Dienstag, Februar 25

Dank der Streaming-Plattform konnte das illegale Downloaden überwunden werden. In einem detailreichen Buch zeigt die Publizistin Liz Pelly vor allem aber die problematischen Seiten von Spotify.

Spotify ist ein musikalisches Schlaraffenland. Dank dem schwedischen Onlinedienst, den der Gründer Daniel Ek selbst als «himmlische Jukebox» anpries, kann man sich immer und überall fast alles anhören, was jemals aufgenommen und veröffentlicht worden ist.

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Als Spotify 2008 an den Start ging, trug das Unternehmen überdies ein Versprechen in die Welt. Es wollte die Musikszene retten. Um die Jahrhundertwende nämlich hatten es Online-Plattformen wie Napster möglich gemacht, Alben und Songs per Filesharing gratis und illegal herunterzuladen. Musiker und Plattenfirmen wurden plötzlich um ihren Lohn gebracht.

Kuchen und Krümel

In ihrem ausführlich dokumentierten Buch «Mood Machine» zeichnet die amerikanische Publizistin Liz Pelly den Weg von Spotify nach. Sie zeigt, wie der Onlinedienst das Piratenprinzip des Filesharing selbst übernahm, um daraus ein legales Geschäftsmodell zu entwickeln.

Seinen Erfolg verdankt Spotify einerseits einer technischen Innovation. Das langwierige Downloaden wurde durch Streaming ersetzt, bei dem die Musik auf ein Klicken hin sofort einsetzt. Und als die Plattform 2009 mit den Major-Labels handelseinig geworden war, konnte den Kunden andrerseits ein schier grenzenloses Musiksortiment angeboten werden. Wer nicht allzu hohe Ansprüche an die Klangqualität stellt, ist gut bedient.

Unterdessen sorgen Plattformen wie Spotify dafür, dass Künstler wieder etwas verdienen an ihren Werken – die meisten allerdings nur wenig. Spotify verteilt die Einnahmen entsprechend den prozentualen Anteilen einzelner Titel am Streaming-Gesamtvolumen. Ein Teil geht an Verwertungsgesellschaften, ein andrer Teil geht an die Labels, die schliesslich den Künstlern ein Honorar ausbezahlen.

Die Major-Labels teilen sich den Grossteil des Kuchens. Die Überpräsenz ihrer internationalen Stars hat dazu geführt, dass für alle anderen nur noch Krümel übrigbleiben. Wobei Musikstücke, die weniger als tausend Mal pro Jahr angeklickt werden, ohnehin leer ausgehen.

Laut Liz Pelly sind die Labels für die meist tiefen Einkommen der Musiker zwar mitverantwortlich. Dennoch spart sie nicht mit Kritik an Spotify. Das Honorarsystem sei intransparent und ganz auf kommerzielle Kategorien reduziert. Überdies würden die Musiker mitunter mit geradezu erpresserischen Geschäftsgebaren konfrontiert.

Der sogenannte «Discovery Mode» ist beispielhaft: Einzelnen Songs soll mehr Präsenz auf der Plattform eingeräumt werden, wenn die Musiker auf einen Teil ihrer Tantiemen verzichten. Der vom Honorar abgesparte Betrag nämlich verspricht Spotify in die Promotion zu investieren. Wie das genau funktioniert, bleibt jedoch schleierhaft. Niemand ist zum «Discovery Mode» gezwungen. Aber sobald sich einige Konkurrenten dazu entschliessen, müssen die anderen mitgehen, um sich nicht einem unkalkulierbaren Wettbewerbsnachteil auszusetzen.

Medium als Message

Problematisch ist Spotify nicht nur im Hinblick auf die Geschäftsgebaren. Auch im Falle des Onlinedienstes gilt: Das Medium ist die Message. Seine Struktur hat weitreichende Auswirkungen auf die Musikkultur.

Man kann sich Spotify als gigantische Musikbibliothek vorstellen – ein Paradies für Liebhaber, die genau wissen, was sie hören möchten. Für alle andern aber ist das Überangebot eine Überforderung. Dass die Qual der Wahl auf Konsumenten lähmend wirken kann, ist nicht im Sinne des Erfinders. Daniel Ek hat sich vor der Spotify-Gründung nicht als Musikspezialist profiliert, sondern als Fachmann für Suchmaschinen und Werbung. Auch der musikalische Traffic auf Spotify sollte dazu dienen, Werbung zu akquirieren.

Nun musste er feststellen, dass es sich beim Grossteil der Spotify-Kunden um Leute handelt, die sich durch Musik bloss berieseln lassen wollen. Diese passiven, uninteressierten Zuhörer wurden früher durch Top-40-Radioprogramme bedient. Heute bestimmen sie gewissermassen den «Main-Stream».

Um den Konsum der passiven Zuhörer anzukurbeln, setzt Spotify deshalb auf Playlists. Bekömmliche Song-Menus wie «Today’s Top Hits», «Songs to sing in the shower» oder «Your favorite Coffeehouse» sollen die Konsumenten bei der Büroarbeit, beim Fitnesstraining oder in Erholungsphasen begleiten. Therapeutische Repertoires erweisen sich als besonders erfolgreich: Die erschöpften Zeitgenossen klicken massenweise auf Playlists wie «Relax and unwind» oder «Mood Booster». Es gibt sogar Sleep-Playlists, also Soundkulissen mit sedativer Wirkung.

Spotify hat seinen Musikdienst als Meritokratie stilisiert, die einzig auf den Vorlieben der Kunden basiere; die Streaming-Zahlen scheinen so in direktem Verhältnis zur Qualität der Musik zu stehen. Liz Pelly aber fällt es leicht, diese Idealisierung zu relativieren. Tatsächlich offenbart gerade die Playlist-Kultur, wie weit Spotify den Konsum beeinflusst. Es sind die eigenen Kuratoren, die die Songs für einzelne Playlists auswählen – oft in heimlicher Absprache mit den Major-Managern.

Ein Platz auf einer einschlägigen Playlist aber kann entscheidend sein für den Erfolg eines Songs und damit für das Einkommen eines Musikers. Die Künstler müssen sich deshalb den Trends und den ästhetischen Klischees von Spotify anpassen. Im Pop ging es immer schon um Kommerz. Spotify aber erhöht den Druck, zugunsten der Nachfrage auf künstlerische Eigenheiten zu verzichten.

Ghost-Artists und KI

Das kann sich bis in Details ihres Schaffens auswirken. Seit den Anfängen von Spotify ist festzustellen, dass Pop-Songs öfter auf formale Besonderheiten verzichten, um möglichst rasch zur Sache bzw. zum Refrain kommen. Die Kunden nämlich müssen mindestens dreissig Sekunden an einem Stück dranbleiben, damit der Stream numerisch erfasst wird. Unterdessen hat der Einfluss von Tiktok die Songstrukturen weiter vereinfacht. Ähnlich den Tiktok-Video-Schnipseln sollen Song-Schnipsel die Sinne instantan stimulieren.

Es gibt auf Spotify gewisse «vibes» und «moods», die besonders beliebt sind. Das gilt etwa für balladeske Songs mit melancholischen Frauenstimmen; stilbildend für das Genre waren offenbar Billie Eilish oder Lana del Rey. Auf entsprechenden Playlists werden nun zahllose ähnliche Songs aneinandergereiht. Dabei werden die einzelnen Sängerinnen mehr und mehr zu anonymen und austauschbaren Subjekten degradiert. In diesem Kontext erwähnt Liz Pelly die Playlist «Lofi-Girl»: Sie habe zu einem Missverständnis geführt, einige Fans hätten geglaubt, Lofi-Girl sei der Name eines Pop-Stars.

Die Entwertung einzelner Künstler machte es Spotify leicht, die Playlists irgendwann mit generischen Produkten anzureichern. Es gibt spezielle Produktionsunternehmen, die den passenden Content (Perfect Fit Content – kurz: PFC) für einzelne Playlists liefern. Die musikalischen Konfektionswaren erscheinen auf Spotify aber unter fiktiven Künstlernamen. Die schwedische Tageszeitung «Dagens Nyheter» soll 2022 eine Gruppe von zwanzig Songwritern nachgewiesen haben, die hinter rund fünfhundert sogenannten Ghost-Artists standen.

Ghost-Artists haben den Vorteil, dass ihre Produkte günstiger sind als Hits profilierter Künstler. Aber freilich wird der Content noch einmal billiger, wenn die KI die Playlists bestückt. Künftig dürfte die Bedeutung von KI für die Spotify-Playlists deshalb noch wachsen.

Prinzip Personalisierung

In den letzten paar Jahren hat sich die Playlist-Kultur ohnehin weiterentwickelt. Während sie zuvor von Spotify-Kuratoren zusammengestellt worden sind, werden sie nun immer mehr algorithmisch generiert. Mittels Algorithmen sollen Repertoires den persönlichen Ansprüchen einzelner Kunden angepasst werden. Aufgrund des laufenden Hörverhaltens können sie persönliche Vorlieben durch ähnliche Sounds, Songs und Playlists komplementieren.

Das Prinzip Personalisierung läuft darauf hinaus, dass Spotify den Geschmack eines Kunden irgendwann besser kennen soll als dieser selbst. So muss er nicht mehr wählen. Auf einen einzigen Klick hin kann er den Tag hindurch mit angenehmen oder gar heilenden Klängen versorgt werden.

Die schöne, neue Musikwelt birgt allerdings Risiken. Wie Online-Werbung, die einem oft jene Produkte vor Augen führt, die man bereits erstanden hat, wird einem auch Spotify immer wieder das Gleiche vorspielen. Und wer davon müde wird, kann sich von einer Sleep-Playlist dann in den Schlaf befördern lassen.

Liz Pelly: Mood Machine. The Rise of Spotify and the Costs of the Perfect Playlist (Atria / One Signal Publishers, 2025. 288 S., Fr. 39.90).

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