Donnerstag, Dezember 26

Die Slowenin hält den Punkterekord im Gesamtweltcup. Neun Jahre nach ihrem letzten Rennen spricht Maze darüber, weshalb sie die Skikarriere fast ihre Liebesbeziehung gekostet hat.

Es ist das erste Mal seit 36 Jahren, dass die Schweiz sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern den Gesamtweltcup gewinnen könnte. Wie schätzen Sie die Leistung von Marco Odermatt und Lara Gut-Behrami ein?

Beim Saisonstart in Sölden wurde ich gefragt, wer die grosse Kugel gewinnen könnte. Ich sagte: Bei Marco ist es für mich ziemlich klar, dass er auf diesem Level weiterfahren wird. Er hat keine Motivationsprobleme wie andere, nachdem er eine oder zwei Kugeln gewonnen hat. Er geniesst es einfach, Ski zu fahren.

Und was haben Sie bei den Frauen prophezeit?

Dass Lara ein tolles Duell mit Mikaela Shiffrin haben könnte. Ich freue mich sehr für Lara. Sie ist anders als früher. Sie war sehr aufgeschlossen und kommunikativ, aber wenn du für so viele Dinge verfügbar bist, verlierst du Zeit für dich. Das hat sie gelernt. Sie nutzt all ihre Energie für sich und den Sport. Es ist der richtige Weg. Diese lange Karriere mit allen Veränderungen, da kann ich nur gratulieren – ihr, dem Team, der Familie.

In dieser Saison gab es im Weltcup ausserordentlich viele Verletzte. Sie sagten schon während Ihrer Karriere, dass die Skifahrer über ihr Limit hinausgingen. Ist es das, was zurzeit passiert?

Meiner Meinung nach ist der Fokus am falschen Ort, nicht nur im Skifahren, generell im Leben. Die Leistung verliert an Wichtigkeit. Wir starren in unsere Telefone, sind ständig vernetzt, schreiben E-Mails und Nachrichten, und das alles nimmt so viel wertvolle Zeit in Anspruch. Vorher haben wir diese Zeit genutzt, um zum Beispiel über den Tag nachzudenken: Was war gut, was kann ich besser machen? Das passiert heute weniger. Für mich ist das der Hauptgrund, dass so viele Fehler passieren, nicht nur im Sport, auch im Verkehr. Im Skifahren den Fokus zu verlieren, ist riskant. Meine Leistung sank um 20 Prozent, nachdem ich begonnen hatte, ein Smartphone zu nutzen.

War das ein Gefühl oder in Werten messbar?

Es war mehr ein Gefühl. Vielleicht bin ich in dieser Hinsicht sehr sensibel, aber ich spürte es. Ich war als Skifahrerin sehr ehrlich und streng mit mir. So fiel mir auf, wenn ich nicht bei 100 Prozent war. Etwa, wenn es neblig war oder ich am Tag davor lange ferngesehen hatte, auf Social Media Kommentare gelesen und mir Gedanken über neue Posts gemacht hatte. Diese Kanäle zu bespielen, braucht viel Zeit und Energie. Athleten sind heutzutage beides: Digital Creators und Sportler. Es scheint keine grosse Sache zu sein, aber sobald du damit beginnst, denkst du ständig darüber nach.

Sie hatten auch ohne Social Media eine intensive Karriere, Sie fuhren in allen damaligen fünf Disziplinen. Wie haben Sie es geschafft, nie ernsthaft verletzt zu sein?

Für mich waren es drei Faktoren: Erstens hatte ich Glück, dass mir meine Eltern und Grosseltern starke Knochen vererbt haben. Zweitens hatte ich Angst davor, zu stürzen. Das war für mich schlicht keine Option, weil man nie weiss, was dann passiert. Andere Fahrer akzeptieren Stürze als Teil des Sports. Aber ich fuhr lieber langsamer und mit weniger Risiko. Und drittens war ich physisch stark, es passierte also nichts, selbst wenn ich einmal stürzte. Wir investierten viel in die physische Vorbereitung und Prävention.

Sie waren körperlich dennoch oft am Limit, das sah man Ihnen im Zielraum an. Wie schafften Sie dieses Mammutprogramm?

Wer physisch gut in Form ist, erholt sich schneller. Alle Disziplinen zu fahren, war für mich auch deshalb möglich, weil ich das schon sehr lange machte. Das einzige Mal, als ich wirklich kämpfte, war an den WM in Vail 2015, weil es so hoch oben war (Anm.: Das Ziel lag auf 2700 m. ü. M.). Mit allen Trainings war das Programm über die vierzehn Tage brutal. Im Slalomlauf der Kombination hatte ich das erste Mal das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, ähnlich wie im Trockentraining, wenn ich bis zu acht Mal 300 Meter rennen musste. Das war für mich immer das härteste Training, da hatte ich das Gefühl, zu sterben. Es war aber auch das effektivste.

Glauben Sie, Ihr elf Jahre alter Rekord von 2414 Punkten ist zu schlagen? Nicht einmal Mikaela Shiffrin hat das bisher geschafft.

Es ist möglich, ja. Nicht nur für Mikaela, auch für Marco Odermatt! Wo steht er jetzt?

Er könnte in dieser Saison maximal auf 2302 Punkte kommen.

Sehen Sie, es ist eine enge Sache, und er fährt nicht einmal Slalom, was seine Leistung noch grossartiger macht. In meiner Saison fanden noch Weltmeisterschaften statt, das bedeutet zwei bis drei Rennwochenenden weniger im Weltcup. Zudem wurden ein paar Rennen gestrichen. Es wäre also noch mehr dringelegen. Es tut mir leid für Mikaela, dass sie sich nun verletzt hat. Ich bin stolz auf meinen Rekord, der ist Teil von mir. Aber am Ende war es nur eine Saison.

Die Zahlen jenes Winters sind unfassbar: 11 Siege, 24 Podestplätze, 3 WM-Medaillen. Fühlt man sich da unschlagbar?

Es ist witzig, ich blicke gerade auf meinen Kühlschrank, das muss ich Ihnen zeigen (sie dreht die Kamera zum Kühlschrank, auf dem ein grosser Sticker von Lindsey Vonn klebt). Sie klebt seither da! Im Jahr vor meinem Punkterekord versuchte sie, den damaligen Rekord von Hermann Maier zu knacken, 2000 Punkte. Und hätte es fast geschafft. Ich war im Gesamtweltcup Vierte, Dritte, dann in jenem Jahr hinter Lindsey Zweite. Den letzten Schritt wollte ich unbedingt machen und gab in jener Saison wirklich jeden Tag alles. Ich wusste: Um die Nummer 1 zu werden, brauche ich 2000 Punkte. Das bedeutet, in fast jedem Rennen auf dem Podest zu stehen. Für mich war es ein grosser Kampf, Lindsey herauszufordern. Das Duell war am Anfang der Saison sehr eng, beide Teams waren nervös, der Druck war auf beiden Seiten gross.

Dann kamen die WM in Schladming.

Lindsey verletzte sich bei Nebel in jenem Super-G, der so oft verschoben wurde. Vermutlich verlor sie ein wenig den Fokus. Also war meine grösste Rivalin weg, so wie jetzt bei Lara. Aber meine Form war da: Ich flog einfach weiter, machte keine Pause, genoss das Skifahren ohne Druck. Es war so leicht, das Fahren machte so viel Spass, dass Maria Höfl-Riesch am Schluss mehr als 1000 Punkte hinter mir lag.

Tina Maze hat Siege in allen fünf Disziplinen

eva. · Die 40-jährige Slowenin war zweimal Olympiasiegerin, viermal Weltmeisterin und hat von 2002 bis 2014 im Weltcup 26 Mal gesiegt. Sie ist eine von nur sieben Skifahrerinnen, die in allen fünf Disziplinen gewinnen konnten, und errang 2013 den Sieg im Gesamtweltcup. Heute arbeitet sie als Ski-Co-Kommentatorin bei Eurosport und testet für Stöckli neues Material. Sie lebt mit ihrem Partner Andrea Massi und ihrer Tochter in Slowenien.

War es danach einfach, diese intensive Saison zu verarbeiten? Viele fallen nach einem Gesamtweltcup-Sieg in ein Loch.

Für mich war das Hauptproblem, dass Andrea (Anm.: Massi, ihr ehemaliger Trainer und bis heute ihr Lebenspartner) und ich keine Pause voneinander hatten. Unsere Beziehung ging ja nach dem Saisonende weiter. Für mich war das hart, ich konnte nicht so Energie tanken, wie ich wollte. Und es gab ein paar Wechsel im Team, die mich trafen. Wenn Schlüsselfiguren wie Trainer nach einer so guten Saison wechseln, ist das schwierig.

Vor ein paar Jahren sagten Sie, dass der Rücktritt Ihre Liebesbeziehung gerettet habe. Der Druck sei zu gross gewesen. Wie fanden Sie sich als Paar im neuen Leben wieder?

Es ist hart, eine solche Beziehung zu führen. Wir Frauen vermischen alles. Männer sind anders, sie können Berufs- und Privatleben trennen, aber ich nicht, für mich war alles eins, auch wenn ich es versucht habe. Wir waren während der Karriere professionell: Bei der Arbeit sah man nie, dass wir uns umarmten oder küssten. Als Paar zu geniessen, war schwierig. An einem Punkt war es für mich zu viel.

Wie ist es heute?

Es ist manchmal noch schwierig für mich, wenn Andrea mir sagt: Tu dies oder jenes. Er ist Lehrer, muss unterrichten. Ich mag das aber immer weniger. Ich sage ihm dann: «Wenn du jemand anderem etwas beibringst, liebe ich es. Aber lass mich einfach in Frieden!» Ich glaube, ich bin zu lange gefahren, unsere Beziehung hat gelitten.

Weshalb haben Sie nicht einen anderen Trainer engagiert?

Das konnte ich nicht. Was wir gestartet hatten, war alles für mich! Ich wollte nicht mit jemand anderem arbeiten, weil ich wusste, wie gut Andrea ist. Als ich aufgehört habe, arbeitete er mit den slowenischen Männern und hat sie in einem einzigen Jahr unglaublich gut aufgebaut. Ich sagte: «Wow, nun wird unsere Beziehung einfacher, weil du mich nicht die ganze Zeit pushst. So kann ich mir eine gemeinsame Zukunft vorstellen!» Das war wichtig für mich.

Von aussen betrachtet sah sein Umgang mit Ihnen harsch aus.

Ich weiss. Man denkt es nicht, aber ich bin eine sehr gemütliche Person. Ich brauche jemanden, der mich pusht. Und ja, manchmal war es auch zu viel. Die richtige Balance zu finden, war auch für Andrea schwierig. Ich brauche drei Kaffees, um am Morgen nur schon zu starten. Ich liebe es, wenn das Team funktioniert und diese Energie da ist. Falls nicht, brauche ich einen Tritt von jemandem.

Sie sind im vergangenen Jahr vierzig geworden. Sind Sie neun Jahre nach Ihrem letzten Rennen fit?

Ich fühle mich super. Auf den Ski habe ich manchmal das Gefühl, ich könnte immer noch das eine oder andere Rennen gewinnen. Manche Kurven sind perfekt, und ich denke: Verdammt, ich habe es immer noch drauf. Aber physisch bin ich nicht mehr auf dem Level von damals, dafür trainiere ich nicht genug.

Fährt Ihre sechsjährige Tochter auch Ski?

Sie fährt schon gut Ski, aber noch nicht im Rennmodus. Ich liebe es, Zeit mit ihr zu verbringen. Sie wächst so schnell. Durch sie bekomme ich mehr Zufriedenheit als durch den Sport. Sport ist grausam, aggressiv, es geht um Kraft. Er gibt dir nur einen Bruchteil von dem, was man durch eine Familie bekommt. Meine Tochter ist gut für die Seele, was mir beim Skifahren gefehlt hat. Nach der Karriere war ich ein Jahr lang auf der Suche nach mir. Mein heutiges Leben ist viel besser.

Hatten Sie Mühe, Ihren Platz im neuen Leben zu finden?

Das erste Jahr nach dem Aufhören ist schrecklich. Du gehst von hundert auf null. Das grösste Problem ist, dass du dein Team verlierst, das dich pusht, dir überall hin folgt, sich um dich kümmert. Du hast als Skifahrerin ja zwei Familien. Jene zu Hause, die aus deinen Eltern besteht. Die zweite ist jene, die mit dir reist und alle Rennen mitmacht. Am härtesten war es, diese Menschen zu verlieren und sich zu finden. Andrea war zwar nach wie vor an meiner Seite, aber unsere Beziehung war am Limit. Ich musste mich zum ersten Mal allein um mich kümmern. Aber man sollte keine Angst haben, mit etwas zu beginnen. Alles kann gelernt werden, und alles hat seine Zeit. Für mich war zum Beispiel das Kochen eine grosse Herausforderung. Ich mochte das nicht, aber mit einem Kind musst du.

Sie sagten, Sie hätten keine Zeit gehabt, nett zu sein während der Karriere, dabei sind Sie ein so offener Mensch. War das schwierig für Sie?

Lara zum Beispiel war sehr kontaktfreudig und hatte viel Energie, ich bin das Gegenteil. Ich hatte schlicht keine Energie für etwas anderes, also habe ich zugemacht. Das bedeutet nicht, dass ich nicht freundlich bin. Vermutlich war ich zu gestresst von allem, nun fühle ich mich nicht mehr so. Reden macht jetzt Spass. Ja, es ist schräg, das Leben ändert sich.

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