Sonntag, Oktober 27


An einem Tisch

Sich mit Menschen an einen Tisch setzen, die man zuvor noch nicht kannte? Das Phänomen heisst Social Dinner und die kommerzialisierte Version davon Supper Club. Gemeinsam Essen wird als Event zelebriert.

Essen mit Fremden ist wie der erste Schultag: aufregend, unbeholfen und anfangs etwas steif. Doch das Gute daran: Wenn sich niemand kennt, ist es leichter, Kontakte zu knüpfen. Am Ende versteht man sich womöglich mit den Personen am besten, die man ausserhalb dieses Rahmens nie kennengelernt hätte. Deshalb setzen sich immer mehr Menschen mit Unbekannten an einen Tisch. Meist ist er sehr aufwendig dekoriert: selbstgeschriebene Menukarten, üppige Blumengestecke und unterschiedliches Geschirr.

Das Phänomen heisst Social Dinner und die kommerzialisierte Version davon Supper Club. Dabei kocht ein Gastgeber für Freunde und Fremde. Die Gäste sehnen sich nach Gemeinschaft. Sei es, weil sie neu in eine Stadt gezogen sind, offline die grosse Liebe finden wollen oder authentisches, selbstgemachtes Essen mögen.

Wie sich die Supper Clubs entwickelt haben

Noch vor ein paar Jahren wurde auf Social Media dazu aufgerufen, allein ins Restaurant essen zu gehen. «Me Time», bewusst Zeit für sich selbst nehmen. Während der Corona-Pandemie hat sich das geändert, denn man hat häufiger allein gegessen, und der Wunsch nach realen Begegnungen wurde grösser. In einer digitalen Welt sehnen sich die Menschen danach, an einem realen Ort Beziehungen aufzubauen. Social Dinners sowie Supper Clubs sind aufgekommen, weil es immer schwieriger wurde, neue Bekanntschaften fern von Apps wie Bumble Friends und Tinder zu knüpfen.

Neu ist dieses Konzept indes nicht. Bereits in der Antike haben sich Menschen zu gemeinsamen Essen getroffen. Im 18. und 19. Jahrhundert florierten private Dinnerpartys in prunkvollen Salons von meist wohlhabenden Gastgebern. Sie luden Intellektuelle wie Schriftsteller und Künstler ein, um anregende Gespräche zu führen und ihr gesellschaftliches Netzwerk zu erweitern. Diese Tradition hat sich weiterentwickelt.

Als Gründer der neuzeitlicheren Social Dinners gelten Felipe Donnelly und seine Frau Tamy Rofe aus New York. Jeden Donnerstag nach der Arbeit haben sie zu Hause für Fremde gekocht, um Kreative zusammenzubringen. Das Interesse war so gross, dass Donnelly und Rofe 2010 einen Supper Club für bis zu 50 Personen gründeten.

Im Gegensatz zu Social Dinners bezahlt man bei Supper Clubs einen fixen Betrag für den Abend. Oft gibt es ein festes Start- und Enddatum, und das Menu wird vorab bekanntgegeben. Das Essen soll ein Miteinander schaffen: Schälchen mit geschlagener Butter, grosse Platten mit Fisch, den die Gäste filetieren, und zum Dessert ein Kuchen, der herumgereicht wird. Teilen ist Teil des Abends.

Die neue Ära des gemeinsamen Essens

Die Angebote werden immer diverser: In Berlin veranstaltet Hannah Kleeberg von Herrlich Dining durchgestylte Food-Konzepte für junge Menschen, die Wert auf Ästhetik legen. Auf Instagram verfolgen Herrlich Dining 90 000 Personen und liken fleissig Bilder von krumm gewachsenen Gurken als Tischdekoration oder ein Schachbrett mit Oliven als Spielfiguren.

In Helsinki hostet Influencerin Emma Ranne Supper Clubs, wo die Gäste am Tisch ihre Gnocchi selbst formen, und über den Dächern Athens treffen sich Einheimische und Touristen bei den Social Dinners von Paradiso. Auch in der Schweiz steigt die Nachfrage.

Vor acht Jahren hat Loit Lim begonnen, in ihrer Wohnung in Zürich Abendessen zu veranstalten. Das sprach sich herum, und plötzlich hatte sie neben Freunden auch Fremde zu Gast. Jeder hat sein eigenes Getränk mitgebracht, es gab ein Menu zum Teilen und am Ende eine Kollekte. Über die Jahre ist daraus ein Geschäft entstanden.

Was ist der Unterschied zum Restaurant?

Lim veranstaltet nun Dinner-Events wie die Premiere von «Pinocchio» im Schauspielhaus Zürich, die Eröffnung der Galerie Lighthaus in Zürich und die Kollaboration Galerie Gregor Staiger x Swiss Institute für das Zurich Art Weekend. Sie dekoriert, wählt die Musik aus und kocht. Es gehöre auch dazu, die Gäste zu begrüssen und eine angenehme Atmosphäre zu schaffen. «Es soll sich etwas Natürliches entfalten und auch in grossen Gruppen persönlich sein», sagt sie. Das gemütliche Beisammensein könne auch einmal in einer Party enden.

So erzählt es auch Sibille Albertin, bekannt als batterzh auf Instagram. «Im Restaurant interagiert man weniger mit anderen Gästen», sagt sie, «ein Supper Club ist viel intimer». Man fühle sich zu Hause, ohne es zu sein. «Da erwartet auch niemand ein Gourmet-Dinner – zumindest nicht bei mir.»

Albertin ist schon lange als Restaurationsfachfrau tätig und verkauft über Instagram aufwendig dekorierte Torten. Supper Clubs hat sie erst dreimal veranstaltet. Inspiriert dazu wurde sie vor zwei Jahren auf Instagram von Leuten aus Paris und London. Bei ihren Supper Clubs habe Ästhetik einen hohen Stellenwert. «Ich möchte nicht nur eine schöne Platte anrichten, sondern auch einen schönen Kelch und Teller auf dem Tisch – das Gesamtpaket ist mir wichtig.» Zu den Batter Supper Clubs kommen Personen zwischen 20 und 60 Jahren, «die es sich gerne gutgehen lassen und eine gewisse Ästhetik schätzen», wie die Gastgeberin sagt.

Albertin bietet jeweils ein Drei-Gänge-Menu für 130 Franken an und dekoriert den Raum aufwendig mit Kerzen, Blumen und verschiedenem Geschirr. Bei ihrem letzten Supper Club servierte sie eine grosse Merengue-Platte mit Crème double und einem Sauerkirsche-Zimt-Kompott. Das Backen habe 20 Stunden gedauert, schreibt sie auf Instagram.

Auf der Plattform kündigt Albertin ihre Supper Clubs an. So machen das auch viele andere, denn es ist eine günstige Möglichkeit, sich zu vermarkten.

Wer sich von Albertin und Lim inspiriert fühlt, selbst ein Dinner zu veranstalten, sollte klein beginnen. Pasta und Risotto eignen sich gut. «Ist die Hälfte der Gäste vegan? Dann mach gleich ein veganes Menu», sagt Lim. Ohnehin sei die Planung das Wichtigste. Die Gäste dürfen auch etwas beitragen, «und sei es, ein Glas Silberzwiebeln zum Fondue mitzubringen».

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