Dienstag, März 4

Das Basler Unispital verzichtet auf einen ikonischen neuen Turm. Das ist Ausdruck der schweren Krise der ganzen Branche.

Nur das Beste war gut genug. Das Universitätsspital Basel (USB) liess sich von den Stararchitekten Herzog & de Meuron einen Turm entwerfen, der das Stadtbild geprägt hätte. Doch so weit kommt es nicht, zumindest vorerst: Kürzlich vermeldete das USB in einem Communiqué, dass es auf den ikonischen und teuren Bau verzichtet.

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Realisiert wird nur das horizontal ausgerichtete Gebäude, das den Sockel des Turms hätte bilden sollen. So will das Spital 200 Millionen Franken sparen – und innerhalb des selbst gesetzten Investitionsrahmens von 1,7 Milliarden Franken für das gesamte Neubauprojekt bleiben.

Es ist ein Entscheid der Vernunft. Branchenbeobachter und Politiker hatten in den letzten Jahren immer wieder kritisiert, dass das Gebäude überdimensioniert und aus der Zeit gefallen sei. 2023 hat das USB einen Verlust von 50 Millionen Franken eingefahren. Und ist damit in schlechter Gesellschaft: Etwa zwei Drittel der Schweizer Spitäler schreiben rote Zahlen, zusammen erwirtschafteten sie im vorletzten Jahr Defizite in der Höhe von rund einer Milliarde Franken.

Gebäude aus den siebziger Jahren

Einer der Gründe für die finanzielle Krise sind die hohen Investitionen in Beton, also in stationäre Infrastrukturen. Viele der Schweizer Spitalgebäude stammen oder stammten aus den siebziger Jahren. Deshalb begann vor rund fünfzehn Jahren eine rege Bautätigkeit. Das Beratungsunternehmen PwC schätzte 2010, dass es in den kommenden Jahrzehnten ein Investitionsvolumen von rund 20 Milliarden brauche, um einen Grossteil der Spitäler zu modernisieren.

Christian Elsener ist Berater für Infrastruktur- und Immobilienmanagement und auf das Gesundheitswesen spezialisiert. Er schätzt, dass bereits mehr als die Hälfte des von PwC prophezeiten Betrags verbaut worden ist – und dass man am Ende eher bei 30 als bei 20 Milliarden Franken landen wird.

Das Problem ist, dass das Gesundheitswesen mitten in einem fundamentalen Wandel steckt. Und dass es deshalb schwierig bis unmöglich sein wird, die hohen Investitionen wieder einzuspielen. «Die Spitäler bauen weiterhin das, was sie in der Vergangenheit brauchten», sagt Elsener. So entstehen vielerorts Überkapazitäten.

Patienten bleiben weniger lang

Der Bedarf an Betten sinkt schon lange. Laut dem Spitalverband H+ erreichte die Gesamtzahl der im Spital verbrachten Tage in den achtziger Jahren ihren Höhepunkt mit über 20 Millionen und halbierte sich bis 2015. Dies, obwohl die Zahl der Hospitalisierungen stark angestiegen ist, auch wegen des Bevölkerungswachstums. Dieses Phänomen wurde jedoch mehr als wettgemacht durch den Umstand, dass der einzelne Patient viel weniger lang im Spital bleibt. Die Spitäler sind also deutlich effizienter geworden.

Doch viele von ihnen haben sich schlecht eingestellt auf die Ambulantisierung. Dank Fortschritten in der Medizin können Operateure heute immer mehr Eingriffe so durchführen, dass die Patienten noch am gleichen Tag nach Hause dürfen. Das Potenzial ist riesig: Während in den USA oder in Kanada rund 80 Prozent der Operationen ambulant erfolgen, sind es in der Schweiz erst rund 20 Prozent.

Eines der grössten Hindernisse für die Ambulantisierung hat die Schweizer Stimmbevölkerung im letzten November mit dem Ja zur einheitlichen Finanzierung (Efas) aus dem Weg geräumt. Ambulante Operationen sind zwar deutlich günstiger, aber bis jetzt hatten die Krankenkassen keinen Anreiz, sie zu fördern. Denn bei stationären Behandlungen übernimmt der Kanton den grösseren Teil der Kosten.

Mit Efas ändert sich das bald: Der Kanton bezahlt künftig 26,9 Prozent einer Operation, die Krankenkasse 73,1 Prozent, unabhängig davon, wo der Eingriff erfolgt. Das dürfte den Trend hin zu ambulanten Behandlungen noch verstärken – und damit viele der neu gebauten Bettenstationen überflüssig machen.

Es fehlt das Personal

Begonnen hat die Forcierung ambulanter Eingriffe schon vor einigen Jahren. Gefördert haben sie die kantonalen Gesundheitsdirektoren und das BAG mit Listen von Operationen, die nur im Ausnahmefall mit Übernachtungen im Spital kombiniert werden dürfen. Ein wichtiger Treiber ist jedoch auch der Fachkräftemangel: Viele Spitäler finden gar nicht mehr genug Pflegende, die sich um die Patienten kümmern könnten. So müssen sie Bettenstationen schliessen und das Angebot herunterfahren, mit einschneidenden finanziellen Konsequenzen.

Die Spitäler haben zwar antizipiert, dass es wegen der Alterung der Babyboomer zu einer erhöhten Nachfrage nach medizinischen Leistungen kommen dürfte. Doch sie haben unterschätzt, dass es mit dem Ausscheiden dieser Generation aus dem Arbeitsmarkt zu einer grossen Lücke kommen könnte. Ambulante Behandlungen sind auch deshalb attraktiver, weil sie weniger personalintensiv sind als ein 24/7-Betrieb.

Glück haben die Gesundheitsinstitutionen, die wie das Basler Unispital ihre Infrastrukturen erst jetzt erneuern müssen – und die damit aus den Fehlern der Spitäler, die früher dran waren, lernen können. Florian Schmid, Gesundheitsexperte beim Beratungsunternehmen KPMG, stellt ein Umdenken fest. «Die Zeiten, in denen die Spitäler in einer Wachstumseuphorie waren und Kosten von Neubauten eine untergeordnete Rolle spielten, sind vorbei.»

Manche Spitäler würden deshalb nun ihre Pläne für einen Ausbau der stationären Infrastruktur redimensionieren oder auch Neubauten grundsätzlich überdenken. Dabei handle es sich in der Mehrzahl um eher kleinere Spitäler, sagt Schmid. Aber es gibt auch unter den Grossen einige Nachzügler wie das Luzerner Kantonsspital oder das Kantonsspital Baselland (KSBL). Dieses ist zwar finanziell angeschlagen und musste vom Kanton ein Darlehen von 150 Millionen Franken aufnehmen. Dennoch wälzt das KSBL Pläne für einen Neubau in Pratteln, der bis zu 870 Millionen Franken kosten soll.

Biel und Oberwallis als Ausnahmen

Einige Spitäler haben sich schon stark auf die Medizin der Zukunft ausgerichtet. So das Spital Biel, das beim Bahnhof ein Zentrum für ambulante Operationen errichtet hat und dieses laufend weiter ausbaut. Der Neubau des Spitals im Vorort Brügg hingegen wird bewusst kleiner ausfallen als das heutige Areal am Hang oberhalb von Biel. Ein anderes Beispiel ist das Spitalzentrum Oberwallis, das stark auf ambulante Behandlungen setzt.

Noch sind dies Ausnahmen. Denn Operationen ohne Spitalübernachtung sind vorläufig ein Verlustgeschäft. Der Verband H+ schlug am Donnerstag in einem Communiqué Alarm: Die finanzielle Lage der Schweizer Spitäler sei dramatisch. Die Tarife im ambulanten Bereich seien so tief, dass eine Unterdeckung von 25 Prozent bestehe. Das würden neue Zahlen des Vereins Spitalbenchmark zeigen.

«Statt sich auf die medizinische Versorgung zu konzentrieren, müssen die Spitäler um das finanzielle Überleben kämpfen», erklärt die Verbandsdirektorin Anne-Geneviève Bütikofer. Sie fordert deshalb den Bund, die Kantone und die Krankenkassen auf, die Vergütungen sofort zu erhöhen. Sonst könnten die Spitäler die notwendigen Gewinne für einen nachhaltigen Betrieb schlicht nicht erwirtschaften.

Auch der Berater Elsener sagt: «Bei attraktiven ambulanten Tarifen würde die Verlagerung sehr viel rascher vorangehen und die Investitionen würden entsprechend stärker auf das ambulante Geschäft und die Digitalisierung ausgerichtet.»

Vielleicht kommt der Turm doch

Doch selbst wenn H+ mit den Forderungen durchdringen sollte: Die wirtschaftlichen Nöte führen möglicherweise dazu, dass manche Spitäler bankrottgehen und es zu einer stärkeren Konzentration im Gesundheitswesen kommt – besonders bei komplizierten Eingriffen. Wenn sie eine grössere Zahl von Patienten aus ihrem Einzugsgebiet behandeln müssen, könnten die grossen Spitäler wieder Bedarf für einen Ausbau ihrer stationären Infrastrukturen haben.

Deshalb hält sich auch das Unispital Basel die Option offen, den Herzog-&-de-Meuron-Turm irgendwann doch noch auf den Gebäudesockel zu stellen. Denn, wie das USB in seinem Communiqué schreibt: «Aus Qualitäts- und Kostenüberlegungen setzt sich ein patientenzentrierter Versorgungsablauf durch, der eine dezentrale Grundversorgung nahe am Wohnort mit leistungsfähigen Zentren für hochkomplexe und schwere Fälle kombiniert.»

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