Montag, November 17

Der andauernde Krieg in der Ukraine war das grosse Thema beim letzten EU-Gipfel des Jahres. An den entscheidenden Gesprächen durften aber nur ausgewählte Regierungschefs teilnehmen.

Die EU-Staaten haben – zusammen mit den USA und Grossbritannien – viel dazu beigetragen, dass es die Ukraine als unabhängigen Staat überhaupt noch gibt. Doch bald drei Jahre nach Russlands flächendeckendem Angriff zeigt die Realität an der Kriegsfront: All die bisherigen Waffenlieferungen, die logistische und finanzielle Hilfe reichen offensichtlich nicht aus.

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Unaufhörlich rücken die russischen Truppen vor, unterstützt neuerdings von nordkoreanischen Soldaten. Auch die zivile Infrastruktur steht unter ständigem Beschuss. Und in wenigen Wochen tritt der neue amerikanische Präsident Donald Trump sein Amt an – mit all den damit verbundenen Unwägbarkeiten.

Mit dieser Gemengelage haben sich am Donnerstag die europäischen Staats- und Regierungschefs befasst. Sie versammelten sich in Brüssel zum letzten EU-Gipfel des Jahres – und zum ersten des neuen Ratspräsidenten António Costa. Der Tenor war klar: Die Ukraine muss in eine Lage gebracht werden, um allfällige Friedensverhandlungen aus einer Position der Stärke angehen zu können. Russlands Präsident Wladimir Putin macht derzeit allerdings keinerlei Anstalten, sich auf Gespräche zu Bedingungen einzulassen, die für die Ukraine akzeptabel sind.

Die EU verspricht Geld

Die EU-Diskussionen fanden vor dem Hintergrund statt, dass Trump die beiden kriegführenden Staaten bald schon an den Verhandlungstisch zwingen und bei einer Weigerung Kiews die eminent wichtige Militärhilfe der USA einstellen könnte. Der unberechenbare Republikaner hatte sich bisher damit gebrüstet, den Konflikt innert kürzester Zeit zu beenden, ohne jedoch einen präzisen Fahrplan aufzuzeigen. Kurz: Europa muss sich darauf vorbereiten, künftig grössere Verantwortung übernehmen zu müssen.

Wie aber soll die Ukraine in eine aussichtsreichere Lage gehievt werden? Die einstimmig verabschiedete Gipfelerklärung bleibt dazu vage. Man werde weiterhin «politische, finanzielle, ökonomische, humanitäre, militärische und diplomatische Unterstützung» leisten, damit Russland nicht obsiege, heisst es. Die EU verspricht für das kommende Jahr über 30 Milliarden Euro.

Kiew braucht aber in erster Linie Waffen – und diese kommen unter anderem von den einzelnen Mitgliedstaaten. So fanden bei diesem EU-Gipfel, zu dem auch der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski angereist war, die relevantesten Diskussionen im kleinen Kreise statt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron besprach sich mit Selenski am Mittwochabend bilateral, bevor er ins von Unwettern schwer getroffene Überseegebiet Mayotte reiste.

40 000 europäische Soldaten?

Später bat dann Nato-Generalsekretär Mark Rutte die Vertreter Deutschlands, Frankreichs, Grossbritanniens, Italiens, Polens, der Niederlande, Dänemarks, der EU und der Ukraine in seine Residenz, mit wenigen Ausnahmen nahmen die Regierungschefs teil. Zuvor nicht bekannte Zusicherungen hat Selenski, der unter anderem 19 verschiedene Luftverteidigungssysteme fordert, dem Vernehmen nach nicht erhalten. Die Partnerländer hatten allerdings bereits zahlreiche Waffenlieferungen für die kommenden Monate zugesichert.

Wie Personen aus dem Umfeld der Spitzenpolitiker berichten, wurde bei den Treffen auch das heikelste Thema des Moments diskutiert: die Sicherheitsgarantien, welche die Ukraine benötigen wird, wenn mit Russland dereinst irgendeine Form von Abkommen gefunden werden kann. Werden dann europäische Truppen in der Ostukraine stationiert? In einem seiner bekannten Versuchsballons nannte Macron unlängst die Zahl von 40 000 Soldaten, die notwendig wären – was in Berlin und Warschau sogleich für helle Aufregung und Ablehnung sorgte.

Vor laufender Kamera geben sich die meisten europäischen Spitzenpolitiker ohnehin äusserst zugeknöpft, wenn es um die Ausgestaltung einer möglichen Sicherheitsarchitektur geht. Für den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz etwa ist es «unangebracht, über den dritten oder vierten Schritt zu diskutieren».

Wichtig sei nun, den Ukrainern die notwendige Unterstützung zu gewähren, keine Entscheidungen über ihre Köpfe hinweg zu fällen und eine weitere Eskalation des Krieges zu verhindern, so Scholz. Am Rande des EU-Gipfels telefonierte der Kanzler mit Donald Trump – zum bereits zweiten Mal, was vor der Amtseinführung eines neuen amerikanischen Präsidenten unüblich ist.

Trump war abwesend – und omnipräsent

Ein hochrangiger Diplomat sagte, dass man sich nun Gedanken mache, um im Fall von eigenmächtigen Handlungen Trumps nicht unvorbereitet dazustehen. Alleine dies sei schon als Erfolg zu werten. Vor wenigen Monaten seien Diskussionen über die vielzitierten Sicherheitsgarantien noch undenkbar gewesen.

Selenski selbst geht das Wort einfacher über die Lippen. Er macht aber kein Hehl daraus, dass aus seiner Sicht die Europäer diese Zusicherungen alleine nicht zu stemmen in der Lage seien. «Für uns können echte Garantien, derzeit oder in der Zukunft, nur von der Nato kommen – und diese Entscheidungen fällen Amerikaner und Europäer», sagte der ukrainische Präsident anlässlich einer Pressekonferenz. Eine Nato-Mitgliedschaft ist der Ukraine zwar versprochen, sie ist aber derzeit unrealistisch.

Den designierten Präsidenten Trump, der trotz Abwesenheit beim EU-Gipfel omnipräsent war, bezeichnete Selenski als «starken Mann». Er erhoffe sich von ihm Unterstützung, seine Vorstellungen eines raschen Waffenstillstands seien aber nicht realistisch. Es brauche nun einen «echten Plan», sagte der ukrainische Präsident – ohne sich ausgiebiger dazu zu äussern.

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