeitet seit bald fünf Jahren am Sprung über die Landesgrenze. Im September 2019 kündigte die App an: «Twint-Nutzer sollen in Europa bezahlen können.»

Das Unternehmen gründete zusammen mit anderen nationalen Bezahl-App-Betreibern die European Mobile Payment Systems Association (Empsa). Hauptsitz: Zürich, im gleichen Gebäude wie Twint. Das Ziel von Empsa: Schwedische Swish-Nutzer sollen die Rösti in Zürich per QR-Code bezahlen können. Schweizer Twint-Nutzer die Köttbullar in Stockholm ebenso.

Das Projekt lag auf einer Linie mit dem Ziel der Europäischen Union, auf dem alten Kontinent ein von den USA unabhängiges Bezahlsystem zu entwickeln. Betriebswirtschaftliche und geopolitische Interessen deckten sich. Ausland ist Twint-Wüste Doch mittlerweile herrscht Ernüchterung.

Das Ausland ist eine Twint-Wüste

Das ambitionierte Vorhaben von Twint und seinen Mitstreitern hat für die Kunden wenig Greifbares hervorgebracht. Bis heute hat kein einziger Schweizer Twint-Nutzer im Ausland ein Produkt oder eine Dienstleistung bezahlt, wie Marketing-Chef Jens Plath bestätigt: «Es gibt derzeit noch keine Möglichkeit für Twint-Nutzer, an physischen Zahlungsterminals im Ausland zu bezahlen.»

Die von Twint mitgegründete Vereinigung hat zwar die technischen Grundlagen für eine grenzüberschreitende Nutzung ihrer Bezahl-Apps auf dem Papier erarbeitet. Immer wieder hat es vielversprechende Tests gegeben: Erst vor wenigen Tagen etwa haben Empsa-Verantwortliche an der Europameisterschaft in Deutschland App-übergreifende Zahlungen durchgeführt.

Aber wenn man die Zuständigen nach einem konkreten Zeitplan für eine Umsetzung am breiten Markt anspricht, weichen diese aus. Twint und die anderen Empsa-Mitglieder sind den Tatbeweis schuldig, dass ihre Applikationen im Alltag kompatibel sind.

Bedrohung aus Brüssel?

Während Twints Auslandpläne feststecken, wächst die Konkurrenz. Diese Woche haben mehrere grosse Banken aus Frankreich, Deutschland und den Benelux-Staaten die Smartphone-Bezahllösung Wero lanciert. Sie bietet bereits in mehreren Ländern Sofortüberweisungen an. Die neue Zahlungslösung ist eine Kampfansage an Twint und seine Mitstreiter.

Die European Payment Initiative (EPI) mit Sitz in Brüssel will Wero als «Standard für europäische Verbraucher und Händler» etablieren. Statt wie bei Empsa viele nationale Bezahl-Apps, die miteinander interagieren, soll es bei Wero eine dominante Lösung geben. Sie wird als eigenständige App und gleichzeitig als Bestandteil bestehender Banken-Apps funktionieren. Um an Schlagkraft zu gewinnen, hat EPI im vergangenen Jahr die niederländische Bezahl-App iDeal akquiriert.

EPI-Chefin Martina Weimert zweifelt an der Machbarkeit des dezentralen Ansatzes von Twint und Empsa. Der Mangel an Fortschritten zeige, wie schwierig es sei, Bezahl-Apps mit unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen, Geschäftsmodellen und Funktionen interoperabel zu machen, sagte sie vor kurzem dem Branchenmagazin «Euromoney»: «Mit nationalen Lösungen kann man viel erreichen. Aber wenn man das Gesamtbild betrachtet, ist es doch sehr begrenzt.» Man müsse die Finanzkraft und den Markteinfluss aller europäischen Banken bündeln, wenn man etwas Sinnvolles erreichen wolle.

Noch dramatischer liess sich auf dem Branchenportal ein Vertreter einer EPI-Mitgliedsbank zitieren: «Mit Blick auf die Zukunft werden wir den Krieg mit Google, Apple und den anderen verlieren, wenn wir weiterhin unsere lokale [Bezahl-]Lösung verteidigen.»

Das sind wenig erbauliche Worte für die in der Empsa vereinigten Bezahl-Apps. Sie geben sich trotzdem optimistisch, dass sich ihr dezentraler Ansatz mit unabhängigen nationalen Lösungen durchsetzen wird.

Ihre Hoffnung: Die neue, länderübergreifende Konkurrentin Wero soll sich früher oder später dem Empsa-Netzwerk anschliessen. «Für uns ist es interessant, wenn es endlich auch in Deutschland, Frankreich und den Benelux-Staaten einen Player gibt, der als Kooperationspartner infrage kommt», sagt Twint-Vertreter Plath.

Derzeit beruht das Interesse aber nicht auf Gegenseitigkeit. Laut Informationen der «NZZ am Sonntag» zeigen die Verantwortlichen von EPI wenig Lust an einer Teilnahme am Empsa-Netzwerk. Ihr Ziel lautet, die alleinige europäische Marktführerin zu werden.

Auf Zalando klappt’s

Ob die neue länderübergreifende Bezahllösung Wero am Ende tatsächlich erfolgreicher sein wird als Twint, Empsa und seine Mitgliedsfirmen, steht aber in den Sternen.

Steven Jacob, Payment-Experte von Arkwright Consulting, hat Bedenken, dass Wero sich langfristig erfolgreich etablieren kann. Einerseits erfolge der Markteintritt spät, wenn man berücksichtige, dass verschiedene skandinavische Angebote bereits vor über einem Jahrzehnt lanciert worden seien. Andererseits gebe es mit nationalen Bezahl-Apps sowie internationalen Angeboten wie Apple und Google Pay, aber auch Paypal bereits gut etablierte Payment-Lösungen. Aus Kundensicht bestehe daher wenig Bedarf an einer weiteren Alternative.

Twint tröstet sich in der Zwischenzeit damit, dass seine Schweizer App-Nutzer zwar nicht physisch, aber immerhin online auf ausländischen Plattformen heute Zahlungen tätigen können. «Wir arbeiten mit mehreren grossen Zahlungsdienstleistern zusammen. Das ermöglicht es, dass man heute auf Zalando, Airbnb, Booking und diversen anderen Plattformen mit Twint bezahlen kann», sagt Marketing-Chef Plath. Im Inland sieht das Unternehmen im stationären Handel weiteres Potenzial für einen «massiven Ausbau» der Transaktionen.

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