Donnerstag, April 3

Die ungewöhnliche Allianz von Liberalen und Linken hat sich auf einen Deal geeinigt: Die grosse Steuerreform soll 600 Millionen kosten. Die Zahl der Verlierer ist höher als geplant. Im Parlament wird es knapp.

In den letzten Tagen hat es nicht gut ausgesehen. FDP und SP haben sich die Schuld präventiv bereits gegenseitig zugeschoben für den Fall, dass ihr fragiles Gemeinschaftswerk, die Individualbesteuerung, scheitern sollte. Den grundlegenden Systemwechsel in der Fiskalpolitik wollen die Linken wie die Liberalen. Künftig sollen auch Ehepaare ihre Steuern wie zwei Einzelpersonen deklarieren und bezahlen.

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Die Vorlage steht politisch auf der Kippe, doch nun ist hinter verschlossenen Türen mutmasslich der Durchbruch gelungen. Nachdem die Reform bereits einmal erfolglos zwischen den beiden Kammern des Parlaments hin- und hergegangen war, hat am Dienstag die Wirtschaftskommission des Nationalrats die Diskussion fortgesetzt.

Zum ersten Mal hat die ungewöhnliche Allianz um SP und FDP einen Kompromiss zustande gebracht, den beide Lager unterstützen. Auch Grüne und GLP stehen dahinter. In der neuen Variante würde die Individualbesteuerung die Privathaushalte unter dem Strich um schätzungsweise 600 Millionen Franken im Jahr entlasten. Damit ist der Effekt bescheidener als anfänglich geplant. Die Vorlage des Bundesrats sah per saldo eine Reduktion der Steuerlast um knapp 800 Millionen vor. Die SP hatte jedoch von Beginn weg angekündigt, dass sie Steuerausfälle in diesem Ausmass nicht mittragen werde.

Traditionelle Familien sollen mehr zahlen

Die Schattenseite des neuen Deals: Die Zahl der Haushalte, die mit einer Steuererhöhung rechnen müssen, wird grösser ausfallen. Laut Schätzungen des Bundes werden 14 statt 11 Prozent aller Steuerpflichtigen von einer Mehrbelastung betroffen sein.

Auf höhere Steuerrechnungen müssen sich vor allem traditionell organisierte Familien einstellen, in denen ein Elternteil praktisch das gesamte Einkommen erzielt. Betroffen sind in dieser Gruppe vor allem die obersten 20 Prozent der Spitzenverdiener. Für sie kann die Mehrbelastung im Einzelfall bis zu 1500 Franken betragen. Ebenfalls stärker zur Kasse gebeten werden Alleinstehende mit und ohne Kinder. Hier trifft es vor allem die obersten 10 Prozent. Auch pensionierten Alleinstehenden in diesem Segment drohen Mehrbelastungen.

Auf der Gewinnerseite stehen insbesondere Doppelverdiener-Haushalte, in denen die Einkommen relativ gleichmässig auf die Partner aufgeteilt sind. Dies ist insofern naheliegend, als heute gerade diese Gruppe von einer «Heiratsstrafe» betroffen ist. Auch Doppelverdiener mit Spitzenlöhnen könnten mit der Reform eine Steuersenkung erwarten. Familien mit hohen Einkommen und hälftiger Aufteilung könnten mehrere tausend Franken im Jahr sparen.

Gesamthaft führt der Kompromissvorschlag für fast genau die Hälfte aller Steuerpflichtigen zu einer Entlastung. Somit sind die Nutzniesser gegenüber den «Opfern» klar in der Mehrheit. Für den Rest der Haushalte soll sich nichts ändern.

«Nicht das, was wir ursprünglich wollten»

Die Befürworter zeigen sich erleichtert, dass ein Kompromiss gelungen ist – das Zähneknirschen aber ist nicht zu überhören. «Das ist nicht das, was wir ursprünglich wollten», sagt die SP-Nationalrätin Céline Widmer, «wir sind sehr weit über unseren Schatten gesprungen, um die Vorlage mehrheitsfähig zu machen.»

Der SP gehen die Steuerausfälle eigentlich immer noch zu weit, zumal der Bundesrat ein Entlastungspaket mit Kürzungen vorantreibt, welche die Linke mehrheitlich ablehnt. Die Schmerzgrenze sei «mehr als erreicht», sagt Widmer. Aber die SP trage den Kompromiss mit, weil die Individualbesteuerung wichtig sei für die Gleichstellung.

Auf der anderen Seite findet der FDP-Nationalrat Beat Walti «bedauerlich», dass die Linke die Bundesratsvorlage nicht mittragen wollte. Er sei absolut davon überzeugt, dass die Steuerausfälle nach wenigen Jahren kompensiert wären, weil die Reform vor allem gut Ausgebildete motivieren würde, mehr zu arbeiten und folglich höhere Löhne zu versteuern.

«Jetzt produzieren wir mit der Reform etwas mehr Verlierer, die höhere Steuern bezahlen müssen.» Walti betont aber auch, der Kompromiss sei auf jeden Fall besser als nichts. Er sei zuversichtlich, dass die FDP den Vorschlag im Nationalrat geschlossen unterstützen werde. Die Debatte dort ist Anfang Mai geplant.

Im Ständerat wird es jetzt noch knapper

Läuft alles nach Plan, findet das Finale im Juni im Ständerat statt. Hier sind die Mehrheiten äusserst knapp, weil SVP und Mitte die Reform ablehnen. Im März trat der Ständerat nur mit 23 zu 22 Stimmen auf die Vorlage ein. Im Juni wird es für die Befürworter noch enger, weil der Schaffhauser SP-Ständerat Simon Stocker fehlen wird, nachdem das Bundesgericht seine Wahl annulliert hat.

Dennoch sollte die Reform eine Mehrheit finden, wenn sonst niemand fehlt. Die Befürworter profitieren davon, dass einer der ihren – der FDP-Ständerat Andrea Caroni – als Ratspräsident bei einem Patt den Stichentscheid hat. Bis es so weit ist, sind noch etliche Diskussionen zu erwarten. Wenn die genauen Zahlen zu den Steuererhöhungen vorliegen, wird sich zeigen, ob die FDP die Reform bis zum Ende geschlossen unterstützt.

Und selbst wenn sie gelingt, bleibt vieles unklar. Die Mitte, die SVP und die ebenfalls skeptischen Kantone könnten das Referendum ergreifen. Zudem hat die Mitte eine Initiative eingereicht, die faktisch das Gegenteil der Individualbesteuerung verlangt: Sie will die gemeinsame Besteuerung von Ehepaaren zementieren. Wenn zuerst die Individualbesteuerung angenommen wird und danach die Mitte-Initiative, gibt es ein Fest für Juristen.

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