Mittwoch, Januar 15

40 Jahre lang war der Joint European Torus das Flaggschiff der europäischen Fusionsforschung. Kurz vor seiner Abschaltung übertrifft er sich selbst. Das hilft seinem Nachfolger Iter.

Physiker sind einen Schritt weiter, die Energiequelle der Sonne auf der Erde zu nutzen: Am Forschungsreaktor Joint European Torus (JET) bei Oxford haben sie einen neuen Weltrekord bei der Erzeugung von Energie aus Kernfusion aufgestellt. Der Reaktor hielt für 5,2 Sekunden eine Fusionsreaktion aufrecht und erzeugte 69 Megajoule Energie – so viel wie beim Verbrennen von zwei Kilogramm Braunkohle. Damit überbot JET seinen alten Rekord um zehn Megajoule. «Wir freuen uns sehr über diesen Erfolg», sagt Athina Kappatou vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching, die am Experiment beteiligt war.

New Fusion Energy Record Pulse from JET DTE3 campaign - Pulse #104522

Der Joint European Torus wurde im Dezember 2023 nach vierzig Jahren Forschungstätigkeit abgeschaltet. Er stellt den Versuch dar, das Sonnenfeuer auf die Erde zu holen. Im Inneren der Sonne verschmelzen Wasserstoff-Atomkerne zu Helium, wobei riesige Energiemengen frei werden. Ein Gramm Wasserstoff liefert so viel Energie wie zehn Tonnen Braunkohle. Die Aussicht auf praktisch unerschöpfliche Energie motiviert Physiker schon seit den 1950er Jahren, Fusionsreaktoren zu bauen.

Dazu müssen sie allerdings ähnlich extreme Bedingungen wie im Innern der Sonne herstellen. Dort ist es 15 Millionen Grad heiss, und es herrscht ein grosser Druck, der jenen auf der Erdoberfläche milliardenfach übersteigt. In den letzten Jahren meldeten Fusionsforscher immer häufiger neue Fortschritte, so dass es scheint, Stromerzeugung aus Fusionsenergie könnte bald Realität werden.

Von einem Nettoenergiegewinn kann noch keine Rede sein

Davon ist der Forschungsreaktor JET allerdings noch weit entfernt. Netto gewann er keine Energie. Die Aufheizung des Brennstoffs auf 150 Millionen Grad Celsius benötigte etwa dreimal so viel Energie, wie die Fusionsreaktion lieferte.

Ein Nettoenergiegewinn sei nicht das Ziel gewesen, sagt Kappatou. «JET dient der Vorbereitung für den grösseren Forschungsreaktor Iter, der derzeit in Südfrankreich aufgebaut wird», erklärt die Physikerin. Erst dieser soll die nötige technische Ausstattung und Grösse haben, um mehr Energie zu erzeugen, als er verbraucht. Das Ziel: zehnmal so viel Energie.

«Was wir bei JET lernen, können wir für Iter nutzen», sagt Kappatou. Beide Reaktoren nutzen das sogenannte Magneteinschlussverfahren. Bei hoher Temperatur trennen sich die Elektronen von ihren Atomkernen. Dieses elektrisch leitende «Plasma» kann mittels Magnetfeldern in der Reaktorkammer in der Schwebe gehalten werden, so dass es die Reaktorwand nicht berührt. Bei der Fusionsreaktion entstehen Neutronen, die die erzeugte Energie aus dem Plasma heraustragen. Die Reaktorwand nimmt die Energie auf und wandelt sie in Hitze um, die frühestens ab 2050 in Kraftwerken zur Stromerzeugung genutzt werden soll.

«Der kontrollierte Abtransport der Wärme ist sehr wichtig, um die Reaktorwand zu schützen», sagt Kappatou. Im aktuellen Experiment habe man ein wichtiges Problem dabei gelöst. Das Plasma neigt dazu, aus seinem Magnetkäfig auszureissen. «Solche Energieausbrüche können die Reaktorwand beschädigen», erklärt Kappatou. Indem sie die Form des einschliessenden Magnetfeldes modifiziert haben, konnten die Forscher diese Ausbrüche stark reduzieren. Die Optimierungen führten auch zum neuen Rekord.

Der Brennstoff, den JET nutzte, lieferte auch einen Beitrag: Dieser besteht aus Deuterium und Tritium, zwei schweren Isotopen des Wasserstoffs. Die Deuterium-Tritium-Fusion liefert viel mehr Energie als die von leichtem Wasserstoff. Auch Iter soll ab 2035 Deuterium und Tritium verbrennen.

Nach dem letzten Experiment am JET sieht sich Kappatou besser gerüstet für Iter. Weil dieser deutlich grösser und komplexer sein wird, erwarten die Forscher bestimmte Schwierigkeiten, etwa neue Plasmaausbrüche. «Wir wissen aber jetzt, wie wir diese Probleme lösen können», sagt die Physikerin. Die Erkenntnisse aus JET senkten auch das Risiko für unvorhergesehene Hürden beim Betrieb von Iter, sagt Kappatou.

Verzögerungen wären für Iter nichts Neues. Die Inbetriebnahme war ursprünglich für 2016 geplant. Offiziell soll der Versuchsbetrieb nun 2025 beginnen, wahrscheinlich aber deutlich später. Das Projekt scheint wegen der Verzögerungen an politischem Rückhalt zu verlieren: Im November 2023 kürzte die EU das Budget für Iter im Forschungshaushalt 2024 um 120 Millionen Euro.

Die Laserfusion macht der Magnetfusion Konkurrenz

Das Magneteinschlussverfahren musste sich die Show jüngst auch von einer anderen Variante der Kernfusion, der sogenannten Laserfusion, stehlen lassen. Dabei schiesst ein starker Laser Pulse auf winzige Kügelchen, die den Fusionsbrennstoff enthalten. Die Kügelchen explodieren daraufhin, und es entsteht ein Rückstoss, der den Wasserstoff so stark komprimiert und erhitzt, dass eine Fusionsreaktion zündet.

Reaktortypen für die Kernfusion

Damit gelang es am Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) in Kalifornien 2022 erstmals, einen Nettoenergiegewinn zu erzielen: Die verschmelzenden Atomkerne setzten mehr Energie frei, als der Laser zuvor auf das Kügelchen übertragen hatte. Kraftwerkstauglich ist die Laserfusion allerdings noch nicht, da die gesamte Laseranlage für den Schuss etwa das 200-Fache der erzielten Fusionsenergie aufwendete. Ausserdem setzt ein Kügelchen nur etwa drei Megajoule Fusionsenergie frei. Ein künftiges Kraftwerk müsste in schneller Folge viele Pulse auf viele Kügelchen feuern. Dafür ist modernere Lasertechnik als die am LLNL nötig.

Weltweit arbeiten mehrere Startups daran, diese Probleme zu lösen. Das deutsch-amerikanische Startup Focused Energy etwa will bis 2040 ein Laserfusionskraftwerk entwickeln.

Andere Startups arbeiten am Magneteinschlussverfahren. Sie könnten dank grösserer technologischer Flexibilität Grossprojekte wie Iter überholen. Das amerikanische Startup Commonwealth Fusion etwa will den Magneteinschluss mit modernen Hochtemperatursupraleitern schaffen, die kleiner sind und leichter zu betreiben als die Supraleiter bei Iter. Ein erstes Fusionskraftwerk will die Firma Anfang der 2030er ans Netz bringen.

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