Mittwoch, November 12

Um sich ihre Wiederwahl zu sichern, hat die Deutsche in ihrer programmatischen Rede versucht, möglichst viele Anliegen zu befriedigen. Der Effort hat sich gelohnt: Die 65-Jährige erhielt 401 von 707 Stimmen.

Ursula von der Leyen wird erneut Präsidentin der EU-Kommission – das war die Prognose der meisten EU-Parlamentarier am Donnerstagmorgen vor der Wahl in Strassburg.

Die 65-jährige Deutsche von der Europäischen Volkspartei (EVP) hat die Wiederwahl denn auch geschafft: Sie erhielt 401 Stimmen von den 7o7 wählenden Abgeordneten. Gegen sie sprachen sich 284 Parlamentarier aus. Somit wird sie die Kommission auch in den kommenden fünf Jahren leiten.

Das «Momentum» hatte sich in den vergangenen Wochen zunehmend zugunsten von der Leyens entwickelt. Prognosen über den Wahlausgang waren zwar schwierig, weil die Wahl geheim ist, was es kritischen Parlamentariern erleichtert, von der Parteilinie abzuweichen. Allgemein galt es aber schon vor der Wahl als sicher, dass zumindest die EVP, die Sozialdemokraten und die Liberalen (Renew) von der Leyen grossmehrheitlich unterstützen würden.

Des Sieges gewiss sein konnte von der Leyen trotzdem nicht. Die drei Parteien besetzen im Parlament zwar 401 von 720 Sitzen. Beobachter gingen vor der Wahl aber davon aus, dass die Abweichler in diesen drei Gruppen einen Anteil von zehn Prozent haben könnten. Einzelne EVP-Mitglieder hatten denn auch gesagt, sie würden von der Leyen nicht wählen.

Ein EU-Kommissar soll für mehr Wohnungen sorgen

Von der Leyen musste also im Vorfeld der Wahl versuchen, erstens möglichst viele Christlichdemokraten, Sozialdemokraten und Liberale zu gewinnen. Und um auf Nummer sicher zu gehen, benötigte sie zweitens Stimmen der Grünen und von der nationalkonservativen, teilweise rechtspopulistischen Fraktion EKR.

All diese Gruppen von links bis rechts bediente von der Leyen am Donnerstag in ihrer programmatischen Rede, für die sie teilweise starken Zwischenapplaus erhielt.

Die gemässigte Linke beispielsweise hatte vor der Wahl auf «sozialdemokratische Inhalte» gedrängt. Von der Leyen kam dieser Forderung nach, indem sie sagte, sie werde sich für mehr Tarifverhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern einsetzen.

Zudem befindet sich Europa laut von der Leyen in einer Wohnungskrise, von der Menschen jeden Alters und Familien jeder Grösse betroffen seien. Sie will deshalb einen Kommissar ernennen, der sich auch um den Immobilienmarkt kümmern soll. Die EU wird das Problem allerdings nicht lösen können, weil Wohnbaupolitik eine Angelegenheit der Mitgliedsländer darstellt und dort auch am besten aufgehoben ist.

Europa fehlt es an Wettbewerbsfähigkeit

Der eigenen Partei und den gemässigten Rechten kam von der Leyen derweil entgegen, indem sie in ihrer Rede eine «echte» europäische Verteidigungsunion forderte und das Thema der Wettbewerbsfähigkeit betonte. Diese hatte in den vergangenen Jahren gelitten. Ein Grund dafür ist das Gesetzeswerk Green Deal, das den Unternehmen viele neue Vorschriften aufgebürdet hat. Die grosse Promotorin des Green Deal, mit dem die EU bis 2050 netto klimaneutral werden will, ist allerdings ausgerechnet von der Leyen.

Retuschen am Green Deal hat die EU bereits vorgenommen, weitere werden folgen. Von der Leyen selbst will nun einen Clean Industrial Deal initiieren, der dazu beitragen soll, die relativ hohen europäischen Energiekosten zu senken.

Zudem ist die Auseinandersetzung um das «Verbrenner-Aus», also die Vorschrift, dass ab 2035 nur noch Autos in Betrieb genommen werden dürfen, die mit CO2-neutralem Kraftstoffen fahren, noch nicht beendet. Manfred Weber, der Chef der EVP, hat diesen Entscheid jüngst als «industriepolitischen Fehler» bezeichnet.

Zumindest Teile der Grünen waren aber bereit, die EVP-Politikerin von der Leyen trotzdem zu wählen. Ihnen dürfte bewusst sein, dass die Deutsche die «grünste» Kommissionspräsidentin ist, die sie bekommen. Dafür werden sie in den kommenden Jahren wohl aber manche Kröte schlucken müssen.

Es gab keinen Plan B

Hätte von der Leyen keine Mehrheit der Stimmen bekommen, wäre ihre politische Karriere zu Ende gewesen. Der Rat, also die Mitgliedsländer, hätte in diesem Fall laut EU-Vertrag einen «neuen Vorschlag» machen müssen, wie er das Präsidium der Kommission besetzen will.

Parlamentarier waren sich am Donnerstagmorgen nicht einig gewesen, ob es rechtlich zulässig gewesen wäre, nochmals von der Leyen zu präsentieren. Aber die Frage ist ohnehin theoretisch: Politisch wäre von der Leyen erledigt gewesen, und dem Rat wäre eine schwierige Kandidatensuche mit viel Kompromissarbeit bevorgestanden. Einen Plan B, sprich: eine Alternative zu von der Leyen, hat es nie gegeben – weder von der EVP noch vom Rat.

Von einem Szenario der Unsicherheit, das die EU für Monate gelähmt hätte, bleibt diese nun verschont. Das dürfte ein weiterer Grund sein, warum Parlamentsmitglieder verschiedener Couleur für von der Leyen gestimmt haben. Man wollte ein Bild der Einheit abgeben – gegenüber Kontrahenten in Russland, China und bei den Republikanern in den USA.

Zudem hätten auch die bei der EU-Wahl leicht stärker gewordenen Rechtsaussenparteien triumphiert, wenn es den Fraktionen der breiten Mitte nicht gelungen wäre, sich auf eine Kommissionspräsidentin zu einigen. Einen solchen Erfolg galt es aus Sicht jener Parlamentarier zu verhindern, die an der EU in ihrer jetzigen Form grundsätzlich festhalten wollen.

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