Mittwoch, Juli 16

Seit zwanzig Jahren veranstaltet die bekannte Cellistin im Aargau ihr eigenes Solsberg-Festival. Die Wahlschweizerin macht dabei vieles erfrischend anders.

Faszinierend diese Stille und Weite, dieser tiefe Frieden, der über der sanft geschwungenen Aargauer Landschaft mit ihren Feldern und Wäldern und den alten Obstbäumen liegt. Weit und breit ist in der sommerlichen Mittagshitze kein Mensch zu sehen, nur ein Rotmilan zieht weit droben seine Kreise. «Wir wollten damals in die Natur und haben ausserhalb von Basel ein Haus gesucht», erinnert sich Sol Gabetta an das Jahr 2004, als es sie erstmals hierher verschlug. «Dieses alte, gerade renovierte Bauernhaus fand sich in Olsberg – das war wirklich Schicksal.»

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Ein Schicksal, dem die bekannteste Cellistin unserer Zeit bis heute treu geblieben ist. Es hat der 350-Seelen-Gemeinde in den vergangenen Wochen bereits zum zwanzigsten Mal ein ungewöhnliches Festival mit Klassik-Stars aus aller Welt beschert. Denn die mittlerweile 44 Jahre alte Musikerin hatte seinerzeit, müde von ihren vielen internationalen Konzertauftritten, den «Traum, neben meinem Wohnhaus zu musizieren: einfach die eigenen vier Wände verlassen, hinüberlaufen, spielen und wieder heim». Um selbst weniger reisen zu müssen, lud sie die Kollegen aus aller Welt also kurzerhand zu sich nach Olsberg ein – «eine total verrückte Idee, aber mit Anfang zwanzig stellt man sich das halt so vor».

Idylle, Raum und Atmosphäre

Der Plan ist aufgegangen. Aus dem anfänglichen Wochenende mit zwei Konzerten sind in diesem Jubiläums-Sommer ihres Solsberg-Festivals ein Dutzend Programme geworden. Sie erstrecken sich mittlerweile über die örtliche Pfarrkirche hinaus bis nach Rheinfelden und in die benachbarte Schwarzwaldgemeinde St. Peter mit ihrer ehemaligen Klosterkirche, beide einst Sitz des schwäbischen Fürstengeschlechts der Zähringer. «Dort ist es eine unglaublich schöne und idyllische Gegend, ähnlich wie Olsberg», schwärmt Christoph Müller, der das Festival seit seinen Anfängen als Artistic Manager mit einem kleinen Team betreut. «Wir möchten an authentische Orte gehen, wo diese Verbindung von Idylle, Raum und Atmosphäre stimmt, die hier so zauberhaft ist.»

Freilich waren die Menschen in Olsberg anfangs nicht nur begeistert, als auf einmal Hunderte Besucher in das beschauliche Dorf einfielen und ihre Autos überall parkierten, wie Gabetta erzählt. Doch dann kam der Schweizer Pragmatismus durch, denn man erkannte rasch, dass hier jemand etwas aufbauen wollte. Heute begrüsst ein Aufsteller die Gäste: «Die Gemeinde Olsberg wünscht unvergessliche Konzerterlebnisse!»

Dass solche hier tatsächlich zu erleben sind, daran wirkt die bekannteste Bewohnerin des Ortes tatkräftig mit: bei fast der Hälfte der Konzerte als Künstlerin, aber auch als guter Geist des Festivals. «Mir geht es darum, dass jedes Konzert ein Erlebnis wird, und das bedeutet ein Nehmen und Geben bei der Auswahl, welche Musiker und Menschen für welches Repertoire zueinander passen», sagt die gebürtige Argentinierin. «Ich bin zum Beispiel seit langem ein Fan von Isabelle Fausts Schubert-Interpretationen, und so war es mein Wunsch, dass sie kommt und wir dann gemeinsam Schubert spielen.» Natürlich sagte die berühmte Geigerin zu und sorgte zusammen mit Gabetta und dem Pianisten Kristian Bezuidenhout gleich zum Auftakt für eine Sternstunde mit Schuberts B-Dur-Klaviertrio.

In Olsberg werden aber auch Wünsche von Musikerkollegen erfüllt. Wenn etwa die ähnlich bekannte Geigerin Vilde Frang Brahms spielen möchte: «Ich wollte, dass sie glücklich ist, und habe gesagt: Gut, dann machen wir das Quintett.» Das bescherte dem Jubiläumskonzert umgehend einen weiteren Höhepunkt und liess die Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider in ihrer Festrede über Gabetta schwärmen: «Sie lassen das Publikum an ihrem beeindruckenden Netzwerk von Künstlerinnen und Künstlern aus der ganzen Welt teilhaben.»

Noch etwas macht Olsberg zu einem aussergewöhnlichen Ort in der kaum mehr überschaubaren Landschaft sommerlicher Klassikfestivals: «Mir ist die menschliche Symbiose wichtig», betont Gabetta, «und was ich bei allen hier so schätze: Selbst Musiker, die eigentlich kaum Zeit haben, proben bei uns elf Stunden am Tag – einfach, weil sie spüren, dass dies auch das Interesse der anderen ist.» Und wenn irgendwann in der Rheinfelder Stadtkirche die Luft wegen der Hitze zum Schneiden dick ist, schnappt sich Vilde Frang einfach eine Notenmappe, um den schwitzenden Bratschern Timothy Ridout und Lawrence Power ein wenig Abkühlung zuzufächeln. Kurz darauf geht es mit neuer, magischer Inspiration weiter mit Brahms.

Sprungbrett für den Nachwuchs

Mit solch wunderbaren Solisten zu musizieren und all diese bekannten Musiker kennenzulernen, sei ein Geschenk, sagt die junge Geigerin Hana Chang begeistert. Seit drei Jahren gehört sie zu den «Solsberg Young Artists», die von Gabetta und ihrem Festival-Team ganz gezielt unterstützt und auch über das eigene Festival hinaus gefördert werden. «Ich weiss noch von früher, wie schwer es für junge Künstler ist, die Gelegenheit für Konzerte zu bekommen. Denn grosse Festivals riskieren ungern, dass der Saal vielleicht nicht voll wird», erinnert sich Gabetta. «Deshalb hören wir uns bei Wettbewerben selbst junge Musiker an und verfolgen ihre Entwicklung, wenn sie uns berühren oder musikalisch interessieren – um sie dann zum Solsberg-Festival einzuladen.»

Manchmal ist das nicht ganz einfach, wie im Falle Changs, die weder über eine Website noch über eine Künstleragentur verfügte. Via Instagram knüpften die Festival-Mitarbeiterinnen schliesslich den Kontakt, und inzwischen fesselt die 22-Jährige nicht mehr nur Gabetta, sondern auch das Festival-Publikum mit ihrem sinnlichen, intensiven Violinton. Zugleich kommt sie durch Begegnungen wie jene mit den älteren Kollegen bei der Brahms-Aufführung in Olsberg immer mehr in die internationalen Klassik-Netzwerke.

Es ist kein Geheimnis, dass solche Kontakte oft genug ebenso wichtig sind wie die musikalischen Fähigkeiten. Kein Wunder, dass Chang selbst noch am Abend vor ihrem Examenskonzert in Olsberg aufspielte. Um dann, nach wenigen Stunden Schlaf, doch inspiriert und beflügelt von den Erlebnissen, am nächsten Morgen zu ihrer Prüfung an der renommierten Kronberg Academy in Deutschland aufzubrechen.

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