Montag, November 25

Ausschliesslich türkische Weine stehen im «Neolokal» auf der Karte, einheimische Traditionen werden in der Küche umgesetzt. Das Ein-Stern-Restaurant ist das wohl beste Lokal von Istanbul.

Auf die beiden bekanntesten türkischen Köche sind viele Istanbuler Gourmets nicht gut zu sprechen. Der auch in Zürich bekannte Fatih Tutak sei, so die Meinung einiger befragter türkischer Gastrojournalisten, einer, der es allen recht machen wolle; von einem Besuch seines mit zwei Sternen ausgezeichneten Restaurants raten sie ab. Und über Nusret Gökçe, den als Salt Bae bekanntgewordenen Promi-Gastronomen und salzstreuenden Angeber, müsse man erst gar nicht reden.

Dann lieber ins Restaurant Neolokal. Wo Maksut Aşkar mit seinem Team eine bis in die Haarspitzen verfeinerte türkische Küche präsentieren soll, ohne sich selbst in penetrantem Masse in Szene zu setzen. Ein Stern hat der Michelin verliehen; der Guide ist, was Istanbul angeht, eher zurückhaltend.

Der Blick auf Istanbul ist inbegriffen

Um ins «Neolokal» zu gelangen, muss man erst mal durch eine Sicherheitsschleuse. Ist nicht ungewöhnlich in der Türkei, zumal sich das Restaurant in einem ehemaligen Bankgebäude befindet, in dem auch eine Galerie und ein Café untergebracht sind. An der offenen Küche geht der auf Gourmetessen eingestellte Gast vorüber, eine Treppe hinauf, in einen mit Fenstern ausgestatteten, luftig wirkenden Raum. Viele Tische, viele Menschen, alles wirkt lebendig, und der Ausblick auf das nächtliche Istanbul trägt zur guten Laune aller Beteiligten bei.

Das Restaurant hat zudem was zu erzählen. Auf dem Tisch liegen Informationen zu den Signature Dishes und den Rebsorten, die im türkischen Weinbau Rollen spielen. Der für meinen Tisch zuständige Kellner gibt mündlich weitere Informationen. Muss er auch, denn so manche Zutat ist für mitteleuropäische Gaumen ungewöhnlich, und die Getränkekarte mit ausschliesslich türkischen Weinen lässt selbst erfahrene Geniesser ratlos zurück.

Traditionen und Texturen prägen das Menu

Spektakulär ist die Küche nicht, aber durchdacht. Sehr durchdacht. Türkische Zutaten und Traditionen werden klug interpretiert, mit dezenter Schärfe und Säure versehen, mit Umaminoten ergänzt. Butter mit Petersilie und Steinpilzpuder sowie hausgebackenes Brot sind ein guter Einstieg, die Aubergine İmam bayıldı ist ein knusprig-cremig abgewandelter Klassiker der türkischen Küche, hier mit Olivenöl, Tomaten und grünem Pfeffer bereichert.

Noch besser schmeckt der lediglich kurz marinierte Bonito mit einer sogenannten Lion’s Milk, einer cremigen, leicht süssen, den Fisch aber nicht überdeckenden Sauce; das tolle Pistazientatar fügt einen süffigen Kontrast hinzu, Apfel und Jalapeño sorgen einerseits für Frucht, andererseits für dezente Schärfe. Das ist unterm Strich besser als fast alle auf Basis von Thunfisch und Hamachi in deutschen oder Schweizer Küchen angebotenen Zubereitungen. Ein Stern? Ach was, zwei Sterne!

Ein bisschen Show beim Signature Dish

Vor dem nächsten Gang naht der Kellner mit Kopfhörern und iPad. Ein Film wird gezeigt über das, was nun kommt, professionell bebildert, von der Idee bis zur Präsentation. Muss das sein? Nein. Aber es schadet auch nicht. Die Morchel-Teigtasche mit Pilzsauce, Pilzcreme und Pilzleder schmeckt gut, kommt aber nicht ganz an den Fischgang heran.

Den ersten Fischgang, um genau zu sein, denn es kommt ja noch – ohne Kopfhörer – der pochierte Blaufisch mit einer Gemüsecreme, einer Seafood-Wurst sowie gerösteten Haselnüssen. Auch hier wieder eine selbstbewusste, elegante Umrahmung des perfekt gegarten Filets, und jene Spur von Rustikalität in Form der Wurst macht die Sache erst spannend. Auch in diesem Falle: zwei Sterne.

Süsse und Frische werden auch im Fleischgang klug eingesetzt

Das Sauerampfer-Sorbet leitet über zum Fleisch. Sous-vide gegartes Lamm aus Stücken der Vorderläufe, mit Fleischbällchen und einer aus Lammbauch zubereiteten Variante des Innereiengerichts Kokoreç, dazu eine Creme aus süssen Bohnen, Zwiebeln, Ei und Tahini, die auf einen klassischen Bohnensalat namens Piyaz anspielt; Kräuteröl setzt Frische-Akzente. Wiederum: zwei Sterne.

Das Dessert aus Olivenöl-Salbei-Eis, Gel von Zitronen und einem filigranen Feuilleté mit weisser Schokolade fällt nicht ab, bleibt frisch, verhalten süss, aber auch leicht salzig und bitter. Dazu ein paar filigrane Süssigkeiten, im Karton zum Mitnehmen angeboten. Eine verblüffend konstante Leistung, vom Brot bis zu den Petits fours. Dass der Küchenchef nicht an den Tisch kommt, ist zu verschmerzen.

Auf einen Blick

Adresse

Neolokal, Salt Galata, Bankalar Caddesi, Karaköy, 34420 Istanbul

Preise

Das Abendmenu kostet umgerechnet 136 Franken plus 12 Prozent Service; Weine gehen extra.

Bewertung durch den Gastrokritiker*

Küche: 9/10, Gastkultur: 9/10

Anmerkung: Die Bewertungen orientieren sich an der denkbaren Höchstnote von 10 Punkten. Die Note für die Küche betrifft ausschliesslich die Qualität der Speisen, jene für Gastkultur umfasst sämtliche übrigen Aspekte eines Restaurantbesuchs.

Exit mobile version