Donnerstag, Oktober 10

Der renommierte Soziologe Jens Beckert hat eine düstere Analyse über unsere Zukunft geschrieben. Im Gespräch erklärt er, warum wir die Erderwärmung nicht mehr stoppen können. Und weshalb er trotzdem nicht verzweifelt.

Herr Beckert, nachdem ich Ihr Buch gelesen hatte, dachte ich: Das war’s, wir sind geliefert. Wissen Sie, warum?

Ja, das Ergebnis meiner Recherche macht leider nicht viel Hoffnung. Es ist düster, pessimistisch.

Ihr Fazit lautet: Wir werden den Klimawandel nicht stoppen können. Eine apokalyptische These.

Ich will nicht apokalyptisch sein. Lieber spreche ich von einem nachdenklichen Realismus. Ich möchte auf die Ernsthaftigkeit der Situation hinweisen – und auf die Notwendigkeit, sofort zu handeln. Denn unsere Optionen sind mittlerweile sehr beschränkt, um das Problem überhaupt noch in den Griff zu bekommen. Wir müssen uns auf eine Temperaturerhöhung von 2,5 bis 3 Grad bis zum Ende dieses Jahrhunderts einstellen.

Sie zeichnen sehr düstere Aussichten für die Generation Ihrer Kinder, denen Sie auch Ihr Buch gewidmet haben.

Leider, ja. Meine Kinder waren eine wichtige Motivation für das Buch. Sie gehen noch zur Schule und könnten bis ins Jahr 2100 leben. Eigentlich schreibe ich über die Zukunft meiner Kinder und der Generationen, die noch kommen werden. Ich war emotional betroffen, als mir klargeworden ist, worauf wir da wirklich zusteuern – und was das auch mit meinen Kindern machen wird. Eine interessante Erfahrung, als Wissenschafter auch emotional von einem Thema so eingenommen zu werden.

Zur Person

scf. Jens Beckert ist Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung und Professor für Soziologie in Köln. Zuvor hat er unter anderem in New York, Princeton und an der Harvard University gelehrt. Sein neues Buch «Verkaufte Zukunft» erscheint am Montag und ist für den Leipziger Buchpreis 2024 nominiert.

Der renommierte deutsche Soziologe geht darin der Frage nach, warum es uns als Gesellschaft nicht gelingt, den Klimawandel zu stoppen – obwohl wir seit Jahrzehnten wissen, wie gefährlich die Erderwärmung ist. Seine Analyse gelangt zu einem ernüchternden Schluss: dass der Kampf gegen den Klimawandel zu scheitern droht. 

Der 56-Jährige vergleicht den Ausstoss riesiger Mengen von Treibhausgasen mit einem Tanker, der einen Bremsweg von vielen Jahrzehnten hat. Dass das Schiff so lange braucht, um zum Stillstand zu kommen, liegt vor allem an der Vielzahl von Menschen an Bord. Einige wollen scharf bremsen, andere einfach weiterfahren. Hinzu kommt die bange Frage, ob sich der Tanker überhaupt bremsen lässt – oder ob er nicht einfach auseinanderbricht.

Warum haben Sie sich als Soziologe mit dem Klimawandel beschäftigt?

Es hat mich überrascht, wie wenig sich die Sozialwissenschaften mit diesem Thema auseinandergesetzt haben. Beschäftigt hat mich vor allem eine Frage: Wie können wir einfach so weiterleben, obwohl wir bereits seit drei Jahrzehnten wissen, was uns droht? Das finde ich schon sehr überraschend. Man könnte ja meinen, dass sich Menschen, die bedroht sind, gegen diese Bedrohung wehren. Das passiert aber nicht – oder noch viel zu wenig.

Wirklich? Wir leben ja nicht einfach so weiter. Nicht umsonst prahlen viele Menschen damit, wie viele Jahre sie schon nicht mehr geflogen sind.

Ich glaube, diese Menschen überschätzen ihren Einfluss aufs Klima. Die Fluggesellschaften schreiben Rekordzahlen. Das zeigt doch: Die Leute reisen in die Ferien wie verrückt. Klar gibt es Menschen, die sich wegen des Klimas fundamental einschränken. Aber in der grossen Masse findet das nicht statt.

Sie nennen Versuche von Menschen, die ihren Alltag klimafreundlicher gestalten, «symbolische Ersatzhandlungen». Klingt ziemlich despektierlich.

Das mag so ankommen. Aber als Wissenschafter geht es mir nicht darum, Wohlwollen zu erzeugen. Ich möchte präzise und analytisch beschreiben, was das Problem ist. «Symbolische Ersatzhandlungen» trifft schon ziemlich gut, was da passiert.

Was genau meinen Sie damit?

Schauen Sie sich etwa die CO2-Kompensations-Zertifikate an. Sie sind beliebt, weil man trotzdem ins Flugzeug steigen und nach Thailand reisen kann, anstatt zu Hause zu bleiben. Man weiss um den Klimawandel, man will auch etwas dagegen tun. Aber man macht nur so viel, dass es nicht weh tut. Hauptsache, es wirft das eigene Leben nicht über den Haufen.

Warum ist das so?

Wir Menschen legen uns die Dinge so zurecht, dass wir uns wohlfühlen – etwa dann, wenn wir klimaschädliches Verhalten mental mit guten Taten verrechnen. Dabei zeigt sich, dass wir grünes Verhalten dann an den Tag legen, wenn es möglichst wenig kostet und nicht allzu unbequem ist. Wir leben aber auch in Strukturen, die es uns häufig gar nicht erlauben, uns in einer für das Klima angemessenen Weise zu verhalten. Unsere Gesellschaften sind ja so eingerichtet, dass unser Leben mit hohem Energieverbrauch verbunden ist.

Trotzdem gibt es nicht zuletzt wegen des Drucks der Konsumenten mehr Bioprodukte. Unternehmen sind gezwungen, in erneuerbare Energien zu investieren oder in biologisch abbaubare Verpackungen. Das war vor 20 Jahren noch anders.

Ich behaupte ja nicht, dass nichts geschehe. Mein Punkt ist einfach: Es genügt nicht. Zumal die ökonomische Entwicklung in Asien und Afrika in den nächsten Jahrzehnten enorm Fahrt aufnehmen wird. Für den Lebensstandard ist das gut, es wird viele Menschen aus der Armut führen. Aber es führt halt auch zu einer massiven Zuspitzung des Klimaproblems.

Okay, was also dann? Brauchen wir eine Revolution? Oder die Rückkehr der Planwirtschaft?

Ich tue mich schwer damit, einfache Lösungen zu propagieren. Bei sehr linken Autoren heisst es, der Moment sei gekommen, um den Kapitalismus abzuschaffen.

Nach dem Slogan «System change – not climate change»?

Die Frage ist ja auch berechtigt angesichts der Klimaentwicklung. Aber man muss dann auch fragen: Wie soll das ein umsetzbarer Plan sein? Wo sind die Akteure, die den radikalen Systemwechsel überhaupt realisieren können – und danach eine effektive Klimapolitik betreiben, weltweit?

Eine Utopie also?

Für mich sind das Träumereien. Es gibt zwar gute Gründe, weshalb es weniger Wachstum und weniger Konsum brauchte. Aber wenn man politisch darüber nachdenkt, gibt es keine Mehrheiten, um das durchzusetzen. Eine realistische Klimapolitik darf sich deshalb nicht solchen Träumereien hingeben, die zu nichts führen. Sie muss vielmehr schauen, was möglich ist, und sich darauf fokussieren.

Fokussieren wir uns also auf das Mögliche. Auf das, was breiter abgestützt ist: das grüne Wachstum. Es besagt: Wir müssen nicht gross verzichten, sondern einfach klimaneutral konsumieren. Klingt gut.

Das tut es. Aber die Massnahmen reichen bei weitem nicht aus. Machen wir weiter wie bisher, steigen auch die Emissionen bis Ende des Jahrzehnts erheblich weiter an. Für eine wirkliche grüne Transformation müssten wir die Ausgaben für den Klimaschutz verdreifachen. Als nachdenklicher Realist sage ich: Der Weg ist richtig, aber wir investieren zu wenig.

Ich versuche einmal, ein positiver Realist zu sein: Der Ausbau von Lieferanten erneuerbarer Energie schreitet voran, es gibt immer mehr Elektrofahrzeuge, Photovoltaikanlagen, Hauseigentümer, die auf Wärmepumpen umsteigen.

Wissen Sie, als ich an meinem Buch gearbeitet und Artikel über tolle Entwicklungen gelesen habe, fragte ich mich manchmal: Schreibe ich vielleicht das falsche Buch? Das Glas ist doch halb voll. Aber wenn man genauer hinschaut, sieht man, wie viel in diesen Beschreibungen leere Versprechen sind – oder Kleinsterfolge, die hochgejubelt werden.

Vielleicht sind Sie einfach zu pessimistisch. Schliesslich hat die Welt schon beim FCKW-Verbot gezeigt, dass sie Umweltprobleme global lösen kann.

Das ist ein interessanter Vergleich, der kommt immer wieder. Aber er ist leider nicht zutreffend. Das FCKW-Problem war weitaus weniger komplex. Es ging um das Verbot einer einzigen Chemikalie. Sie kauften sich einfach einen neuen Kühlschrank, und das war’s. Hier waren nicht ganze Volkswirtschaften mit ihren zentralen Infrastrukturen infrage gestellt.

Fassen wir zusammen: Die Wirtschaft zu schrumpfen, ist nicht realistisch und das grüne Wachstum zu langsam. Auf die Macht des Konsumenten können wir nicht zählen. Bleibt nur noch Fatalismus.

Ich kann es gut verstehen, wenn man zu diesem Schluss kommt. Aber es ist überhaupt nicht meine Reaktion. Ich sage: Wir müssen diese Situation als Realität anerkennen. Es wird zu einem weiteren erheblichen Temperaturanstieg kommen.

Wir brauchen also eine Klimaanpassung anstatt die Bekämpfung des Klimawandels?

Wir brauchen beides, denn der Klimawandel geht ja immer weiter. Wir sollten so viel gegen die Erderwärmung tun wie nur irgendwie möglich. Gleichzeitig müssen wir uns darauf einstellen, mit der Erwärmung zu leben.

Wie soll das gehen?

Einerseits indem wir Unternehmen mehr Anreize geben, um in grünes Wachstum zu investieren. Andererseits braucht es die Zivilgesellschaft. Die Bürger sollen aktive Akteure sein und nicht Opfer von Klimaentscheidungen der Regierungen.

Ich sehe aber gerade etwas anderes: eine grosse Verdrängung des Themas. Das fängt beim besagten Fatalismus an und hört bei der angeblichen Klimalüge auf. Der soziale Sprengstoff ist riesig.

Ich kann Ihnen hier nicht widersprechen. Wir sehen bei diesem Thema eine starke Polarisierung. Aber es gibt auch andere Entwicklungen. In einem kleinen Dorf im deutschen Bundesland Rheinland-Pfalz hat sich der Gemeinderat einstimmig dafür entschieden, eine neue, innovative Heiztechnik für das ganze Dorf zu bauen.

Dennoch schreiben Sie selbst, dass der soziale Stress durch eine erwärmte Erde stärker werden dürfte. Was meinen Sie damit?

Extremes Wetter, der Anstieg des Meeresspiegels, all das bringt massive Zerstörungen mit sich. Mit der Klimaerwärmung sind existenzielle Verluste verbunden. Das führt zu Konflikten. Zu Verteilungskämpfen.

Fassen wir zusammen: Wir sind geliefert, also leben wir damit.

Nein, das wäre genau der Fatalismus, den ich zurückweisen möchte. Wir müssen uns auf die Erderwärmung einstellen, aber gleichzeitig die Optionen nutzen, die uns bleiben: Die Investitionen in grünes Wachstum verdreifachen und Klimamassnahmen nicht von oben herab bestimmen, sondern viel stärker unter Einbeziehung der Bevölkerung entstehen lassen.

Sie haben die Hoffnung also noch nicht verloren?

Für meine Kinder und zukünftige Generationen hoffe ich, dass wir bis ins Jahr 2100 Lösungen gefunden haben. Dass sich also die Dinge vielleicht doch anders entwickeln, als wir es heute annehmen müssen. Das ist natürlich eine sehr vage Hoffnung – etwas herbeizusehnen, wofür es eigentlich keine hinreichenden Hinweise gibt. Es ist eine Hoffnung, um nicht in Verzweiflung zu geraten. Eine Hoffnung, die ich am Ende nicht begründen kann.

Eine letzte Hoffnung, weil sonst nichts bleibt?

Es hat etwas Existenzialistisches, das ist sicher so. Aber es geht gerade auch darum, dass wir die kleinen Punkte suchen, wo wir noch Licht sehen – und gleichzeitig die unabwendbare Klimaerwärmung annehmen.

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