Dienstag, Oktober 8

Die Politik muss aufs Geld schauen. Im Fokus steht unter anderem die internationale Zusammenarbeit. Die Hilfswerke haben Angst. Zu Recht?

Die Schweiz ist für ihre stabilen Finanzen und tiefen Schulden bekannt. Doch sogar hier ist eins gewiss: Bei jeder Sparmassnahme gibt es ein politisches Geheul. Und zwar unabhängig davon, ob sie Sinn ergibt oder nicht. Niemand verzichtet gerne. Gegenwärtig gibt es daher viel Geheul in der Schweizer Politik. Denn der Bund läuft auf ein strukturelles Defizit zu, der Spardruck ist hoch, die Sparbereitschaft klein.

Das zeigte sich auch diese Woche wieder. Am Donnerstag publizierte der Bundesrat das Budget 2025 mit dem integrierten Aufgaben- und Finanzplan für die Jahre 2026 bis 2028. Dieser gibt einen Überblick über die geplanten Geschäfte. Kaum war das Dokument online, verschickte Alliance Sud eine Medienmitteilung. Der Bundesrat «schwäche» sowohl die Ukraine als auch den globalen Süden.

Alliance Sud ist die Lobbyorganisation der Schweizer Hilfswerke. Sie hatte in den letzten Monaten viel zu tun, denn wenn es ums Sparen geht, denken viele Bürgerliche zuerst an die Entwicklungshilfe. Insgesamt plant der Bundesrat für die nächsten vier Jahre rund 11 Milliarden für die internationale Zusammenarbeit (IZA) ein. Doch die Entwicklungshilfe ist von verschiedenen Seiten unter Druck. Einerseits von der Landesregierung selbst, andererseits vom Parlament.

Schweizer Firmen profitieren

Im April kommunizierte Aussenminister Ignazio Cassis, er wolle 1,5 Milliarden Franken abzwacken, um die Wiederaufbauhilfe der Ukraine zu finanzieren. Alliance Sud protestierte, dieser Entscheid gehe auf Kosten anderer Länder in Not. Die Entwicklungszusammenarbeit werde «ausgeblutet». Im Juni dann präzisierte der Bundesrat, ein Drittel der Wiederaufbauhilfe (500 Millionen Franken) solle über Schweizer Unternehmen in die Ukraine fliessen. Das überrascht nicht: Die Schweiz will zwar keine Industriepolitik betreiben. Es war aber lange im Sinne von Cassis und auch von Wirtschaftsminister Guy Parmelin, Schweizer Unternehmen in die internationale Zusammenarbeit einzubinden.

Im aktuellen Fall ist die Idee, Arbeitsplätze in der Ukraine zu sichern und Expertise aus der Schweiz in die Ukraine zu transferieren, beispielsweise über Ausbildungsprogramme. Das erklärte Helene Budliger Artieda, Direktorin des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), kürzlich gegenüber SRF. Bis heute gebe es Schweizer Firmen, die durchgehalten hätten und weiterhin in der Ukraine tätig seien, so Budliger Artieda: «Diese wollen wir stärken.»

Ein Beispiel: Braucht die Ukraine Panzerglas für Kindergärten oder Spitäler, könnte das Land dieses bei der Schweizer Firma Trösch bestellen, die einen Standort in der Ukraine hat. «Der Staat würde dann die erste Bestellung finanzieren, als eine Art Versicherung», so Budliger Artieda. So stelle man sicher, dass das Geld sicher in der Ukraine ankomme.

Bei Andreas Missbach von Alliance Sud kommt das schlecht an. Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) hätte dadurch 500 Millionen Franken weniger zu verteilen, das könnte auch Auswirkungen auf die Hilfswerke und ihre Projekte haben. Missbach geht es, wie er sagt, aber vor allem um die Menschen in den betroffenen Ländern: «In der Ukraine gibt es auch Glasproduzenten», sagt er. Daher wäre es fairer, Fenster und andere Bestellungen normal auf dem freien Markt auszuschreiben. Sonst drohten Schweizer Firmen die ukrainischen Unternehmen zu konkurrenzieren und die Preise hochzutreiben.

Tatsächlich entsprechen sogenannte «gebundene Hilfen» weder der Strategie der Schweizer Entwicklungshilfe noch den Standards der OECD und der WTO. Laut Budliger Artieda handelt es sich bei der Wiederaufbauhilfe aber nicht um klassische Entwicklungshilfe. Der Bund wolle einen entsprechenden Staatsvertrag mit der Ukraine ausarbeiten.

Alles kommt im Dezember zusammen

Das letzte Wort hat das Parlament. Und hier gibt es noch viele offene Fragen. Eigentlich wollte die Aussenpolitische Kommission des Ständerats diese Woche den Zahlungsrahmen der internationalen Zusammenarbeit verabschieden. Doch auch sie hat offenbar Zweifel, ob ein Staatsvertrag als rechtliche Grundlage für die Wiederaufbauhilfe via Schweizer Firmen reicht. Sie wolle in «voller Transparenz und in Kenntnis der Sachlage» entscheiden, schrieb sie in einer Medienmitteilung und hat die Beratung vertagt. Aussenminister Ignazio Cassis muss jetzt Informationen nachliefern.

Daher sieht es ganz danach aus, dass sich das Parlament erst im Dezember darüberbeugt. Das wird anspruchsvoll. Denn in der Wintersession werden die Räte auch über das Budget und den Zahlungsrahmen für die Armee für die nächsten vier Jahre befinden. Die Finanzierung der Verteidigungsfähigkeit ist angesichts der geopolitischen und der angespannten finanziellen Lage eines der grossen ungelösten Probleme dieser Zeit. Damit die Streitkräfte im Kriegsfall gerüstet wären, müsste das Armeebudget in den Jahren 2025 bis 2028 um 4 Milliarden Franken auf 29,8 Milliarden Franken angehoben werden.

Ob und wie man diese Summe aufbringen soll, sorgt seit Monaten für angespannte Diskussionen nicht nur zwischen links und rechts, sondern auch innerhalb der Bürgerlichen. Die nationalrätliche Sicherheitskommission war sich letzte Woche so uneinig, dass sie den Zahlungsrahmen für die Armee sogar ablehnte. Spätestens in der Wintersession wird sich dann zeigen, ob sich die bürgerliche Mehrheit zusammenrauft und einen Kompromiss findet. Eine der diskutierten Ideen hätte direkte Auswirkungen auf Alliance Sud: Der Ständerat möchte 2 Milliarden von der Entwicklungszusammenarbeit in die Armee verschieben.

Für Alliance Sud wäre das eine Katastrophe: «Die Entwicklungszusammenarbeit bekämpft die Ursachen von Konflikten und trägt zur Sicherheit bei», sagt Andreas Missbach, «sie zu kürzen, wäre kontraproduktiv.» Vielleicht könnte man das Sparprogramm auch als Chance sehen. Toni Stadler hat 25 Jahre lang in der Entwicklungszusammenarbeit gearbeitet, auch für die Deza. Letztes Jahr schrieb er in einem Gastbeitrag der NZZ, die Entwicklungshilfe könne mit weniger Geld gleich viel Menschlichkeit in armutsbetroffenen Ländern schaffen: «Der Schweizer Auslandhilfe fehlt es nicht primär an Geld, es fehlt am Mut zu Effizienz.»

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