Mittwoch, Oktober 2

Bei einem Angriff in Syrien am Sonntag waren wohl nicht nur Raketen, sondern auch israelische Bodentruppen involviert. Die Operation fand offenbar in einer von Iran unterstützten Forschungseinrichtung statt.

Zunächst war nur von einem israelischen Luftangriff die Rede. So meldete die syrische Nachrichtenagentur «Sana» am Montag, dass bei dem Angriff am späten Sonntagabend nahe der Stadt Masyaf im Westen Syriens 18 Menschen getötet und Dutzende weitere verletzt worden seien. Nun jedoch verdichten sich die Hinweise, dass bei der mutmasslich israelischen Operation nicht nur Raketen, sondern auch Bodentruppen zum Einsatz gekommen sind. Dies legen mehrere unbestätigte Berichte nahe.

Treffen diese zu, hätte der Einsatz eine gewisse Brisanz – es wäre die erste israelische Bodenoperation gegen Ziele in Syrien seit Jahren. Zwar führt Israel seit Jahren immer wieder Angriffe auf syrischem Staatsgebiet durch. Diese gelten hauptsächlich den Bestrebungen Irans, seine militärische Präsenz in Syrien auszubauen und von dort verbündete Milizen wie die libanesische Schiitenmiliz Hizbullah zu unterstützen. Nun stellt sich allerdings die Frage, ob Israel in seinem Kampf gegen die iranisch geführte «Achse des Widerstands» in eine neue Phase übergegangen ist. Was ist über die waghalsige Aktion bekannt?

Aus Helikoptern abgeseilt

Der Angriff galt einer Forschungseinrichtung nahe der Stadt Masyaf, 40 Kilometer von der libanesischen Grenze und 200 Kilometer von Israel entfernt. Der Einsatz begann offenbar am vergangenen Sonntag um 23 Uhr Ortszeit mit Angriffen auf der Luft. Dies berichtet die Nahost-Expertin Eva J. Koulouriotis, die sich auf eine Quelle aus Sicherheitskreisen bezieht. Zunächst seien die Zufahrtsstrassen zur Anlage sowie mehrere Sicherheitseinrichtungen bombardiert worden. Laut dem Nachrichtenportal «Syria Weekly» handelte es sich dabei um mindestens vier Stellungen syrischer Regierungstruppen.

Danach hätten sich israelische Spezialkräfte aus Helikoptern, die kurz zuvor vom Mittelmeer kommend in den syrischen Luftraum eingedrungen waren, abgeseilt und seien in die Anlage eingedrungen. Dort sollen sie Ausrüstung und Dokumente beschlagnahmt haben, während sie von Kampfhelikoptern und Drohnen gegen nachrückende syrische Truppen gedeckt wurden. Anschliessend hätten die Spezialkräfte die Anlage von innen vermint, zerstört und sich zurückgezogen. Der ganze Einsatz soll rund eine Stunde gedauert haben. Ein oppositioneller syrischer Fernsehsender berichtete zudem, dass zwei bis vier iranische Staatsbürger gefangen genommen worden seien.

Die Bodentruppen seien aufgrund der Komplexität der Operation und zur Gewinnung von Informationen zum Einsatz gekommen, berichtet die «New York Times», die sich auf Aussagen von amerikanischen und anderen westlichen Beamten stützt. Das Nachrichtenportal «Axios» schreibt mit Verweis auf drei mit dem Einsatz vertraute Quellen, dass der Einsatz von der Eliteeinheit «Shaldag» der israelischen Luftwaffe durchgeführt worden sei.

Iranische Anlage für Präzisionsraketen zerstört

Bei der angegriffenen Forschungseinrichtung handelt es sich offenbar um das Scientific Studies and Research Center (SSRC) der syrischen Regierung. Die riesige Anlage erstreckt sich über die Vororte der Stadt Masyaf bis in benachbarte Täler und Kleinstädte. Vor Beginn des Bürgerkrieges im Jahr 2011 diente das SSRC laut den USA unter anderem zur Herstellung von Chemiewaffen wie dem Kampfstoff Sarin. Heute jedoch wird die Einrichtung gemäss Experten vor allem dazu genutzt, mit iranischer Unterstützung ballistische Raketen oder Marschflugkörper herzustellen.

Laut «Axios» begann Iran im Jahr 2018 gemeinsam mit Syrien und dem Hizbullah mit dem Bau einer unterirdischen Anlage zur Raketenproduktion auf dem Gelände des SSRC. Zuvor hatten israelische Luftangriffe einen Grossteil der iranischen Raketenfabriken in Syrien zerstört. Auch die Anlage bei Masyaf war in der Vergangenheit mehrfach Ziel israelischer oder Israel zugeschriebener Luftangriffe gewesen. Doch vor fünf Jahren hätten israelische Geheimdienste den unterirdischen Komplex entdeckt und realisiert, dass er nicht durch einen Luftangriff zerstört werden könne. Augenscheinlich hat Israel nun den Zeitpunkt als günstig erachtet, die Anlage unschädlich zu machen.

Die Nahost-Expertin Koulouriotis sieht allerdings nicht die Zerstörung der unterirdischen Anlage, sondern die mutmassliche Beschlagnahmung von Dokumenten als primären Zweck der Operation. Der Inhalt der Papiere könne Israel wichtige Informationen über die militärischen Fähigkeiten des Hizbullah liefern, der seit Monaten einen Grenzkrieg gegen Israel führt. Sie sieht die Sonderoperation in Syrien als «eine wichtige Entwicklung in der jüngst eskalierenden Situation im Nahen Osten». Die Geschehnisse in Masyaf könnten auf eine bevorstehende Eskalation in Syrien oder in Libanon hinweisen.

Israel hat weder den Luftangriff noch die Berichte über den Einsatz von Bodentruppen kommentiert. Auch aus Iran oder Syrien kam bisher kein Kommentar.

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