Donnerstag, November 28

Weil wir länger leben, kostet der Ruhestand immer mehr Geld. Erstaunlich viele Senioren kommen nur knapp über die Runden – selbst wenn sie zu den Gutsituierten zählen.

Manchmal braucht es wenig, und der langersehnte Ruhestand wird zum Albtraum: Teure Arztrechnungen können dazu führen, dass die Rente nicht mehr ausreicht. Plötzlich ist man gezwungen, den Gürtel enger zu schnallen. Womöglich wird sogar noch die Wohnung zu teuer.

Wer rechtzeitig ein Reservepolster aufbaut, kann ein solches Szenario verhindern. «Braucht es zwei Millionen, um sorgenfrei in Pension zu gehen?», fragt das VZ-Vermögenszentrum in seinem Kundenmagazin. Wer das liest, denkt unweigerlich: zwei Millionen für einen unbeschwerten Ruhestand – ist das nicht viel zu viel?

«Dass man bei einem solchen Betrag zunächst erschrickt, erlebe ich regelmässig im Gespräch mit meinen Kunden», sagt der Vermögenszentrum-Experte Karl Flubacher. Dennoch sei die Zahl durchaus realistisch. «Wir sprechen hier nicht von der Oberschicht, sondern von Verhältnissen aus dem Mittelstand – zum Beispiel einem Paar, beide als Gymi-Lehrer tätig.»

Das Leben kostet mehr als erwartet

Das erste Aha-Erlebnis entstehe, wenn man ein Budget für den Ruhestand erstelle, erklärt Flubacher. «Viele haben das Gefühl, dass ihre Ausgaben spürbar sinken, sobald sie nicht mehr arbeiten – doch das ist sehr oft eine Illusion.» Die Statistik des Bundes zeigt: Ein frisch pensioniertes Ehepaar gibt im Schnitt 110 000 Franken pro Jahr aus. Wovon allein 20 000 Franken für die Steuern weggehen. Zwar sparen die meisten Rentner bei der Mobilität. Dafür nehmen ihre Gesundheitskosten stark zu.

Die knifflige Frage lautet nun: Wo soll das nötige Geld herkommen? Zwar erhalten alle schon bald eine 13. AHV-Rente. Bei der zweiten Säule dagegen ist der Trend negativ. Gemäss dem VZ-Vermögenszentrum müssen Erwerbstätige heute mit bis zu 40 Prozent tieferen Leistungen rechnen als noch vor 20 Jahren. Das bedeutet in vielen Fällen eine Einbusse von 20 000 Franken. Der Grund liegt in der höheren Lebenserwartung und dem gesunkenen Zinsniveau.

Die Rente ist deutlich geschrumpft

Erwartete Rente für einen 55-jährigen Mann mit einem Lohn von 120 000 Franken

Dieser Rückgang hat ein Umdenken ausgelöst: Nur noch vier von zehn Pensionierten beziehen sämtliche PK-Gelder als Rente. Die Mehrheit lässt sich das Kapital auszahlen oder wählt eine kombinierte Lösung. Das sei die wohl wichtigste finanzielle Weichenstellung im Leben, sagt Flubacher. «Erstens geht es um Hunderttausende von Franken. Und zweitens ist die Wahl irreversibel: Sie lässt sich später nicht mehr korrigieren.»

Dass der Kapitalbezug immer populärer wird, ergibt für den Vorsorgeexperten Sinn. Steuerlich komme es deutlich günstiger, zudem profitiere man von der grösseren Flexibilität: Im Todesfall bleibt das restliche Vermögen für die Nachkommen erhalten. «Doch viele Leute haben Mühe damit, wenn sie plötzlich einen so grossen Geldbetrag besitzen», erklärt Flubacher. «Vor allem kostet es sie Überwindung, dieses Kapital effektiv zu verbrauchen.»

Viel Vermögen, wenig Liquidität

Das gilt ebenso für die eingangs erwähnten zwei Millionen Franken: Ein Grossteil der Senioren zählt zur Kategorie «Asset rich but cash poor». Das heisst, sie sind zwar reich an Vermögen, jedoch arm an Bargeld. Die Folge ist ein permanenter Zwiespalt: Man zählt zu den Privilegierten und hat trotzdem Angst, nicht über die Runden zu kommen.

Im Beispiel erreicht das gesicherte jährliche Einkommen des Ehepaars 68 000 Franken, bestehend aus der maximalen AHV-Rente sowie der PK-Rente der Frau. Der Mann hingegen hat sich das PK-Guthaben auszahlen lassen. Die Ausgaben des Paars beziffert das Vermögenszentrum auf 128 000 Franken, womit eine Einkommenslücke von 60 000 Franken pro Jahr resultiert. Hochgerechnet auf 25 Jahre, bis zum Alter 90, schätzt das VZ den Kapitalbedarf auf knapp zwei Millionen Franken.

Wichtig sei, dass man bei der Budgetierung die künftige Inflation nicht vergesse, betont der Vorsorgespezialist. Betragen die Lebenshaltungskosten 7000 Franken im Monat, so klettern diese bei einer Teuerung von 1,5 Prozent bis in 25 Jahren auf 10 000 Franken.

Karl Flubacher beobachtet, dass die Leute oft verunsichert reagierten, wenn sie ihre Vorsorge planten – sogar wenn ausreichend Vermögen vorhanden sei. «Sie realisieren, dass ihr Ruhestand von Faktoren abhängt, die sie kaum beeinflussen können.» Ein solches Risiko bedeute etwa der Eintritt in ein Pflegeheim. Dieses kostet im Mittel 10 000 Franken pro Monat, wovon die Betroffenen einen stattlichen Teil selbst bestreiten müssen.

Senioren besitzen am meisten Häuser

Sehr emotional und persönlich wird es beim Eigenheim: Für viele Rentner ist der Verkauf ein Tabu – selbst wenn sie dadurch ihren Geldmangel einfach lösen könnten. Keine andere Altersgruppe besitzt mehr Häuser: Nicht weniger als drei von vier Paarhaushalten leben mit 70 in der eigenen Liegenschaft. In der übrigen Bevölkerung dagegen können sich nur halb so viele eine Immobilie leisten.

Flubacher erlebt es regelmässig, dass sich Senioren einschränken, weil sie das Eigenheim um jeden Preis im Besitz der Familie behalten wollen. Dies sei eine schwierige Gratwanderung: «Mit einem Haus ist man immobil: Wird das Geld knapp, kann ich nicht einfach einen Ziegel herausbrechen, um mir Liquidität zu verschaffen.»

«Asset rich but cash poor»: Dies gilt besonders für jene, die für den Hauskauf ihre Pensionskasse geplündert haben – was gegenwärtig für jeden vierten Haushalt zutrifft. Angesichts der enormen Preise bleibt dies oftmals die letzte Chance. Und doch tun es die meisten mit einem unguten Gefühl: Laut einer Analyse der Zürcher Fachhochschule ZHAW befürchten zwei Drittel, sie könnten ihr Eigenheim dereinst nicht mehr halten.

«In der Regel raten wir den Kunden von einem solchen Schritt ab», erklärt Flubacher. Denn viele Leute könnten die entstandene Lücke später nicht mehr auffüllen. «Zwar wohne ich dann sehr günstig. Doch die Kehrseite, ständig knapp bei Kasse zu sein, darf man nicht unterschätzen.»

Ein ähnliches Dilemma stellt sich bei der Frage, ob man die Hypothek abzahlen soll: Damit spart man zwar Zinsen an die Bank. Doch wer im Alter unerwartet zusätzliches Geld benötigt, kann den Kredit womöglich nicht mehr aufstocken. Zudem wird eine tiefe Hypothek steuerlich bestraft – was am System mit dem Eigenmietwert liegt: Dieses bewirkt, dass auch Rentner mit wenig Einkommen hohe Steuern zahlen.

Fast die Hälfte lässt sich frühpensionieren

Besonders im Alter sind die Unterschiede zwischen Arm und Reich riesig: Das Existenzminimum für ein Rentnerpaar liegt inklusive Ergänzungsleistungen und 13. AHV-Rente bei 60 000 bis 70 000 Franken im Jahr – je nach Wohnort. Am oberen Ende der Skala erreichen die wohlhabendsten 20 Prozent der Rentnerpaare ein Bruttoeinkommen, welches 120 000 Franken im Jahr übertrifft. Die Zahl stammt aus der Haushaltsbudgeterhebung des Bundes. Über eine Zeitdauer von 25 Jahren ergibt das die stattliche Summe von mehr als drei Millionen.

Ein Indikator, dass viele Senioren finanziell gut dastehen, ist ebenso der hohe Anteil an Frühpensionierungen: 40 Prozent der Angestellten steigen vor dem ordentlichen Rentenalter aus dem Berufsleben aus – wobei dies nicht immer freiwillig geschieht. Ein solcher Schritt führt zu erheblichen Einkommensverlusten. Laut dem VZ-Vermögenszentrum gilt die Faustregel, dass jedes Jahr, mit dem man früher in Rente geht, 100 000 Franken kostet.

Wer im Alter auf der sicheren Seite stehen will, für den hält Karl Flubacher den ewig gleichen Ratschlag bereit: «Frühzeitig planen und frühzeitig mit dem Sparen anfangen.» Im Idealfall starten schon die Eltern bei der eigenen Geburt mit einem Sparplan: Wer 65 Jahre lang jeden Monat 250 Franken an der Börse investiert, schafft es ziemlich sicher zum Millionär (siehe «So einfach sparen Sie bis zur Pensionierung eine Million»).

Doch selbst mit 50 ist es keinesfalls zu spät, um mit dem Sparen loszulegen. Auch dann bleibt noch genügend Zeit, um ein beruhigendes Polster für den Ruhestand aufzubauen. Die gute Nachricht nämlich lautet: Wir werden nicht nur immer älter. Ebenso sind die Pensionäre immer fitter. In der Regel erfreuen sie sich bis zum 80. Altersjahr einer guten oder sehr guten Gesundheit. Hat man finanziell vorgesorgt, so lässt sich der Lebensabend besser geniessen.

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