Donnerstag, Oktober 31

Mit seinen Angriffen auf den Schiffsverkehr im Roten Meer hat das jemenitische Huthi-Regime eine militärische Intervention der USA provoziert. Was treibt die Islamisten an?

Die Huthi lassen sich nicht einschüchtern. Nur zwei Tage nach den britisch-amerikanischen Luftangriffen auf ihre Stellungen in Jemen griffen sie am Sonntag erneut ein amerikanisches Kriegsschiff im Roten Meer an. Am Montag und Dienstag feuerten sie Raketen auf drei Frachter vor der jemenitischen Küste. Die Handelsschiffe wurden beschädigt, konnten aber ihren Weg fortsetzen. Das Signal der Huthi war deutlich: Die Zerstörung einiger Radaranlagen und Raketensilos kann sie nicht zum Kurswechsel bewegen.

Seit dem Beginn der Angriffe auf Israel und die Schiffe im Roten Meer fragt sich die Welt: Was treibt die Huthi an? Die islamistische Bewegung, die seit neun Jahren die Hauptstadt Sanaa kontrolliert und heute über 80 Prozent der Bevölkerung in Jemen herrscht, rechtfertigt ihre Angriffe mit Israels Krieg gegen die Hamas. Viele Experten halten diese Begründung angesichts der radikalen antiisraelischen Ideologie der Huthi durchaus für plausibel, aber nicht für den einzigen Grund.

«Ein wichtiger Antrieb ist der genuine Wille, die Kosten für Israel und die wichtigsten internationalen Unterstützer der israelischen Operation in Gaza hochzutreiben», sagt Joshua Rogers von der Berghof Foundation, der seit langem zu den Huthi forscht. Zwar würde die Gruppe auch Schiffe attackieren, die keinen Bezug zu Israel hätten. Ihre Darstellung, dass es sich um ein gezieltes Embargo gegen Israel handele, werde aber in Jemen und im Nahen Osten weithin akzeptiert.

Die Angriffe stärken Popularität und Prestige der Huthi

Die Attacken haben die Kosten für den Seehandel in die Höhe getrieben und zeigen bereits ernste Folgen für die Weltwirtschaft. In der arabischen Welt haben sie die Popularität und das Prestige der Huthi gestärkt. Viele Medien berichten mit Sympathie über die Bewegung, die sich unerschrocken mit Israel und den USA anlegt. Gerade angesichts der weitgehenden Untätigkeit der grossen arabischen Staaten im Gaza-Krieg fällt es den Huthi leicht, sich als tatkräftige Verteidiger der palästinensischen Sache zu profilieren.

«Die Huthi sind in den Augen der arabischen und der muslimischen Welt zu Helden geworden, weil sie konkret handeln – im Gegensatz zum Rest der arabischen Regime, die untätig bleiben», sagt der Jemen-Experte Charles Schmitz von der Universität Towson in Maryland. Für ihre Bewunderer zeige der Kampf der Huthi gegen die Amerikaner, dass sich die gerechte Sache durchsetze, nicht militärische Macht.

Der hochrangige Huthi-Vertreter Mohammed Ali al-Huthi betonte, es gehe seiner Bewegung darum, die israelische Blockade des Gazastreifens zu brechen. Die Jemeniten fühlten mit den Palästinensern, da sie selbst über Jahre unter einer Blockade der von Saudiarabien angeführten Militärkoalition gelitten hätten. Sie forderten ein Ende der israelisch-amerikanischen Aggression gegen Gaza und die Lieferung von Lebensmitteln und Medikamenten an die dortige Bevölkerung.

Ablenkung von der desaströsen Wirtschaftslage

Rogers sieht aber neben der Solidarität mit den Palästinensern noch einen zweiten, profaneren Grund für die Attacken. Jüngst seien nämlich die Erwartungen an die Huthi als die De-facto-Regierung Jemens gestiegen, endlich die Wirtschaftslage zu verbessern und die Gehälter zu bezahlen. Wenn sie nun Israel attackierten und ihrerseits von den Briten und Amerikanern attackiert würden, könnten sie dies als Vorwand nutzen, um Kritik zu unterdrücken und dem Volk zu erklären, warum die Lebensbedingungen weiter schwierig blieben, sagt Rogers.

Auch Schmitz ist überzeugt, dass die Huthi den Konflikt mit den USA bewusst gesucht haben, um von der desaströsen sozialen und wirtschaftlichen Lage abzulenken. Solange sie gegen die Saudi gekämpft hätten, hätten sie dies als Ausrede nutzen können, nichts gegen diese Probleme zu tun, sagt der Wirtschaftsgeograf. «Nun müssen sich die Huthi erneut den Fragen interner Regierungsführung nicht stellen, weil sie im Krieg sind gegen eine gewaltige Weltmacht.»

Welche Rolle Iran bei den Angriffen spielt, ist umstritten. Schmitz vermutet, dass die Initiative von den Huthi ausgegangen ist. Rogers hingegen glaubt, dass die Huthi eine solch weitreichende Entscheidung nicht ohne Abstimmung mit den Iranern getroffen hätten. Aus Teherans Perspektive seien die Angriffe von Nutzen, da sie zeigten, dass die Huthi mit ihrer Hilfe in der Lage seien, die Schifffahrt im Roten Meer zu stören, sagt Rogers. Dies könne Iran zur Abschreckung nutzen sowie als Druckmittel bei Verhandlungen mit dem Westen.

Wollen die Huthi Iran in den Konflikt hineinziehen?

Der Berner Islamwissenschafter Reinhard Schulze bringt noch eine andere Erklärung ins Spiel. Wie er im «Journal 21» schreibt, könnten die Angriffe auch ein Versuch der Huthi sein, Iran stärker in den Krieg hineinzuziehen und zu zwingen, seine zurückhaltende Haltung aufzugeben. Allerdings habe Iran lediglich seine Solidarität mit den Huthi beteuert, zugleich aber betont, dass eine iranische Intervention allein aufgrund iranischer Interessen erfolgen würde.

Darüber hinaus vermutet Schulze einen Zusammenhang der Angriffe mit der kürzlich erfolgten Restrukturierung des Huthi-Regimes. Diese könnte der erste Schritt zur Transformation des politischen Systems in Jemen sein. Der Konflikt mit den USA ermögliche es dem Huthi-Regime in dieser Situation, «grosse Teile der Bevölkerung gegen einen äusseren Feind zu mobilisieren und so die Folgen des politischen Umbruchs abzufedern», schreibt Schulze dazu.

Der Huthi-Führer Abdelmalik al-Huthi hatte am 27. September überraschend die Absetzung der seit 2016 amtierenden «Heilsregierung» verkündet. Dies sei «der erste Schritt eines radikalen Wandels», sagte der politische Führer der Huthi-Bewegung. Jemenitische Medien mutmassten daraufhin, dass die Huthi das republikanische System abschaffen und durch ein politisches System nach dem Vorbild der Islamischen Republik Iran ersetzen wollten.

Die Abschaffung der Republik wäre umstritten in Jemen

Der 44-jährige Huthi-Führer trat in den vergangenen Jahren zwar bei Festtagen auf, als wäre er das Staatsoberhaupt. Tatsächlich bekleidet er aber kein offizielles Amt im Staat. Die Regierung leitete bis zu ihrer Auflösung im September Abdelaziz bin Habtur. Der frühere Gouverneur der Hafenstadt Aden gehörte zur Partei des langjährigen Präsidenten Ali Abdullah Saleh, mit dem die Huthi 2015 ein Zweckbündnis eingegangen waren, um die Macht zu übernehmen.

Einflusszonen in Jemen

Regierungstruppen und Verbündete

Unter Kontrolle der Huthi

Erst nach und nach besetzten die Huthi die Staatsämter mit eigenen Anhängern. Lange schien es, als wollten sie die etablierten Institutionen eher übernehmen als sie ersetzen. Den Huthi war bewusst, dass die Institutionen der Republik in der Bevölkerung breite Legitimität geniessen. Die Gegner der Huthi werfen ihnen aber schon lange vor, ein stärker religiös geprägtes System anzustreben. So wolle Abdelmalik al-Huthi eine Stellung wie der Revolutionsführer in Iran.

Womöglich fühlt er sich nun stark genug, um diesen Wechsel zu vollziehen. Die Absetzung der Heilsregierung erfolgte wenige Tage nach dem Besuch einer Huthi-Delegation in Riad. Laut den Huthi stimmte Saudiarabien dabei der Öffnung des Hafens von Hodeida und des Flughafens von Sanaa zu. Saudiarabien und die anderen Golfmonarchien sind zwar noch nicht bereit, das Huthi-Regime als legitime Regierung Jemens anzuerkennen. Sie haben aber ihren Versuch aufgegeben, die Huthi mit Gewalt von der Macht wegzudrängen.

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