Donnerstag, Oktober 10

Unsere Autorin sah ihr Leben klar vor sich: Heirat, Kinder, Haus. Sie wollte nie dazu gezwungen sein, ihre Eizellen einfrieren zu lassen. Nun könnte die Behandlung ihre letzte Chance auf ein Kind sein. Sie fragt sich: Bezahlt sie mit der teuren Behandlung für ihre Vergangenheit?

Im Wartezimmer der Praxis bin ich die einzige Frau, die allein da ist. Um mich herum sitzen Pärchen, manche älter, manche jünger als ich. Es gibt eine Ecke mit Kinderstühlchen, darüber ist eine Fotowand mit Babybildern angebracht. Dies soll den Patienten wohl Hoffnung machen. Auf mich wirken die Bilder wie ein unerreichbarer Traum. Ich bin fast 39 Jahre alt und kinderlos.

Dieser Status fühlt sich an wie ein Makel in meinem Lebenslauf. Bei jeder Bewerbung, jedem Krankenkassenformular oder Versicherungsantrag kommt die Frage nach Kindern. Jeder HR-Personalbogen reisst die Wunde wieder auf, selbst die Steuererklärung erinnert mich daran, dass ich noch immer ledig und kinderlos bin. Und jetzt sitze ich hier, im Wartezimmer der Kinderwunschklinik. Allein zwischen all diesen Paaren.

In ihren Blicken lese ich teils Hoffnung, teils Verzweiflung. Und doch sind sie mir einen Schritt voraus. Denn all diese Paare sind hier, um eine künstliche Befruchtung vornehmen zu lassen. Es gibt bereits einen potenziellen Vater. Ich hingegen stehe vor der Entscheidung, meine Eizellen einfrieren zu lassen, um ihren Alterungsprozess zu stoppen – und mir Zeit zu erkaufen, die ich nie brauchen wollte.

In einem Jahr werde ich 40. Mein Leben sollte bis dahin ganz anders aussehen: Ich wollte verheiratet sein, Kinder und ein eigenes kleines Häuschen haben. Mit Anfang 30 stand ich das erste Mal vor den Scherben einer Beziehung. Das Leben, das ich vor mir sah, zerplatzte wie eine Seifenblase. «Du hast ja noch Zeit, mit jemand anderem ein neues Leben anzufangen», sagte er damals.

Schon damals hatte ich Angst, dass ich nie wieder jemanden finden würde, mit dem ich mir das alles vorstellen könnte. Und dass mir die Zeit davonläuft. «Mit 40 brauche ich nicht mehr anzufangen», sagte ich mit Blick auf die Familienplanung, die in weite Ferne gerückt war. Jetzt, sechs Jahre und eine weitere Beziehung später, bleibt mir nur noch etwa ein Jahr, bis meine persönliche Schallmauer erreicht ist. Und ich ahne, dass ich sie durchbrechen muss, wenn ich Kinder möchte. Deshalb sitze ich hier, in dieser Praxis.

Die biologische Uhr tickt für Männer nicht

Social Freezing heisst der Prozess, in dem Eizellen entnommen und unbefruchtet eingefroren werden, um ihren Alterungsprozess aufzuhalten. Denn mit zunehmendem Alter steigt auch das Risiko von Genmutationen. Während ich da im Wartezimmer sitze, schwirren mir Begriffe wie Trisomie 21 durch den Kopf, vor meinem inneren Auge sehe ich Kinder mit körperlichen oder geistigen Behinderungen. Und dann steigt Wut in mir auf. Wut auf meine Ex-Freunde, die mir so viel wertvolle Zeit geraubt haben, weil sie sich selbst noch nicht bereit gefühlt haben, Vater zu werden. Mich hinhielten, während sie selbst keine biologische Uhr haben, die immer lauter tickt.

Das alles geht mir durch den Kopf, während ich im Wartezimmer sitze. Die Pärchen sind nicht ohne Grund hier – sie kämpfen wohl mit Fruchtbarkeitsproblemen. Aber ihr habt wenigstens einander, denke ich. Ich habe nur Freunde mit guten Ratschlägen.

«Wenn du so unbedingt Mutter werden willst, dann geh doch zur Samenbank», gehört zu den unsensibelsten Aussprüchen, die ich mir in den vergangenen Jahren anhören durfte. Was dieser Satz bedeutet, ist den Menschen, die mir das sagen, wohl nicht klar. Ich soll das Kind eines Mannes bekommen, den ich nie kennengelernt habe und über den ich nichts weiss? Und vor allem: Ich soll alleinerziehende Mutter werden? «Würdest du das denn wollen?», will ich diese Freunde fragen, aber meistens behalte ich das für mich. Alleinerziehend zu sein, war für mich nie eine Option.

Was ich mir wünsche, ist nicht einfach nur ein Kind. Ich wünsche mir eine Familie, einen Partner an meiner Seite, jenen Alltag, den so viele um mich herum haben und über den sie dann klagen. Ich wünsche mir, sagen zu können, dass ich zu fertig bin, um mich mit meiner Freundin zu treffen, weil mich mein Baby mal wieder die halbe Nacht wachgehalten hat. Dass sie gerne vorbeikommen kann, aber ich halt nicht so frisch aussehe, weil mein T-Shirt mit Erbrochenem und Muttermilch beschmiert ist.

Eine Freundin ermutigt mich, das Social Freezing durchzuziehen: «Was gibt es da noch gross zu überlegen?», fragt sie mich. «Du verschaffst dir damit Zeit und nimmst dir den Druck, jetzt jemanden kennenzulernen, mit dem du dann auch noch möglichst schnell ein Kind bekommen willst», sagt sie mir. «Und selbst wenn das funktioniert – was machst du, wenn du später ein zweites Kind willst? Das klappt dann sicher nicht mehr auf natürlichem Weg.» Das sitzt. Ich kann ihr keinen Vorwurf machen, sie weiss, wovon sie spricht. Sie gehört zu jenen Freundinnen, die alles versucht haben, aber bei denen es trotzdem nicht klappte. Sie hat mit dem Wunsch, selbst Kinder zu bekommen, abgeschlossen. Und sie will mich davor bewahren, dasselbe durchmachen zu müssen.

Erfüllung eines Traums oder Eingriff ins Schicksal?

Aber so einfach ist die Entscheidung nicht. Nicht für mich. Eizellen einfrieren zu lassen, bedeutet für mich so etwas wie den Eingriff ins Schicksal. Darf ich das? Oder ist dieser Weg für mich bestimmt? Solche Fragen schwirren mir durch den Kopf, während ich auf die Ärztin warte.

Immer mehr Frauen nutzen Social Freezing. In der Schweiz hat sich die Zahl der Frauen, die ihre Eizellen einfrieren lassen, in kurzer Zeit fast verdoppelt. 2019 entschieden sich schweizweit 841 Frauen dafür, 2021 waren es laut dem Bundesamt für Gesundheit bereits 1574. In Deutschland entschieden sich im Verhältnis deutlich weniger Frauen dafür, doch es werden mehr. 2019 verzeichnet das Deutsche IVF-Register 910 Frauen, die behandelt wurden, 2022 waren es bereits 1688. Ende 2022 waren insgesamt mehr als 144 000 Eizellen eingelagert.

Selbst wenn das Einfrieren von Eizellen immer verbreiteter ist, für mich war immer klar: Social Freezing ist etwas, zu dem ich nie gezwungen sein wollte. Ich wollte zu einem der glücklichen Paare gehören, die mit Ende 30 zwei oder drei Kinder haben, seit über zehn Jahren zusammen sind und beim Personalbogen nicht ledig und kinderlos ankreuzen müssen. Ich will mich auch mit gleichaltrigen Kolleginnen über die Kinder austauschen können, auf die ich so furchtbar stolz wäre, egal, was sie täten.

Im Wartezimmer taucht eine andere Frau ohne Begleitung auf. Wir tauschen kurz Blicke, im stillen gegenseitigen Verständnis nicken wir einander zu. Es ist nur ein kurzer Moment, aber in diesem Augenblick fühle ich mich ein kleines bisschen weniger allein.

Ich könnte ja auch adoptieren, raten mir manche. Meist folgt der Spruch: «Es gibt ja sowieso schon viel zu viele Menschen auf der Welt.» Das klingt, als ob es keinen Unterschied mache, eigene Kinder zu bekommen oder eines zu adoptieren. Und als sei ein Kind etwas, das man sich einfach so irgendwo «holen» könne. Sie haben keine Ahnung, welche Hürden einem auch da der Staat auferlegt. Ohne Partner hat man keine Chance, und mit Partner spielt das Alter genauso eine Rolle. Es gebe zwar keine gesetzlich festgelegte Obergrenze, heisst es, das Alter der Eltern sollte aber «in einem natürlichen Abstand zu dem der Kinder» stehen.

Ganz egal, was ich jetzt tue: Würde ich jetzt ein Kind bekommen, wäre ich schon fast 60, wenn mein Kind 20 würde. Ich weiss noch, wie alt mir Menschen mit 60 vorkamen, als ich selbst 20 war. Mit jedem Jahr, das vergeht, wird mir bewusster: Ich kann nur noch eine alte Mutter werden – wenn es überhaupt gelingt. Und das tut weh.

Auf den Gängen der Praxis eilen immer wieder Ärzte in OP-Kleidung vorbei. All das, was ich mir vor dem Beratungstermin durchgelesen habe, findet hier statt. Jeden Tag. Es hat etwas Geschäftsmässiges. Fast wie in einer Produktion. Denn am Ende geht es hier um Geld, sehr viel Geld.

Krankenkassen unterstützen Single-Frauen nicht

Ich lebe in Deutschland, die gesetzliche Krankenkasse zahlt dort nicht für Social Freezing. Auch in der Schweiz gibt es die Behandlung nur auf eigene Kosten. Wer als Frau einen Kinderwunsch hat und keinen Partner, hat Pech gehabt. Ausnahmen gibt es nur für Patienten, die sich beispielsweise einer Chemotherapie unterziehen müssen und dadurch unfruchtbar werden. Die Altersgrenze für die von Kassen finanzierte Kryokonservierung von Ei- und Samenzellen liegt für Frauen bei 40, für Männer bei 50. Selbst hier wird den Männern also mehr Zeit gegeben.

Kann eine Frau auf natürlichem Wege nicht schwanger werden, übernimmt die Krankenkasse nur klassische künstliche Befruchtungen im Reagenzglas. Frauen müssen dafür aber verheiratet sein und dürfen auch hier nicht älter als 40 Jahre sein, finanziert werden maximal drei Versuche, dann ist Schluss. Auch dafür bleibt mir also realistisch betrachtet keine Zeit mehr.

Als ich endlich von der Ärztin ins Besprechungszimmer gerufen werde, beginnt mein Puls zu rasen. Ich habe Angst vor dem, was sie mir sagen wird. Ich musste vorab ein Hormonprofil erstellen lassen – auf eigene Kosten (etwa 120 Euro). Was, wenn sie mir sagt, dass man in meinem Fall leider nichts mehr tun kann, weil meine Werte schon zu schlecht sind?

Stattdessen sagt sie die erlösenden Worte: «Ihre Werte sind sehr gut.» Dann folgt die Einschränkung: «. . . für jemanden Ende 30». Das seien optimale Voraussetzungen für eine Eizellenentnahme. Wahrscheinlich werde ich deshalb weniger Medikamente für die Stimulation brauchen, erklärt sie.

Binnen Minuten sind wir ganz tief drin in der Biologie – und im Geschäft. Sie erklärt mir Schritt für Schritt, was im Körper passieren und wie die Eizellenentnahme ablaufen würde. Der Körper produziert keine Eizellen mehr – sie sind schon da, wenn wir als Frau geboren werden. Eine endliche Anzahl also, die bei jeder Frau anders ausfällt. Wer Pech hat, kommt mit wenigen zur Welt oder ist generell unfruchtbar. In einem normalen weiblichen Zyklus werden jeden Monat mehrere Follikel – sogenannte Eibläschen, in denen die Eizelle heranreift –ausgebildet. Aber nur eine wird reif für den Eisprung und die Befruchtung.

Für die Eizellenentnahme wird der Körper so stimuliert, dass alle Follikel eines Zyklus komplett ausreifen. Dafür müsste ich mir teure Hormonpräparate spritzen, Kostenpunkt 750 bis 2500 Euro. «Bei Ihren Hormonwerten brauchen wir wahrscheinlich nur wenig zu stimulieren, das wird für Sie also günstiger», tröstet mich die Ärztin. Und sie gibt mir den Tipp, dass die Medikamente in Frankreich deutlich günstiger zu bekommen seien. Davor muss man noch einen HIV-Test machen – auch das zahlt die Krankenkasse in diesem Fall nicht.

In meinem Kopf fängt es an zu rattern. Ich versuche die Kosten zu überschlagen, während die Ärztin weiter erklärt. Die Medikation muss genau abgestimmt sein auf meinen Hormonhaushalt. Werden die Eierstöcke zu stark stimuliert, droht ein sogenanntes Überstimulationssyndrom. Das könne lebensgefährlich sein, klärt mich die Ärztin auf. Sie beruhigt mich: «Wir müssen darüber aufklären, aber das Risiko ist gering.» Aber es ist da. Ich muss an den Fall einer jungen Frau denken, die Bayer wegen seiner Hormonpräparate verklagt hat. Sie wäre an einer schweren Thrombose fast gestorben.

Werden mir die Eizellen dann operativ entnommen, kostet das knapp 500 Euro. Die Vollnarkose kostet noch einmal knapp 400 Euro. Mit einer Spritze, die vaginal eingeführt wird und die Gebärmutter durchdringt, werden die Eizellen geerntet. Je nachdem, wie viele herangereift sind, reicht ein Versuch. Sind es 20, kann man es bei einem Versuch belassen. Bei 12 bis 15 rät mir die Ärztin zu einem zweiten Versuch, womit sich die Kosten verdoppeln würden.

Das Problem mit den Eizellen ist: Sie überleben das Auftauen oft nicht. Man braucht also eine gewisse Menge, damit genügend lebensfähige Eizellen für eine spätere Befruchtung übrig bleiben.

Die Rechnung geht aber noch weiter. Für die Einlagerung der Eizellen wird eine einmalige Gebühr von etwa 350 Euro verlangt. Die Zellen werden mit einem unverwechselbaren Code versehen, damit ich nicht irgendwann das Kind einer anderen austrage. Sach- und Materialkosten: etwa 170 Eur0. Die Lagerung der Zellen irgendwo im riesigen Ultratiefkühlschrank kostet Miete. Halbjährlich schlagen 175 Euro zu Buche – solange ich sie am Leben halten will.

In der Schweiz ist das Einfrieren von Eizellen maximal zehn Jahre lang erlaubt. Die Kosten für die Entnahme sind deutlich höher. Hier müsste ich für einen einzigen Zyklus mit 4000 bis 5000 Franken rechnen, hinzu kämen bis zu 2000 Franken für die Hormonpräparate. Das Einfrieren selbst kostet etwa 700 Franken, die jährliche Miete beläuft sich auf etwa 400 Franken.

Mir ist schon schwindlig von den ganzen Zahlen, aber wir sind noch längst nicht am Ende. Durch das Auftauen verändert sich die Zellmembran, so dass die Spermien nicht mehr durch die Aussenhülle der Eizelle ins Innere eindringen können. Die In-vitro-Fertilisation, bei der Spermien und Eizellen im Reagenzglas zusammengebracht werden, kommt für mich also nicht infrage. Ich ahne, was kommt.

Sollen meine Eizellen befruchtet werden, geht das nur mit der sogenannten intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI). Bei dieser Methode werden die Spermien durch eine feine Nadel direkt in die Eizelle eingesetzt. Die Methode wird auch angewandt, wenn Männer an Fruchtbarkeitsstörungen leiden und nur wenige «gute» Spermien ausbilden.

Inzwischen wird ICSI in ungefähr 75 Prozent der Fälle von künstlicher Befruchtung in Deutschland angewandt. Natürlich gibt es keine Garantie, dass es klappt. Auch darüber muss mich die Ärztin aufklären. Die durchschnittliche Geburtenrate pro Behandlungszyklus mit der ICSI wird auf einem Beratungsportal mit 15 bis maximal 20 Prozent angegeben. Die Erfolgschancen liegen bei 1 zu 5.

Die ICSI kostet etwa 2500 Euro. Die Ärztin weist mich darauf hin, dass das nur ein Richtwert ist. Bei mehr Versuchen kostet es entsprechend mehr. Pro Versuch werden bis zu drei Eizellen eingesetzt. Auf dem Beratungsportal heisst es zudem: «Ein wichtiger Faktor ist auch das Alter. Insgesamt ist die Chance, nach einer ICSI ein Kind zu bekommen, geringer, je älter eine Frau ist.» Erkaufe ich mir also wirklich Zeit? Oder erhöhe ich meine Chancen, noch Mutter zu werden, nur minimal?

Social Freezing kann sich nicht jeder leisten

«Du kannst es dir doch leisten», höre ich meine Freundin sagen. Und auch mein Ex-Freund meinte: «Du hast doch Geld.» Es ist seine Art, sich aus der Verantwortung zu ziehen. Mein Problem ist aus seiner Sicht ja lösbar. Auch wenn es mich am Ende bis zu 20 000 Euro kosten kann. Geld, das ich eigentlich für ein eigenes Zuhause gespart habe. Nicht, um auf künstlichem Weg zu einem Kind zu kommen.

Und wenn ich nichts tue? Wenn ich abwarte, ob ich doch noch jemanden kennenlerne? Die Fruchtbarkeit nimmt mit dem Alter ab, das Potenzial von Fehlbildungen beim ungeborenen Kind hingegen zu: «Ihre Eizellen sind eben auch schon 38. Die Gefahr von Genmutationen steigt weiter, je länger Sie warten.» Die Ärztin blickt mich unvermittelt an. Sie ahnt wohl, dass ich gerne etwas anderes gehört hätte.

Ich habe die Worte einer anderen Freundin im Ohr: «Tu es nicht.» Sie hat jahrelang mit ihrem Mann und mithilfe von ICSI versucht, Kinder zu bekommen. Es hat nicht funktioniert. «Es hat nur viel Geld gekostet. Vor allem aber hat es mich psychisch fast kaputtgemacht», sagt sie heute über diese schwierige Zeit. Ihre Beziehung hat den unerfüllten Kinderwunsch nicht überstanden. Inzwischen lebt sie mit einem anderen Mann zusammen und ist glücklich ohne Kinder. Aber kann ich das auch? Ich kann es mir nicht vorstellen. Alles in mir wehrt sich dagegen.

Wieder steigt Wut in mir auf. Wut auf meinen letzten Ex-Freund, der von meinem Kinderwunsch wusste. Er bat mich immer wieder um mehr Zeit, er sei noch nicht so weit. Als es endlich so weit sein sollte, ging er. Inzwischen hat er eine jüngere Freundin, die keine Kinder will. Die Jahre, die ich verloren habe, sind ihm egal. Er kann sich ja immer noch umentscheiden. Ich bald nicht mehr.

Seit mehr als einem Jahr bin ich wieder Single. Hinter mir liegen Monate mit Dating-Apps und Sprüchen wie: «Was, du willst mit 38 noch eine Familie gründen? Was stimmt denn mit dir nicht?» Es sind Sätze wie diese, die lange nachhallen. Wer würde diese Frage einem Mann Ende 30 stellen? Dass Männer mit Anfang oder Mitte 40 oder sogar in ihren 50ern noch Väter werden, scheint gesellschaftlich legitimiert. Eine Frau, die mit Ende 30 noch keine Kinder hat, hat hingegen irgendetwas falsch gemacht.

Und überhaupt – wieso hat sie sich nicht früher dazu entschieden, Kinder zu bekommen? Dass Kinderlosigkeit mit Ende 30 nicht immer eine freie Entscheidung ist, blenden diese Personen aus. Stattdessen verurteilen sie mich. Selbst mein engstes Umfeld tat das. «Dir war ja die Karriere wichtiger», hörte ich etwa. Ein Satz, den ich nie vergessen werde. Dass ich meine Karriere liebend gerne für ein Kind unterbrochen hätte, wissen sie nicht.

Selbst meine frühere Gynäkologin machte mir indirekt Vorhaltungen. «Sie sind 37, Sie haben nicht mehr ewig Zeit.» Als habe es an mir gelegen, dass noch kein Kind unterwegs ist. «Statistisch gesehen kann jede zweite Frau über 40 keine Kinder mehr bekommen», mahnte sie, bevor ich aufstand und mit Tränen in den Augen aus dem Sprechzimmer stürmte. Heute habe ich eine andere Gynäkologin, die mich beim ersten Termin beruhigte: «Viele Frauen bekommen ihre Kinder inzwischen später, auch mit über 40. Sie haben noch Zeit, machen Sie sich keine Gedanken.»

Aber ich mache sie mir, nahezu täglich. Wenn ich allein aufwache, abends in eine dunkle Wohnung zurückkehre und das geplante Date am Wochenende wieder nicht klappt. Oder wenn ich all die Frauen mit Kinderwagen sehe, beim Einkaufen, beim Spazierengehen, am Bahnhof. Wenn Kolleginnen schwanger werden und in den Mutterschutz gehen, wenn Freundinnen bereits ihr zweites Kind bekommen und ich allein danebenstehe. Und auch, wenn mein Bruder Vater wird und ich nur Tante bin.

Mehr Zeit, aber sinkende Chancen auf Erfolg

Ich versuche mich aus meinen Gedanken zu reissen. Die Ärztin der Kinderwunschklinik bemerkt mein Unbehagen und sagt: «Lassen Sie sich alles in Ruhe durch den Kopf gehen.» Sie beruhigt mich zwar, dass es mit meinem Hormonprofil voraussichtlich kein Problem sein würde, in den kommenden zwei bis drei Jahren auf natürlichem Wege schwanger zu werden. Aber das hängt nun einmal nicht nur von mir ab. Auch deshalb rät sie mir dazu, die Eizellen einzufrieren. «Dann haben Sie auch weniger Druck, jemanden kennenzulernen», sagt sie.

Als ich das Sprechzimmer verlasse, bin ich wie benommen. Ich gehe vorbei an den wartenden Pärchen, den Ärzten in OP-Kleidung und steige in den Fahrstuhl. Wer im 8. Stock dieses Hochhauses ein- oder aussteigt, trägt eine gewisse Last mit sich. Die der Hoffnung und Verzweiflung, die der Angst, dass es nicht mehr klappen könnte, und die des Bangens, nachdem die Befruchtung geklappt hat, ob der Embryo überlebt. Die Chancen stehen 1 zu 5. Ist dieser Weg für mich bestimmt?

Es vergehen mehrere Wochen, in denen ich die Unterlagen gar nicht anschaue. In dieser Zeit habe ich schon wieder Geburtstag und werde 39. Mir bleibt weniger als ein Jahr bis zu meiner persönlichen Schallmauer. Ich hadere mit mir: Werde ich es irgendwann bereuen, wenn ich es nicht tue? Kann ich mir ein Leben ohne Kinder vorstellen? Die erste Frage muss ich mit Ja beantworten. Die zweite mit Nein. Eigentlich habe ich meine Entscheidung längst getroffen.

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