Gestaltungspläne ermöglichen eine grössere Ausnützung von Grundstücken. Doch Bauwillige in der Stadt Zürich meiden solche zunehmend.
Es kommt selten vor, dass Walter Angst ein Ersatzbauprojekt einer privaten Investorin als vorbildlich bezeichnet. Walter Angst ist Kommunikationsverantwortlicher des Zürcher Mieterverbands und AL-Urgestein. Eine Ausnahme macht er für das Vorhaben der Helvetia-Versicherung in Zürich Oerlikon.
Konkret geht es um die Frohburg-Siedlung an der Grenze zwischen Schwamendingen und Oerlikon. Die Überbauung aus den frühen 1950er Jahren umfasst 20 Mehrfamilienhäuser mit 307 Wohnungen. Bis 2034 will die Helvetia die Siedlung durch Neubauten ersetzen und die Zahl der Wohnungen auf 657 erhöhen.
Das allein reicht freilich nicht für die positive Einschätzung des Mieterverbands. Entscheidend sind drei Schlüsselfaktoren: Erstens hat die Versicherung die Mieterschaft schon über ihr Ansinnen informiert, als die Planung erst gerade angelaufen war. Zweitens wird das Projekt in Etappen umgesetzt. Dadurch besteht die Möglichkeit, direkt in eine neue Wohnung zu ziehen. Drittens erhalten langjährige Mieter Rabatt auf die Miete in den neuen Wohnungen.
Auch die übrigen Wohnungen sollten für Durchschnittsverdiener erschwinglich sein, sagt Marco Ramstein. Er leitet die Abteilung für Immobilienentwicklung der Helvetia-Versicherung.
Die Planung für die neue Frohburg-Siedlung dauert bereits zehn Jahre. 2016 wurden die Mieter informiert. Auch mit dem Mieterverband habe die Helvetia zu diesem Zeitpunkt das Gespräch gesucht, sagt Angst.
Mietverhältnisse, die zu diesem Zeitpunkt oder früher abgeschlossen wurden und bis heute bestehen, gelten als langjährig. Laut Walter Angst sind es etwa 80 Mietparteien, die so Anspruch auf «Budgetwohnungen» haben.
Bei allen späteren Wohnungswechseln stellte die Helvetia nur noch befristete Mietverträge aus. Frühestens in zwei Jahren stehen die ersten Abbrucharbeiten an.
Ideale Voraussetzungen für schrittweises Verdichten
Dank ihrer Grösse biete die Frohburg-Siedlung die idealen Voraussetzungen für ein schrittweise umgesetztes Verdichtungsprojekt, sagt Marco Ramstein. «Wenn es um eine einzelne Liegenschaft geht, kann man sie kaum schrittweise ersetzen.»
Bauen in Etappen sei zwar teurer, als wenn man alles auf einmal erneuere, sagt Ramstein. «Gleichzeitig haben wir während der ganzen Bauzeit einen Teil der Mieteinnahmen.»
Für die Helvetia habe sich die Strategie bewährt, die Mieter früh zu informieren und ihnen mit der Etappierung des Bauvorhabens eine Perspektive zu bieten, sagt Ramstein. «Wir haben ein intrinsisches Interesse daran, bestehende Mieter halten zu können. Wir kennen sie und wissen, woran wir sind.» Bei der Helvetia sei es deshalb Standard, den bestehenden Mietern bei Neuvermietungen den Vorzug zu geben.
Die erste Bauetappe sei bewusst kleiner als die zweite, sagt Ramstein. Dadurch habe der grösste Teil der Mieterschaft zusätzliche Zeit, sich umzuorientieren. Wie viele der langjährigen Mieter vom Angebot der Helvetia Gebrauch machen und in eine der neuen Wohnungen übersiedeln, wisse er noch nicht, sagt Ramstein. Alle werden es nicht sein, vermutet er. Zu bleiben, bedeute auch, mehrere Jahre neben einer Baustelle zu wohnen.
Arealüberbauung statt Gestaltungsplan
Die Bau- und Zonenordnung der Stadt Zürich erlaubt ab einer Grundstückgrösse von 6000 Quadratmetern eine sogenannte Arealüberbauung. Eine solche ermöglicht eine höhere Ausnützung, ohne dass ein Gestaltungsplan erstellt werden muss.
Das Grundstück der Helvetia umfasst 39 000 Quadratmeter. Im Falle der Frohburg-Siedlung heisst das, dass die neuen Gebäude bis zu sieben Geschosse haben dürfen.
Mit einem Gestaltungsplan wäre zwar eine noch grössere Ausnützung möglich. Im Gegenzug müsste ein bestimmter Anteil der zusätzlichen Wohnungen vergünstigt angeboten werden. Zudem müsste die Sonderplanung eine Mehrheit im Stadtparlament mit seiner links-grünen Mehrheit überzeugen.
Dass das Projekt dennoch im Gemeinderat thematisiert werden musste, hatte einen anderen Grund: Die Helvetia hatte sich mit der Stadt auf einen Landabtausch geeinigt. Dies, um die Route eines Fusswegs, der durch die Siedlung führt, zu verändern. Das Strassenstück wird so unter anderem weniger steil und somit behindertengerecht ausgebaut. Auch Velofahren soll künftig erlaubt sein.
Im Gemeinderat entbrannte dennoch eine hitzige Debatte, die allerdings nichts mit der geplanten Wegverlegung zu tun hatte. Stattdessen zeigte sich, dass die Vertreterinnen und Vertreter der Linken im Vorfeld der Ratssitzung vor allem eine Frage umgetrieben hatte: Besteht die Möglichkeit, in Sachen günstiger Wohnraum «mehr herauszuholen», wenn der Antrag zurückgewiesen würde?
Die Episode rund um das Projekt der Helvetia erinnert an das Bauvorhaben der Swisscanto in Witikon, die Siedlung Harsplen. Auch da wäre ein Landabtausch nötig gewesen, um das Areal zu erschliessen.
SP, AL und Grüne hatten schon früh angekündigt, dem Antrag möglicherweise nicht zuzustimmen, um Druck auf die Bauherrin auszuüben. Noch bevor das Geschäft im Stadtparlament behandelt werden konnte, verkaufte die Eigentümerin Land und Bauprojekt für 211 Millionen Franken an die Stadt Zürich.
Im Falle der Frohburg-Siedlung hatten die linken Parteien im Gemeinderat schliesslich ein Einsehen und folgten dem Antrag der Kommission, dem Landabtausch zuzustimmen. Diese hatte vor einer allfälligen «negativen Signalwirkung an Bauherren» gewarnt, sollten einem Projekt wie dem der Helvetia trotz allen guten Aspekten Steine in den Weg gelegt werden.
Mit dem Hochhaus fallen die günstigen Wohnungen weg
Es ist allerdings zu befürchten, dass ein solches Signal längst gesendet worden ist. Das zeigt beispielsweise die Entwicklungsgeschichte eines Vorhabens der Tellco Bank AG an der Ecke Heinrich- und Roggenstrasse, gleich neben dem Viadukt im Kreis 5.
Gemäss dem laufenden Baugesuch will die Eigentümerin dort ein Projekt mit 109 Wohnungen realisieren. Die bestehenden Gewerbebauten bleiben zum Teil erhalten, zum Teil werden sie ersetzt und ergänzt. Wie der Mediensprecher Michael Luu auf Anfrage sagt, entsteht ein Ensemble aus fünf Häusern. Die Wohnungen entstehen in einem Blockrand, der aus drei Gebäuden bestehen soll.
Die langjährige Mieterin des Gewerbeareals ist vor fünf Jahren ausgezogen. Seither ist das Areal zwischengenutzt.
Schon seit sieben Jahren feilt die Tellco Bank an ihren Plänen, auf dem Areal Wohnungen zu erstellen. Bis vor etwa 18 Monaten enthielt das Projekt aber noch ein Hochhaus. Wie die Tamedia-Zeitungen berichten, hätten so rund 60 Wohnungen mehr gebaut werden können.
Der NZZ sagt Michael Luu, der Gestaltungsplan mit Hochhaus sei das Ergebnis eines Studienauftrags gewesen, den die Bank zusammen mit der Stadt Zürich vorbereitet und durchgeführt habe. Basierend auf dem Gewinnerprojekt des Wettbewerbs habe ein gutes Regelwerk für den Gestaltungsplan ausgearbeitet werden können.
Es wäre das erste Projekt mit Gestaltungsplan gewesen, das die Tellco AG in der Stadt Zürich umgesetzt hätte.
Doch dazu kommt es nun nicht. Nach «intensiven Verhandlungen» mit der Stadt entschied sich die Bauherrin dafür, das Projekt zonenkonform voranzutreiben. Damit habe die Bank in der Stadt Zürich bereits positive Erfahrungen gemacht.
Ein Projekt in der ursprünglich vorgesehenen Grösse könne sich über mehrere Jahre hinziehen, sagt Luu. Zudem hätten verschiedene politische und private Vorstösse in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass mehrere grosse Wohnbauprojekte in der Stadt Zürich im Stillstand oder mit einem Planungsabbruch geendet hätten. «Solche Risiken haben wir auch beim Projekt an der Heinrichstrasse als relevant angesehen.»
Vonseiten der Nachbarschaft habe es zwar überwiegend positive Reaktionen auf das zuerst geplante Hochhaus gegeben, sagt der Tellco-Mediensprecher. «Gleichwohl sind wir verpflichtet, die Prozessbereitschaft der involvierten Kreise realistisch einzuschätzen.»
Die Kehrtwende vom Gestaltungsplan zu einem Projekt in der Regelbauweise verursachte für die Tellco Bank gemäss eigenen Angaben Planungskosten von mehreren hunderttausend Franken.
Die Stadt zahlt einen höheren Preis: Der Gestaltungsplan hätte eine Mehrausnützung des Grundstücks ermöglicht. Im Gegenzug hätte die Bank 30 Wohnungen preisgünstig abgegeben. Ohne das Hochhaus entsteht an der Heinrichstrasse also nicht nur insgesamt weniger Wohnraum. Gemäss Michael Luu werden sich die Mieten aller Wohnungen «an den ortsüblichen Marktmieten orientieren».
Bauherren im Spannungsfeld
Anders sieht es bei der neuen Helvetia-Siedlung in Oerlikon aus. Der Mietvertreter Walter Angst sagt, er glaube nicht, dass sich die Helvetia unter Druck gesetzt fühle.
Marco Ramstein von der Helvetia gibt sich betont gelassen. «Das ist einfach Politik.» Klar hätten verschiedene Parteien verschiedene Agenden. Als Bauherrin bewege sich die Helvetia in diesem Spannungsfeld.
Auch intern gebe es verschiedene Ebenen, denen die Helvetia gerecht werden wolle, sagt Ramstein. Gegenüber den Versicherten sei das Unternehmen verpflichtet, eine gute Rendite zu erzielen, gleichzeitig gelte es, die soziale Verantwortung gegenüber der Mieterschaft wahrzunehmen. Zudem wolle die Helvetia auch einen Beitrag zum Zürcher Klimaziel leisten. «Dazu gehören energetische Sanierungen.»
Für den Ersatz der Frohburg-Siedlung habe die Helvetia keinen Plan B gehabt, sagt Ramstein. Ein Nein des Stadtparlaments zum Landabtausch hätte das Projekt auf Feld 1 zurückgeworfen. «Wir hätten eine neue Auslegeordnung gemacht, vielleicht auch die bestehende Siedlung erhalten.» Das, sagt Ramstein, wäre angesichts des Gebäudealters aber unvorteilhaft gewesen. «Die Häuser sind beispielsweise energetisch in einem schlechten Zustand und die Wohnungen nicht barrierefrei.»
Ramstein hält es durchaus für möglich, dass das politische Klima in Zürich Bauherren dazu anhält, innerhalb der Regelbauweise zu bleiben. Das läuft den städtischen und kantonalen Zielen entgegen, die Stadt nach innen zu verdichten. Die Helvetia beurteile jedes Projekt individuell. Unter dem Strich sei aber klar: «Es muss der Bauherrschaft einen Mehrwert bringen. Ist das nicht der Fall, gibt es keinen Gestaltungsplan.»