Samstag, April 19

Mit der SP-Regierungsrätin ist im Kanton Zürich eine Atheistin zuständig für die Religionsgemeinschaften. Im Interview

Der Kanton Zürich gibt viel Geld aus für seine Kirchen. 300 Millionen Franken hat das Parlament gesprochen, um die anerkannten Religionsgemeinschaften in den nächsten sechs Jahren zu unterstützen. Als Abgeltung für Leistungen zugunsten der gesamten Bevölkerung.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Der grösste Teil geht an die Reformierten und die Katholiken, weitaus kleinere Beträge an die Christkatholiken und zwei jüdische Gemeinschaften. Katholiken und Reformierte wollen jährlich jeweils eine Million Franken an Muslime und Christlich-Orthodoxe weitergeben. Dies ist politisch umstritten.

In der Zürcher Kantonsregierung ist mit Jacqueline Fehr (SP) eine Atheistin für die Religionen zuständig.

Frau Fehr, Staat und Religion sind in der Schweiz nach wie vor stark verknüpft. Das beginnt bei der Landeshymne: «Betet, freie Schweizer, betet.» Fühlen Sie sich von solchen Zeilen angesprochen?

Es gibt schönere Landeshymnen. Aber die Situationen, in denen man das Lied singt, sind jeweils würdig, und von daher passt es. Im Übrigen ruft auch die Bundesverfassung Gott an. Und es gibt Kantone, in denen der Bischof die Regierung segnet, im Wallis etwa.

In der Zürcher Kantonsverfassung ist von «Verantwortung gegenüber der Schöpfung» die Rede. Sie selbst sind nicht in einer Kirche – stört Sie diese Verquickung von Staat und Kirche nicht?

Nein. Im Gegenteil, das Verhältnis von Staat und Religion interessiert mich sehr. Mit den Leitsätzen des Regierungsrates zum Umgang mit den Religionsgemeinschaften haben wir eine gute Basis geschaffen. Ich würde sagen, wir gestalten im Kanton Zürich das Verhältnis von Staat und Religion für unsere Zeit ziemlich ideal.

Aber braucht es so ein Verhältnis überhaupt? Es gibt Kantone und Länder, die ganz klar trennen: der Staat hier, die Kirche dort.

Staat und Religion haben historisch ein komplexes Verhältnis. Die Religionsgemeinschaften stellen wie keine andere Institution die Autorität des Staates immer wieder infrage. Denken Sie an die Machtkämpfe zwischen Päpsten und Kaisern im Mittelalter.

Und heute?

Heute gibt es Religionsgemeinschaften, die zivile und familienrechtliche Fragen lieber für sich regeln und nicht dem Staat überlassen wollen. Das gilt im Bible-Belt der USA wie bei uns. Sie wollen nicht, dass man sich scheiden lassen kann, anerkennen Homosexuelle nicht als gleichwertig, Frauen werden unterdrückt.

Wie sollen wir im Kanton Zürich damit umgehen?

Falsch wäre es, wenn wir uns abwenden würden. Es ist wie mit einem schwierigen Pferd: Man geht nicht auf Abstand, sondern besonders nah ran. Es braucht eine verbindliche, geregelte Zusammenarbeit zwischen uns und den Religionsgemeinschaften. Und die haben wir im Kanton Zürich.

Nehmen wir an, wir würden eine Gemeinschaft gründen, in der Frauen weniger Rechte hätten und keine Chargen übernehmen dürften . . .

. . . Sie meinen eine neue Zürcher Zunft. (Lacht.)

Worauf wir hinauswollen: Wenn eine solche Gemeinschaft den Kanton um Finanzhilfe bäte, würden Sie sie zum Teufel schicken. Aber bei den Religionsgemeinschaften tun Sie dies nicht.

Als Staat anerkennen wir nicht Religionen, sondern ihre weltlichen Strukturen. Die fünf Religionsgemeinschaften, die wir im Kanton Zürich anerkennen und denen wir Kostenbeiträge zahlen, halten in diesem Rahmen sämtliche Verfassungsrechte ein.

Dennoch vertreten sie zum Teil genau das Weltbild, das wir beschrieben hatten. Bei den Katholiken etwa sind Frauen weniger wert. Eine Frau kann weder Priesterin noch Papst werden.

Die katholische Körperschaft des Kantons Zürich ist das beste Beispiel. Sie ist eben nicht die Kirche von Rom, sondern steht seit Jahren für einen modernen Katholizismus ein. Wir wollen solche Körperschaften stärken, die mit uns das moderne Leben führen wollen und sich in ihren Glaubensgemeinschaften intern in Opposition setzen.

Da spricht jetzt die für Religionen zuständige Regierungsrätin. Aber können Sie als moderne Frau und als linke Feministin solche Bewegungen tatsächlich umfassend unterstützen?

Ich sage nicht, dass ich überhaupt keine Mühe mit ihnen habe.

Warum sind Sie eigentlich zur Kirche ausgetreten?

Primär, weil ich nicht gläubig bin. Aber da war noch etwas anderes. Ich war im Gymnasium im Konfirmationskurs, und der reformierte Pfarrer bezeichnete uns als Elite der Gesellschaft, zu der die anderen hinaufschauen sollten.

Weil Sie reformiert waren?

Nein, weil wir auf dem Gymi waren. Er hatte den Eindruck, dass es Menschen gebe, die mehr zu sagen hätten und denen man folgen solle. Das war der Grund, weshalb ich ausgetreten bin.

Und doch unterstützen Sie die Kirche als Regierungsrätin.

Ja, weil die reformierte Kirche als Körperschaft in unserem Kanton sehr viel leistet. Nur weil es einzelne schwarze Schafe gibt, muss man nicht die ganze Organisation infrage stellen.

Der Zürcher Kantonsrat hat soeben beschlossen, den anerkannten Religionsgemeinschaften wieder 300 Millionen Franken zu überweisen. Wieso braucht es diese Zahlungen?

Der Kantonsrat macht das nicht einfach, weil er das so will, sondern weil das in Verfassung und Gesetz so vorgesehen ist. Das Geld ist ein Beitrag für Leistungen zugunsten der gesamten Gesellschaft. Die Religionsgemeinschaften engagieren sich für Alte, für Kranke, für den Zusammenhalt, für den Frieden, für die Kultur.

Auch ein Turnverein sorgt für die Gesundheit und bekämpft Vereinsamung.

Ja, deshalb werden Sport und Kultur ebenfalls vom Staat unterstützt. Bei den Religionsgemeinschaften geht das Verhältnis aber tiefer, weil Religion und Staat immer wieder in Konkurrenz standen und stehen. Als der Kanton vor gut zwanzig Jahren eine neue Verfassung erhielt und Kirche und Staat entflocht, legte man fest: Wenn die Religionsgemeinschaften etwas tun, was für die Gesellschaft von grosser Bedeutung ist, zahlt man ihnen fairerweise einen Beitrag. Damit verpflichtete man sie gleichzeitig zu einer Zusammenarbeit, die dem religiösen Frieden dient.

Wieso kann man diese Leistungen nicht ausschreiben und an andere Organisationen vergeben?

Jetzt kommen Sie tatsächlich mit so einer Lehrbuchtheorie? Man müsse nur ausschreiben, dann kämen dann schon irgendwelche Firmen oder NGO, die sich engagieren würden?

Etwa nicht?

Nein, denn wir finanzieren die Leistungen der Kirchen ja bei weitem nicht vollständig. Die Rechnung für die Gesellschaft geht nur auf, weil Religionsgemeinschaften diese Leistungen aus innerem Antrieb erbringen und daher viel Freiwilligenarbeit leisten. Wenn wir das kostendeckend finanzieren müssten, würde es viel teurer.

Die Kirchen finanzieren sich primär über die Kirchensteuern – und diese sind eingebrochen, weil viele Mitglieder ausgetreten sind. Ist nicht dies der eigentliche Grund, weshalb der Staat einspringt?

Nein, als vor zwanzig Jahren die neue Finanzierung beschlossen wurde, war die Entwicklung noch nicht so akzentuiert wie heute. Das neue Modell entstand nicht aus einer Not heraus.

Die Freidenker kritisieren, dass ihr Steuergeld an Religionsgemeinschaften weitergeleitet werde, obwohl sie nicht religiös seien. Verstehen Sie das?

Sie beklagen sich, dass sie Organisationen wie das Sozialwerk Pfarrer Sieber unterstützen, das sich für Obdachlose und Suchtkranke einsetzt? Nein, das verstehe ich nicht. Es wäre nur dann ein Problem, wenn ein kirchliches Sozialwerk ein Mittel zur Missionierung wäre.

Was gibt Ihnen die Gewissheit, dass staatliche Gelder nicht zweckentfremdet werden?

Weil wir das erfahren würden. Wenn eine Spitalseelsorgerin oder die Pfarrerin in der Lesegruppe missionieren würde, fände das den Weg an die Öffentlichkeit, und die Verantwortlichen würden eingreifen.

Der Kanton unterstützt mit seinen 300 Millionen Franken nur fünf anerkannte Gemeinschaften. Namentlich Muslime erhalten nichts. Soll sich das ändern?

Ja, natürlich. Wenn sie ähnliche Leistungen für die gesamte Gesellschaft erbringen, sollen sie unterstützt werden.

Die Kirchen nehmen dies vorweg: Reformierte und Katholiken wollen pro Jahr je eine Million an Muslime und Orthodoxe weitergeben – und werden dafür kritisiert.

Nicht von mir, ich habe gewaltigen Respekt vor dieser Leistung. Im Lauf der Geschichte haben sich Religionsgemeinschaften immer wieder bekriegt. Jetzt geben die Kirchen freiwillig einen Teil des Geldes weiter, damit Andersgläubige stärker werden können. Sie stärken so den religiösen Frieden. Das ist für mich gelebtes Christentum. Was, wenn nicht das?

Die Kirchen beweisen damit doch nur, dass sie das viele Geld gar nicht brauchen.

Nein, sie könnten es sicher auch gut brauchen. Aber sie sind nicht egoistisch, ihnen ist der religiöse Friede wichtiger.

Ist es wirklich eine Leistung, Geld weiterzugeben, das man gratis bekommt? Mutig wäre es doch, die Kirchensteuern zu erhöhen, um einen Teil an die Muslime weiterzugeben.

Der religiöse Friede ist ein Gut, von dem wir alle profitieren. Deshalb ist es richtig, entsprechende Bemühungen mit Steuergeld zu unterstützen. Denn dieser Friede entsteht nicht einfach so, sondern ist das Ergebnis jahrelanger Arbeit. Deshalb haben sich nach dem 7. Oktober Muslime und Juden auf dem Lindenhof getroffen und ein Zeichen für Dialog und Solidarität gesetzt. Und Anfang April fand erneut eine gemeinsame Kundgebung von jüdischen und muslimischen Gemeinschaften statt. Wir alle sollten dazu beitragen, dass die Religionsgemeinschaften die Kraft zu so etwas haben.

Religionsfriede haben wir, weil wir eine säkulare Gesellschaft sind.

Nein! Schauen Sie doch nach Frankreich, das ist eine supersäkulare, durch und durch laizistische Gesellschaft – wo ist denn dort der Religionsfriede?

Für Sie ist die Weitergabe der Gelder durch die Kirchen nur ein Zwischenschritt. Aber direkte Zahlungen an muslimische Gemeinschaften hätten an der Urne doch keine Chance.

Ich glaube, das hat eine Chance. Die Leute haben ein gutes Gefühl für Fairness. Wenn muslimische Gemeinschaften ebenso transparent Leistungen für die Allgemeinheit erbringen, ist es fair, wenn sie ihren Anteil erhalten.

Laut einer Studie des Bundes sieht sich keine andere Gruppe in der Schweiz grösseren Vorbehalten ausgesetzt als die Muslime.

Viele Menschen betonen, dass unser Land ein christlich geprägtes Land sei. Wenn dabei auch die Schattenseiten der christlichen Vergangenheit akzeptiert werden, ist dagegen nichts einzuwenden. Der Holocaust hat in einem christlichen Land stattgefunden. Und die Missionierungen in den Kolonien haben immenses Leid verursacht. Wir dürfen nie vergessen: Alle grossen Weltreligionen verkünden die Botschaft des Friedens und der Nächstenliebe. Und alle müssen sich damit auseinandersetzen, dass in ihrem Namen Verbrechen verübt wurden und werden.

Gehört der Islam zur Schweiz, wie das Ihr Parteikollege Bundesrat Beat Jans gesagt hat?

Die eindrücklichste Antwort auf diese Frage war die Kundgebung gegen die feindlichen Reaktionen auf diese Aussage auf dem Zürcher Lindenhof. Sowohl von jüdischer als auch von muslimischer Seite wurde betont, es sei schlimm, dass eine so selbstverständliche Aussage so viel Kritik auslöse. Dies machte klar: Sowohl der Schweizerische Israelitische Gemeindebund als auch der Dachverband der muslimischen Gemeinschaften stehen hinter der Aussage von Beat Jans. Ja, auch der Islam gehört zur Schweiz.

Es gibt aber auch Misstrauen angesichts von Zürcher Moscheen, in denen sich Gläubige radikalisiert haben.

Wer Geld bekommt, muss Bedingungen erfüllen. Diese müssen in einem Gesetz definiert und demokratisch beschlossen werden. Es braucht volle Transparenz über die Finanzen und die Tätigkeiten, man muss auf Auslandfinanzierung verzichten und Verfassungsgrundsätze wie die Gleichheit der Geschlechter respektieren. Wenn wir das so angehen, stärken wir einen Partner auf der muslimischen Seite, der für ein friedliches und auf unseren Werten basierendes Zusammenleben einsteht.

Anders als die katholische Kirche ist die muslimische Gemeinschaft bei uns stark fragmentiert. Wie finden Sie da überhaupt einen verlässlichen Ansprechpartner?

Auch das Christentum ist stark fragmentiert. In Zürich feiern alleine die Katholikinnen und Katholiken in zwanzig Sprachen. Unser Ansprechpartner ist der muslimische Dachverband des Kantons Zürich. Diesem gehören zwar nicht alle Moscheegemeinschaften an, aber die Mehrheit.

Dieser Dachverband hat den Kanton jahrelang vergebens um Hilfe beim Bau einer Zentralmoschee ersucht. Wäre das ein Weg, den Islam aus den Hinterhoflokalen zu holen und die Kontrolle zu erhöhen?

Das Thema steht beim Dachverband heute nicht mehr auf der Prioritätenliste. Zudem muss ich hier klar trennen zwischen Religionspolitik und Gefahrenabwehr. Letzteres ist Aufgabe der Polizei. Sie verfügt über Fachleute, die in engem Austausch mit den Moscheevereinen stehen.

Mangelnde Sichtbarkeit bedeutet also nicht, dass der Staat keinen Einblick hat?

Genau. Wir können aber nicht ausschliessen, dass es in einer Moschee jemanden gibt, der extremistische Positionen vertritt. So wie wir auch nicht ausschliessen können, dass es auch heute noch einen Pfarrer gibt, der junge Männer missbraucht. Wenn Religionen über die alleinige Wahrheit zu verfügen glauben, birgt dies immer ein Risiko. Denn eine solche Haltung steht im Widerspruch zu einer offenen, liberalen Gesellschaft.

Exit mobile version