Donnerstag, April 24

Die Prämienverbilligungsinitiative verlangt einen Schritt in Richtung einkommensabhängigen Krankenkassenprämien. Es wäre auch ein weiterer Schritt weg von der Kostenwahrheit. Das Sparen im Gesundheitswesen würde noch schwieriger.

«Eine Millionärin und eine Detailhandelsangestellte zahlen gleich hohe Prämien.» Das sagen die Initianten der Prämienverbilligungsinitiative für die Grundversicherung der Krankenkasse. Sie scheinen dies als Skandal zu werten. Eine Millionärin und eine Detailhandelsangestellte zahlen auch gleich viel für das Gipfeli beim Bäcker. Sie zahlen auch gleich viel an Gebühren für eine Passausstellung und für die SRG. Sie zahlen auch gleich viel für die gleiche Mietwohnung, für die gleichen Lebensmittel, für das gleiche Telekommunikations-Abo, für das gleiche SBB-Generalabonnement sowie für den gleichen Strombezug am gleichen Ort. Und, und, und.

Die Volksinitiative ist ein Schritt in Richtung der alten Forderung der Linken: einkommensabhängige Krankenkassenprämien. Wäre es nicht viel «gerechter», wenn Millionäre für Güter und Dienstleistungen viel mehr zahlen müssten als Durchschnittsbürger und Ärmere? Zum Beispiel 50 000 Franken für ein SBB-Generalabonnement und 20 Franken für ein Gipfeli? Und wäre es nicht fair, dass die ärmsten 20 bis 30 Prozent wenig bis nichts für solche und alle anderen Güter und Dienstleistungen bezahlen?

Rund 7 Prozent Lohnabzug

Die Bruttokosten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung für Gesundheitsleistungen lagen im vergangenen Jahr bei gut 40 Milliarden Franken. Abzüglich Eigenzahlungen der Versicherten via Selbstbehalt und Jahresfranchise waren es etwa 35 Milliarden. Bei einer proportionalen Verteilung dieser Kosten auf die Lohnempfänger gäbe dies Lohnabzüge von zunächst rund 8 Prozent (später ziemlich sicher mehr). Bei Einbezug der AHV- und IV-Renten wären die Abzüge vorderhand etwas über 7 Prozent. Der UBS-Chef Sergio Ermotti müsste mit seinen Bezügen von 2023 für seine Krankenkasse etwa eine Million Franken pro Jahr zahlen. Das wäre doch was.

In Deutschland, das einkommensabhängige Kosten kennt, betragen heuer die Lohnabzüge für die Krankenversicherung über 16 Prozent; offiziell zahlen Arbeitnehmer und Arbeitgeber je die Hälfte, doch nach Berücksichtigung aller Überwälzungen dürfte der Grossteil der Kosten zulasten der Arbeitnehmer gehen. Auch die deutschen Renten sind von Abzügen betroffen.

Gerechtigkeit ist Ansichtssache. In der Politik meint der Begriff in der Regel das Folgende: «Gerecht sind Subventionen für meine Klientele, und andere sollen dafür bezahlen.» Hohe Einkommen sind typischerweise das Ergebnis einer Kombination aus Bildungsinvestitionen, Leistungsbereitschaft, Talent und Glück; die Bedeutung der einzelnen Faktoren kann von Fall zu Fall sehr unterschiedlich sein. Wie viel man von hohen Einkommen (und Vermögen) unter Inkaufnahme möglicher Fehlanreize wegsteuern will, ist die ewige Frage.

Beim Ausmass der Umverteilung von oben nach unten gibt es kein «richtig» oder «falsch»: Die Sache ist politisch auszuhandeln. Aus einer «technischen» Sicht gilt aber, dass das politisch gewünschte Ausmass der Umverteilung am besten direkt und transparent geschieht. Dafür ist in erster Linie das Steuersystem in Kombination mit Direktzahlungen für Bedürftige via Ergänzungsleistungen und Sozialhilfe da.

Bei den Steuern zahlen Millionäre ein Vielfaches von Normalbürgern. Bei den Einkommenssteuern zahlen Gutverdiener nicht nur absolut mehr als Tiefverdiener, sondern wegen der progressiven Sätze auch prozentual mehr. Laut Schätzungen der Universität Luzern und des Wirtschaftsverbands Economiesuisse (für 2017) zahlt das oberste Prozent zusammen fast einen Viertel aller Einkommenssteuern für Bund, Kantone und Gemeinden. Die obersten zehn Prozent bringen es zusammen auf über die Hälfte. Die untere Hälfte der Einkommensbezüger trägt derweil zusammen nur etwa 10 Prozent zu den Einkommenssteuern bei.

Die zweite Einkommenssteuer

Würde man die Preise für den gesamten Konsum von Gütern und Dienstleistungen (einschliesslich der Dienstleistungen für Sparer) einkommensabhängig gestalten, entspräche dies in der Summe einer zweiten, aber versteckten Einkommenssteuer. Im Gegenzug müsste man konsequenterweise die offizielle Einkommenssteuer abschaffen, um ein «doppelt gemoppelt» zu vermeiden. Aber das fordert natürlich niemand. Der ehrliche Weg zur Erhöhung der Umverteilung von oben nach unten wäre die Verschärfung der offiziellen Steuerprogression. Doch weil dies nicht besonders populär wäre (gerade weil es offen ausgewiesen ist), versucht es die politische Linke lieber mit Versteckspielen vor allem via Altersvorsorge und Gesundheitswesen.

Schon jetzt zeigen die Daten zu den Einkommenssteuern längst nicht das vollständige Bild. Grob gesagt: Für Lohnteile über etwa 100 000 Franken pro Jahr liegen die effektiven Steuersätze wegen der Sozialversicherungsabzüge vor allem für die AHV mehr als 10 Prozentpunkte über den offiziellen Sätzen. Auch Rechnungen für die externe Kinderbetreuung hängen zum Teil vom Einkommen ab. Kämen noch die Krankenkassenprämien hinzu, wäre man zusammen bald bei 20 Prozentpunkten zusätzlicher Lohnsteuer.

Natürlich wären einkommensabhängige Preise nicht flächendeckend praktikabel, weil man nicht jedem Detailhändler und sonstigen Anbieter seine Steuererklärung zeigen will – und weil der Staat den Privatfirmen deren Preispolitik vorläufig noch nicht vorschreibt. Doch auch bei einer Beschränkung einkommensabhängiger Preise auf einige staatlich gesteuerte Dienste gilt im Grundsatz das Gleiche: Versteckspiele können hohe Kollateralschäden haben.

Absage an Kostenwahrheit

Einkommensabhängige Preise sind eine Absage an die Kostenwahrheit und damit eine Einladung zu Verschwendung. Das Paradebeispiel ist die AHV. Die meisten Versicherten dürften das Gefühl haben, ihre eigene Rente voll verdient zu haben, doch die Wahrheit ist eine ganz andere: Die Mehrheit der Renten ist zu mindestens 30 bis 50 Prozent zulasten von anderen subventioniert. Solche Versteckspiele schaffen bei den Begünstigten eine enorme Anspruchshaltung. Programmiert ist Verantwortungslosigkeit. Sparen interessiert nur wenige, ein ständiger Leistungsausbau nach dem Motto «ich muss es ja nicht selber zahlen» ist dagegen Trumpf.

Ähnliches dürfte sich (mit weit geringerer Tragweite) beim 2021 eingeführten Vaterschaftsurlaub wiederholen. Das Entscheidende für die Initianten der Idee war nicht der Vaterschaftsurlaub als solcher, sondern die Finanzierung via Lohnprozente. Ein Ausbau dürfte deshalb nur eine Frage der Zeit sein; Forderungen dazu sind schon auf dem Tisch.

Im Gesundheitswesen wäre bei Finanzierung via Lohnprozente mit einer ähnlichen Entwicklung zu rechnen. In eingeschränkter Form gilt dies auch für die von den Urhebern der Volksinitiative gewünschte Verdoppelung der Prämienverbilligung. Wenn die Krankenkassenprämien niemandem weh tun, muss keiner mit Sparvorschlägen mehr kommen. Schon jetzt ist trotz verbreiteten Klagen über die hohen Prämien kein wirklicher Sparwille ersichtlich.

Viele Experten orten zwar erhebliche Verschwendung im Schweizer Gesundheitswesen, doch in Umfragen macht die Mehrheit der Einwohner typischerweise deutlich, dass sie nicht zu Einschränkungen bereit ist. Wer zum Beispiel ein lokales oder regionales Spital schliessen will, muss trotz häufigen Expertenkommentaren über «zu viele Spitäler» mit grossen Widerständen rechnen.

«Kein Kostenproblem»

«Wir haben kein Kostenproblem. Wir haben ein Finanzierungsproblem.» Diese Botschaft der grünen Nationalrätin Manuela Weichelt gegen die Volksinitiative der Mitte-Partei für eine Kostenbremse im Gesundheitswesen illustriert das Denken im linken Politikspektrum. Frei übersetzt: Der Wohlstand fällt vom Himmel, wir können uns alles leisten, doch bezahlen sollen bitte andere.

Das für die obligatorische Krankenversicherung geltende Prämiensystem ist ein Kompromiss: Es gibt Kopfprämien unabhängig vom Einkommen, doch rund ein Viertel der Prämienzahler erhält wegen ungünstiger Finanzlage eine staatliche Verbilligung. Bund und Kantone wendeten dafür 2022 total rund 5,4 Milliarden Franken auf. Immerhin ist diese Subvention für die Begünstigten in der jährlichen Krankenkassenrechnung ausgewiesen.

Mit der Prämienverbilligungsinitiative würden sich die jährlichen Kosten bei einer Umsetzung nach den Wünschen der Initianten bis 2030 etwa verdoppeln. Die Initianten rechnen im Abstimmungsbüchlein vor, dass eine vierköpfige Familie mit einem Haushaltseinkommen von 9000 Franken pro Monat mit mehreren hundert Franken pro Monat zusätzlich subventioniert würde. Das kann heiter werden, wenn man mit solchen Einkommen schon ein Sozialfall ist.

Die Umverteilung von oben nach unten ist im Gesundheitswesen jetzt schon ziemlich stark, wie eine Analyse des Forschungsbüros Ecoplan für den Bund mit Daten für 2019 zeigt: Die Ärmeren beziehen klar mehr Leistungen als die Reicheren und zahlen via Prämien und Steuern viel weniger. Laut der Analyse zogen die ärmsten 20 Prozent netto pro Kopf (genauer im Statistikjargon: pro «Äquivalenzperson») im betrachteten Jahr durchschnittlich 5000 bis 6000 Franken aus dem System heraus. Das Gros der reichsten 20 Prozent zahlte netto im Mittel pro Kopf rund 3000 Franken ein, und bei den reichsten 3 Prozent machte die Einzahlung etwa 10 000 Franken pro Person aus.

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