Sonntag, September 29

Die Aktien des Hörgeräteherstellers leiden am Dienstag unter der Ankündigung des US-Konzerns. Ausserdem: Givaudan überzeugt, Aryzta-Konkurrent strebt nun doch an die Börse, viel Bewegung bei Hochdorf und die Titel von Swatch Group kennen nur eine Richtung.

Geschätzte Leserin, geschätzter Leser

Der Monatsauftakt an der Schweizer Börse ist ziemlich missglückt, in der ersten Septemberwoche ging es für den Leitindex Swiss Market Index (SMI) rund 5% nach unten. Unter Druck standen insbesondere die Titel von Partners Group und Richemont. Erstere wegen enttäuschenden Halbjahreszahlen, letztere wegen trüber Konjunktursignale aus China und aus den USA.

Positiv aufgefallen sind mir dagegen die Givaudan-Aktien, die sich knapp im Plus halten konnten und auch diese Woche zu den Gewinnern gehören. Seit Anfang Jahr haben sie mehr als ein Drittel an Wert gewonnen.

Die Verantwortlichen von Givaudan sind gerade auf Roadshow durch Europa und was sie zu präsentieren haben, kommt bei den Investoren offenbar gut an. Der führende Hersteller von Aroma- und Riechstoffen hat die Herausforderungen von 2023 definitiv hinter sich gelassen, schon die Halbjahreszahlen überzeugten: Das Wachstum liegt wieder auf dem gewohnten Niveau, 9,2% legten die verkauften Volumen im Vergleich mit der Vorjahresperiode zu. Zusammen mit Massnahmen zur Leistungssteigerung liess das die bereinigte operative Marge auf gegen 25% steigen, ein Plus von zwei Prozentpunkten gegenüber dem ersten Halbjahr 2023.

Das Potenzial ist aber noch nicht ausgeschöpft. Der Konzern überlegt sich, in den Markt für Tierfutter einzusteigen, wie CEO Gilles Andrier kürzlich in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Bloomberg sagte und bereits bei der Präsentation der Halbjahreszahlen betont hatte. In diesem lukrativen Bereich sind derzeit Konkurrenten wie die deutsche Symrise erfolgreich. Die Übernahme eines Herstellers von Haustierfutter-Ingredienzien könnte Givaudan dabei helfen, «einen Fuss in die Tür zu bekommen», wohl um das Geschäft dann organisch weiterzuentwickeln. Noch aber fehlen konkrete Übernahmeziele.

Für das defensive Unternehmen spricht auch das gegenwärtige Marktumfeld. Das schnelle, konjunkturunabhängige Wachstum, der starke Cashflow und die verlässliche Dividendenpolitik versprechen Absicherung und verleihen den Aktien Anleihencharakter. Solche Eigenschaften werden vor dem Hintergrund der erwarteten Leitzinssenkungen in den USA besonders geschätzt.

Apple mischt den Markt für Hörhilfen auf. Der Konzern aus Cupertino, Kalifornien, stellte am Montagabend zwei neue Fähigkeiten seiner Kopfhörer AirPods Pro 2 vor: eine klinisch getestete Hörtestfunktion und eine rezeptfreie Hörhilfe (Over the counter, OTC). Damit will er laut Medienmitteilung den Zugang zur Hörunterstützung vereinfachen und das «zu einem erschwinglichen Preis». Die neuen Funktionen sollen in Kürze die Marktzulassung von mehreren Gesundheitsbehörden erhalten und noch in diesem Herbst in über hundert Ländern und Regionen erhältlich sein, darunter in den USA, in Deutschland und in Japan.

Die Aktien des Schweizer Hörgerätherstellers Sonova reagieren am Dienstag mit einem deutlichen Abschlag auf die Neuigkeiten von der US-Westküste.

Dabei wird das Produkt von Apple nicht das erste OTC-Hörgerät auf dem Markt sein. In den USA sind solche schnell verfügbaren Hilfsmittel mittlerweile verbreitet, seitdem die Arzneimittelbehörde FDA im Herbst 2018 die Regulierung angepasst hat und Herstellern damit erlaubt, technisch weniger ausgefeilte Hörgeräte rezeptfrei anzubieten. Kunden können die Hörgeräte selbständig erwerben, ohne die Hilfe eines Hörakustikers. Sonova selbst hat im Sommer 2023 unter der Marke Sennheiser ein entsprechendes Produkt mit dem Namen All-Day Clear lanciert, Konkurrentin GN Group unter der Marke Jabra.

Aus meiner Sicht ist die heutige Aktienreaktion nicht nur deshalb übertrieben, weil es solche rezeptfreien Angebote schon länger gibt. Klar, Apple ist eine andere Hausnummer als bisherige Konkurrenten wie Audien Hearing; vielen der zig Millionen Kunden des iPhone-Konzerns dürfte es leichter fallen, sich ein Apple-Produkt zur Hörunterstützung zu kaufen, als ein OTC-Gerät eines gestandenen, etwas verstaubt wirkenden Hörgeräteherstellers. Ich glaube aber, die neue Hörhilfe könnte den Einstieg erleichtern und so Menschen abholen, die sich bisher dagegen sträubten. Noch immer sind klassische Hörgeräte mit einem Stigma verbunden, die meisten (älteren) Menschen warten klar zu lange, bis sie sich zum Kauf überwinden. Apple streicht denn auch hervor, dass man das Bewusstsein für die Problematik verbessern wolle.

Und auch Sonova-CEO Arnd Kaldowski hatte in der Vergangenheit immer wieder betont, dass rezeptfreie Hörgeräte Kunden mit leichtem Hörverlust möglicherweise früher in die Geschäfte bringen würden, als es sonst der Fall wäre, und dass sie später anspruchsvollere Geräte benötigen würden, wenn sich ihr Hörvermögen weiter verschlechtert. Die OTC-Geräte sind relativ simpel, schreitet der Hörverlust fort, stösst die Technologie bald an ihre Grenzen. Viele Apple-Kunden werden sich dann doch noch Unterstützung von einem Hörakustiker holen – genau das, was Sonova anbietet.

Nun also doch: Europastry plant die Publikumsöffnung und zwar noch in diesem Herbst, wahrscheinlich im Oktober, wie die Nachrichtenagentur Reuters mit Verweis auf eine Recherche der Zeitung «Expansion» vergangene Woche meldete. Im Juni verschob der in Barcelona ansässige Tiefkühlbackwarenhersteller den geplanten Börsengang von mindestens 25% der Aktien an der Madrider Börse, nachdem die politische Instabilität in Frankreich die europäischen Aktienmärkte erschüttert hatte.

Der Aryzta-Konkurrent will neue Aktien im Wert von rund 225 Mio. € begeben und plant eine Zweitemission von bestehenden Aktien der Hauptaktionäre rund um die Familie Gallés. Die Börsenkapitalisierung wird auf rund 1,8 Mrd. € geschätzt (Aryzta: 1,64 Mrd. Fr.). 2023 erwirtschaftete die 1987 gegründete Europastry einen Umsatz von 1,35 Mrd. € in achtzig Ländern und ist damit gut halb so gross wie Aryzta. Zu den Kunden gehören grosse Ketten wie Pret A Manger und Starbucks in den USA oder Manolo Bakes in Spanien, aber auch kleinere, lokale Anbieter setzen vermehrt auf die Fertigprodukte.

Laut Jordi Gallés profitiert das Unternehmen vom selben Trend wie der Schweizer Grossbäcker, wie der Europastry-Präsident und Sohn des Gründers in einem Interview mit der «Financial Times» hervorhob. Immer mehr Brot und Gebäck werden vorproduziert und in Läden, Hotels, Cafés und Restaurants nur noch aufgebacken und serviert, das betrifft auch die gerade in Frankreich sehr beliebten Butter-Croissants. Und fast schon provokativ fügt er an: «In einem Blindtest könnten Sie nicht sagen, welches [Croissant] aus der Grossproduktion und welches von Hand hergestellt worden ist.»

Der Vormarsch der industriellen Croissants ist das jüngste Beispiel der Verdrängung kleiner handwerklicher Betriebe durch die Massenproduktion, um die Kosteneffizienz zu verbessern und dem Mangel an spezialisierten Arbeitskräften – in diesem Fall Bäckern – zu begegnen. Und das Potenzial des «Bake-off», wie Aryzta das Feld nennt, ist weiterhin riesig: Die Schweizer erwarten für die kommenden Jahre ein organisches Umsatzwachstum von 4,5 bis 5,5%. Laut FT schätzten Industrieexperten das durchschnittliche Umsatzwachstum im Bereich der gefrorenen Produkte zwischen 2021 und 2026 jährlich gar auf 7%. Der Markt für Backwaren insgesamt soll derweil nur 1 bis 2% im Jahr wachsen.

Sowohl Aryzta als auch Europastry stellen dabei die Qualität in den Mittelpunkt. «Wir respektieren die Tradition», sagt Gallés, da gebe es keine Abkürzungen. Damit meint er die Herstellung, die je nach Produkt einiges an Zeit in Anspruch nehmen und viele Produktionsschritte umfassen kann. Die Croissants werden wie alles Gebäck in einer der 27 automatisierten Fabriken mit hochspezialisierten Maschinen hergestellt. Ganz ähnlich sieht das bei den Schweizern – etwa im luzernischen Dagmersellen – aus. Aryzta will nichts geringeres als der Goldstandard im Bake-off sein.

Diese Aussichten, gepaart mit einem sehr guten Management und weiterem Optimierungspotenzial, machen die Aktien aus meiner Sicht derzeit zu den attraktivsten im Lebensmittelbereich an der Schweizer Börse. Zuletzt haben sie aber etwas an Schwung verloren.

Mit dem Börsengang von Europastry wird sich das europäische Segment zusätzlich beleben.

Die letzten Zuckungen gehen derweil durch die Aktien von Hochdorf, nachdem der angeschlagene Milchverarbeiter Ende August angekündigt hatte, mit einem Finanzinvestor über einen Verkauf einig geworden zu sein. Auch diese Woche sind die Kursausschläge an der Börse enorm.

Am 18. September können die Aktionärinnen von Hochdorf darüber abstimmen, ob das operative Geschäft unter AS Equity Partners weitergeführt werden soll. Der Kaufpreis nach Abzug des Konsortialkredits beläuft sich auf 15,5 Mio. Fr. Das hört sich zunächst nach sehr wenig an, doch dem Verantwortlichen bei Hochdorf waren wohl schlicht nicht mehr viele Möglichkeit geblieben – zum Schaden der Aktionäre und Halterinnen der Hybridanleihe. Sie dürften praktisch leer ausgehen.

Das wollen einige offenbar nicht auf sich sitzen lassen: Indem sie im grossen Stil Aktienpakete kaufen, um an der GV eine Stimmenmehrheit zu erlangen, wollen sie die Transaktion doch noch verhindern. Wie ich höre, könnte es sich dabei um Investoren rund um Grossaktionär Newlat handeln. Der italienische Nahrungsmittelhersteller war erst im Frühjahr 2024 bei Hochdorf eingestiegen und schien an einer Übernahme interessiert gewesen zu sein. Die Auswechslung des Verwaltungsrats durch sechs Newlat-Mitglieder scheiterte allerdings am Widerstand anderer Aktionäre. Doch auch einige Altaktionäre dürften mit dem Angebot kaum zufrieden sein, noch vor einem Jahr waren die Aktien mehr als 20 Fr. wert.

Die Nervosität ist knapp eine Woche vor der entscheidenden Abstimmung auf allen Seiten hoch. Das zeigt auch eine Kommunikation vonseiten Hochdorfs am Montag. Darin betont das Unternehmen, dass ein Verkauf an AS Equity Partners von existenzieller Notwendigkeit sei, eine Ablehnung durch die Generalversammlung gefährde den Fortbestand des operativen Geschäfts: «Dies hätte auch gravierende Folgen für den Schweizer Milchmarkt. Der Verwaltungsrat appelliert deshalb an die Aktionärinnen und Aktionäre, die Transaktion zu unterstützen.»

Derweil könnten die Bemühungen und Aktienkäufe der vergangenen Tage ohnehin umsonst gewesen sein: Das Aktienregister ist seit Freitag, 6. September, geschlossen. Wer jetzt noch Aktien erwirbt, kann sie nicht eintragen lassen und erhält damit auch kein Stimmrecht. Anträge an die ausserordentliche Generalversammlung sind laut dem Unternehmen keine eingegangen.

Sie fallen und fallen und fallen: Am Dienstagnachmittag sind die Inhaberaktien von Swatch Group weniger als 160 Fr. wert, seit Jahresbeginn resultiert ein Minus von fast 30%.

An sich gibt es nichts Neues zu berichten: Die operative Leistung enttäuscht, der Uhrenhersteller leidet besonders stark unter der zuletzt extrem schwachen Nachfrage aus China, Hongkong und Macau. Während die Uhrenexporte aus der Schweiz in die Region in den vergangenen Jahren insgesamt gestiegen sind, schrumpften sie bei Swatch Group von Quartal zu Quartal. Allein mit dem Marktumfeld lassen sich die schwachen Zahlen nicht erklären, sie sind vor allem auch Ausdruck von Missmanagement an der Konzernspitze. So wird etwa auf Halde produziert, was sich nicht nur im Gewinneinbruch spiegelt, es bindet auch Liquidität.

Und doch ist diese Marke von 160 Fr. bemerkenswert. Zuletzt getestet worden war sie während der grössten Panik zu Beginn der Coronapandemie. In dieser Weltuntergangsstimmung fielen auch die Titel des Branchennachbarn Richemont auf rund 50 Fr. – seither hat sich deren Kurs aber mehr als verdoppelt.

Das sagt eigentlich schon alles über die vergangenen Jahre.

Freundlich grüsst im Namen von Mrs Market

Gabriella Hunter

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