Die palästinensische Terrororganisation meldet die Tötung ihres Anführers in der iranischen Hauptstadt. Die genauen Umstände des Anschlags sind noch unklar. Die Hamas spricht von einem israelischen Angriff auf Haniyas Residenz.

Nun hat es auch den Hamas-Chef erwischt. Nur wenige Stunden nachdem der Hizbullah-Kommandant Fuad Shukr Ziel eines israelischen Drohnenangriffs in der libanesischen Hauptstadt Beirut geworden war, wurde Ismail Haniya bei einem Anschlag in Teheran getötet. Der Politbüro-Chef der islamistischen Palästinenserorganisation hatte am Dienstag im Parlament der Amtseinführung des neugewählten iranischen Präsidenten Masud Pezeshkian beigewohnt.

Für das iranische Regime ist die Tötung mitten in ihrer Hauptstadt eine Demütigung und ein bemerkenswertes Versagen der Geheimdienste. Nur Stunden vor seiner Tötung war Haniya vom Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei empfangen worden. Wie das iranische Regime mitteilte, kam Haniya am frühen Morgen bei einer Attacke auf seine Residenz ums Leben. Mit ihm wurde einer seiner Leibwächter getötet. Die genauen Umstände des Angriffs waren aber unklar.

Die iranischen Revolutionswächter gaben an, den Vorfall zu untersuchen und später mehr Details zu veröffentlichen. Iranische und arabische Medien berichteten unter Berufung auf Quellen in Teheran, Haniyas Residenz sei von einer Raketen getroffen worden, die von ausserhalb Irans abgefeuert worden sei. Allerdings gab es zunächst weder in den Medien noch in den sozialen Netzwerken Fotos oder Videos von einer Explosion, die einen Raketenangriff belegen würde.

Alternativ wurde über einen Angriff mit Schusswaffen spekuliert. Sollte es dem israelischen Geheimdienst tatsächlich gelungen sein, mitten in Teheran mit Agenten in die unmittelbare Nähe Haniyas zu gelangen, wäre dies noch ein grösserer Coup als ein Raketenangriff. Es wäre aber nicht das erste Mal, dass Israel ein Anschlag in Iran gelungen ist. So hat Israel über die Jahre mehrere Atomforscher ermordet, darunter Mohsen Fakhrizadeh, den Leiter des iranischen Atomprogramms.

Noch hat sich niemand dazu bekannt

Noch hat sich niemand zu dem Angriff bekannt. Im Gegensatz zum Drohnenanschlag vom Dienstag auf Shukr, für den Israel sofort die Verantwortung übernahm, äusserte sich die Regierung in Jerusalem bisher nicht zu dem Anschlag in Teheran. Die Hamas und Iran machten aber sofort ihren Erzfeind verantwortlich. Das Regime in Teheran drohte mit Vergeltung. Der Sprecher des iranischen Aussenministeriums sagte, Haniyas Blut werde nicht umsonst vergossen worden sein.

Haniya galt als einer der wichtigsten Führer der Hamas. Der 62-Jährige, der im Gazastreifen geboren wurde, war seit sieben Jahren Chef des Politbüros und stand der Organisation somit nominell vor. Zuvor war der gelernte Literaturwissenschafter kurzzeitig Ministerpräsident der palästinensischen Regierung, ehe er in der Hamas aufstieg, mehrere Jahre lang deren Regierung in Gaza leitete und 2017 schliesslich an ihre Spitze gewählt wurde.

Jüngst war Haniya, der die meiste Zeit in der katarischen Hauptstadt Doha lebte und dort der Exilführung der Hamas vorstand, massgeblich an den Verhandlungen über ein Waffenstillstandsabkommen in Gaza beteiligt. Haniya ist das bisher höchstrangige Hamas-Mitglied, das seit dem Terrorangriff auf Israel vom 7. Oktober einer gezielten Tötung zum Opfer fiel. Im Januar war bereits der Vizechef der Terrorgruppe, Saleh al-Aruri, bei einem Drohnenangriff in Beirut getötet worden.

Die Hamas schwört Rache

Allerdings ist fraglich, wie viel Einfluss Haniya zuletzt noch in der Hamas hatte. Denn die Machtverhältnisse innerhalb der Organisation haben sich in den letzten Jahren verschoben – weg von der Exilführung in Katar, hin zu jüngeren, radikaleren Anführern in Gaza wie Yahya Sinwar. Sinwar, der seit 2017 der Hamas im Küstenstreifen vorsteht, gilt als eigentlicher Kopf hinter dem Angriff vom 7. Oktober. Ob Haniya überhaupt im Vornherein darüber informiert war, ist unklar.

Trotzdem ist der Tod Haniyas für die Hamas ein schwerer Schlag. Dass er ausgerechnet in Teheran, der Hauptstadt des mächtigen Hamas-Verbündeten Iran, stattfand, zeigt, dass selbst hochrangige Exilführer der radikalen Islamisten nicht mehr sicher sind. Im Gegensatz zum in Beirut getöteten Aruri wird Haniya zudem nicht dem militärischen, sondern dem politischen Flügel der Organisation zugerechnet.

Zwar schwor die Hamas umgehend Rache für den Tod ihres Anführers. Doch die Mittel für einen solchen Gegenschlag dürften begrenzt sein. Die Hamas wird daher eher auf eine Antwort ihrer Verbündeten Iran und Hizbullah hoffen. Die libanesische Schiitenmiliz hatte bereits in der Nacht Vergeltung für den Angriff auf Shukr angekündigt. Iranische Stellen wiederum meldeten, Teheran werde den demütigenden Angriff in seiner Hauptstadt nicht unbeantwortet lassen.

Das Ende einer blutigen Nacht

Welche Folgen der Tod Haniyas haben wird, ist unklar. Die stockenden Verhandlungen über einen Waffenstillstand in Gaza wird er wohl kaum voranbringen. Allerdings war die Islamistengruppe auch nach dem Tod ihrer Nummer zwei, Saleh al-Aruri, weiter zu Gesprächen bereit. Der Hamas ist es zudem schon oft gelungen, getötete Kaderleute zu ersetzen.

Weitaus gefährlicher sind daher wohl die Umstände, unter denen die Tötung stattgefunden hat. Denn der Angriff auf den Politbüro-Chef kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die Lage im Nahen Osten sowieso schon zum Zerreissen gespannt ist und viele eine Eskalation fürchten. Dass Haniya zudem ausgerechnet in Teheran getötet wurde – und dies auch noch am Ende einer für Iran und seine Verbündeten blutigen Nacht – dürfte ebenfalls nicht gerade zur Beruhigung beitragen.

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